Das Gemini-Programm

Das US-amerikanische Gemini-Programm war weitaus mehr als die Fortführung der Mercury-Flüge auf höherem Niveau. Gemini stellte ein eigenständiges, qualitativ hochwertiges und ehrgeizig geplantes Raumfahrtprogramm dar. Dabei konnte man sich einerseits auf die mit Mercury gewonnenen Erfahrungen auf diesem Gebiet stützen, bekam aber gleichzeitig die Chance, neue Technologien – auch im Hinblick auf die bereits angekündigte Mondlandung – zu erproben und das für ein solches Unternehmen nötige Know-How zu sammeln.

Autor: Felix Korsch. Vertont von Dominik Mayer.

Gemini Projektkonzeption
(Bild: NASA)

Entwicklung
Gemini wurde aus der Not geboren, wobei es der NASA möglich war, hieraus eine Tugend zu machen. Nach Einstellung der Mercury-Flüge würde, das war relativ früh klar, eine zeitliche Lücke von drei oder gar vier Jahren bis zum Beginn der Apollo-Missionen klaffen – wertvolle Jahre, die man dringend benötigte, um die erforderlichen Technologien, z. B. Kopplungsmechanismen, Lebenserhaltungssystem, EVA-Anzühe etc., zu erproben. Aus diesem Grund wurde ursprünglich angedacht, das bestehende Mercury-System zu einer zwei Mann fassenden Kapsel, genannt Mercury Mark II, zu erweitern. Der Vorteil: Durch den Rückgriff auf vorhandene Technik ließen sich Entwicklungskosten sparen und die Zeit bis zum Beginn des bemannten Apollo-Flugprogramms ließe sich nutzvoll überbrücken. Die wesentlichen Veränderungen hätten im Einbau eines zweiten Sitzes, der Montage einer leistungsfähigen Manövriereinheit und dem Einsatz einer bereits existierenden Oberstufe als Docking-Attrappe bestanden. Zum Vereinfachen des Handlings plante man außerdem an einer modularisierten Inneneinrichtung, die einen Austausch oder das Hinzufügen von Komponenten vereinfacht und Mercury Mark II zu einer leistungsfähigen Plattform für bemannte Raumflüge gemacht hätte.

Allerdings führte die Entwicklung die „neue“ Kapsel immer weiter weg vom Original. Zudem hätten sich Platzprobleme innerhalb der Kapsel ergeben, was die Forschungsarbeiten behindert hätte. Den Ausschlag gab auch der Mangel einer passenden Trägerrakete: die Masse der Mercury Mark II wäre ungleich höher ausgefallen als die der Mercury-Kapsel – kaum machbar für Mercury-Atlas. Auch wäre das neue System „inkompatibel“ gewesen: durch den Einbau von leistungsfähigen Manövriertriebwerken hätte sich der Basisdurchmesser der Kapsel vergrößert, so dass Mercury Mark II nicht mehr auf das bisherige Trägersystem gepasst hätte. Die Folge war die Trennung von Mercury Mark II von Mercury und es entstand „Gemini“ als separates Projekt.

Immerhin konnte man nun von Beginn an die Abmessungen und Masse der Kapsel auf das zu verwendende Trägersystem, die Titan II, anpassen und genau planen. Die Verwandtschaft mit Mercury beschränkte sich schließlich auf das Optische; Gemini war vielmehr ein wirklicher Schritt hin zu Apollo. Die Innenausstattung bot genügend Platz für zwei Konturenliegen sowie die Möglichkeit zur Durchführung kleinerer Experimente durch genügend Bewegungsfreiheit im Inneren. Viele Aspekte des Designs erinnerten unfreiwillig an militärische Systeme: Schleudersitze zum Ersetzen des Startturms als Rettungsmöglichkeit in den ersten Flugsekunden, Displays ähnlich denen in Kampfjets und ein Radar machten Gemini zu einer steuerbaren Konservenbüchse. Überhaupt stand bei der Entwicklung auch die Steuerbarkeit des gesamten Systems im Orbit wie beim Wiedereintritt weit oben, wobei die Air Force versuchte, maßgeblich Einfluss zu nehmen und für das eigene Raumfahrtprogramm, welches mit Dyna-Soar bereits auf der Streichliste stand, zu retten.

Da eine wