China: CASC nennt Opferzahlen zu Fehlstart 1996

Das staatliche chinesische Luft- und Raumfahrtunternehmen CASC hat am 22. Februar 2016 auf Gerüchte über eine hohe Anzahl von Toten bei einem Startversager im Satellitenstartzentrum Xichang im Jahre 1996 reagiert.

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: CASC, CGWIC, CISSM, Congressional Research Service, Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten (house.gov).

vom Start bis zum Absturz
(Bilder: Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten)
vom Start bis zum Absturz
(Bilder: Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten)

Im Februar 2016 war unter anderem im chinesischen Mikroblogging-Dienst Sina Weibo diskutiert worden, wie viele Menschen beim Absturz einer Rakete vom Typ Langer Marsch 3B (Chang Zheng 3B, CZ-3B) unmittelbar nach dem Start am 15. Februar 1996 zu Schaden kamen.

Nach Angaben der China Aerospace Science and Technology Corporation (CASC) haben Spekulationen, bei dem Unglück hätten 500 Menschen ihre Leben verloren, mit den tatsächlichen Geschehnissen nichts zu tun. Laut CASC starben im Satellitenstartzentrum Xichang (Xichang Satellite Launch Center, XSLC) sechs Personen, 57 seien verletzt worden.

Das Startfenster am 15. Februar 1996 hatte sich um 2:51 Uhr Ortszeit geöffnet. Um 3 Uhr Ortszeit war die Rakete mit der Baunummer 3B-Y1 von der Rampe Nummer 2 abgehoben und hatte nach rund zwei Sekunden noch beim Passieren des Startturms die vorgesehene Flugbahn verlassen. Beabsichtigt war für die ersten neun Flugsekunden ein vertikaler Aufstieg.

Das vor dem Abheben rund 425,5 Tonnen schwere Projektil hatte aber schnell eine mehr oder minder horizontale Fluglage eingenommen, anschließend begann es noch in der Luft auseinander zu brechen. Rund zwei Kilometer von der Startstelle entfernt war die Rakete dann gegenüber des Haupteingangs der Beschäftigtenwohnanlage circa 22 Sekunden nach dem Abheben in einen Berghang eingeschlagen.

Geplant war, mit der Rakete den US-amerikanischen Kommunikationssatelliten Intelsat 708 ins All zu transportieren. Wegen eines Fehlers in der Inertialsensoreinheit der ersten Stufe der Rakete war dies jedoch nicht möglich. Bei der Inertialsensoreinheit handelte es sich um eine Neukonstruktion, die beim Start von Intelsat 708 und dem Jungfernflug der Rakete ihre Premiere erlebte. Dass letztere zu einem Flop wurde, war eine Folge von Konstruktions- und Qualitätsmängeln der Inertialsensoreinheit. Wie sich im Rahmen ausführlicher Untersuchungen herausstellte, waren bei Entwurf und Ausführung von Lötverbindungen Fehler gemacht worden.

Wegen eines Aussetzers in der Stromversorgung, die wegen einer schlechten Kontaktierung unterschiedlicher Metalle (Aluminium und Gold) auftrat, wechselte eine Ebene der Sensoreinheit ihre Lage, was vom Bordrechner für die Erzeugung von Lenkbefehlen als zu korrigierende Lageabweichung interpretiert wurde. Bei der Untersuchung des Ablaufs wurde festgestellt, dass mindestens zwei derartige Aussetzer auftraten, welche zu den ungewöhnlichen und letztlich fatalen Flugwegänderungen führten.

Ebenfalls im Rahmen der Untersuchungen wurde ermittelt, dass neben der in der abgestürzten Rakete verbauten noch sechs ähnliche neu produzierte Inertialsensoreinheiten Fehler aufwiesen. Allen gemeinsam war, dass ein leitfähiger Kleber, der der Stabilisierung gelöteter Verbindungen hätte dienen können, nicht zum Einsatz gekommen war.

Die neuen Inertialsensoreinheiten waren mit einer Masse von jeweils rund 48 Kilogramm und Abmessungen von rund 30 x 30 x 40 Zentimetern kleiner und leichter als eine ältere Konstruktion für LM-3-Raketen mit einer Masse von rund 140 Kilogramm und Abmessungen von rund 50 x 60 x 80 Zentimetern.

Anlässlich des Starts hielten sich in Xichang eine Reihe von Nicht-Chinesen auf, die im Rahmen des Satellitenstartprojekts vor Ort für Unternehmen aus den Vereinigten Staaten von Amerika tätig waren. Sie wurden am Morgen nach dem Start in Bussen vom Gelände weggebracht und konnten dabei einige Filmaufnahmen von zahlreichen zerstörten Gebäuden und in der Landschaft verteilten Trümmern anfertigen.

Die Bilder von den erheblichen Zerstörungen waren Auslöser für Spekulationen über hohe Opferzahlen. Auch Berichte, dass sich in der Startnacht hunderte Menschen vor dem Abheben in der Nähe des späteren Einschlagorts aufgehalten haben, nährten die Annahme, es müsse höhere Opferzahlen geben als von offiziellen Stellen eingeräumt.

LM-3B-Standardflugprofil
(Bild: CGWIC)
LM-3B-Standardflugprofil
(Bild: CGWIC)

Dass es in den zerstörten Gebäuden des Raumfahrtzentrums und den in einem angrenzenden Dorf nicht mehr Opfer gegeben habe, liegt nach Angaben aus China daran, dass die Menschen vor dem Start evakuiert worden seien. Mitarbeitern US-amerikanischer Unternehmen war von ihren Arbeitgebern untersagt worden, den Start vom Dach eines Gebäudes in der Nähe aus zu beobachten. Belastbare Berichte von Augenzeugen, die hohe Opferzahlen bestätigen würden, gibt es auch zwanzig Jahre nach dem Ereignis nicht.

An Bord des zu startenden Kommunikationssatelliten hatten sich Baugruppen befunden, die für den Betreiber eine verschlüsselte Kommunikation bei der Steuerung des Satelliten ermöglichen sollte (Telemetry Tracking and Control Encryption, TT&C). Die eingesetzte Technologie galt als geheim, die Möglichkeit eines vollständigen Reengineerings unter Zuhilfenahme geborgener Trümmer wurde China jedoch nicht zugetraut.

Mitarbeiter des Satellitenherstellers hatten versucht, kritische Baugruppen an der Absturzstelle zu bergen. Wegen der großen Mengen giftiger Treibstoffe waren sie dabei noch Stunden nach dem Absturz Gesundheitsgefahren ausgesetzt, als sie schließlich zum Ort des Einschlags vorgelassen wurden.

Sichergestellte Trümmer des zerstörten Satelliten konnten in die USA gebracht werden. Es war allerdings nicht gelungen, alle als sicherheitstechnisch sensibel eingeschätzten Baugruppen, darunter insbesondere zwei Platinen mit der Bezeichnung FAC-3R, zu bergen. Hinsichtlich der verwendeten Schlüssel erwartete man keine mögliche Auswirkungen auf andere Satelliten, da die für Intelsat 708 generierten Schlüssel nach Angaben des Satellitenherstellers nicht an Bord von anderen Raumfahrzeugen benutzt wurden und einzigartig waren.

Der Start des Satelliten auf einer chinesischen Rakete hätte Intelsat zum damaligen Zeitpunkt rund 56 Millionen US-Dollar kosten sollen, rund die Hälfte dessen, was seinerzeit für einen Flug auf einer Ariane-Rakete berechnet wurde. Abgesehen von Intelsat 708 erreichten die Satelliten aus der Serie 701 bis 709 auf Ariane-4- und Atlas-II-Raketen Umlaufbahnen um die Erde.

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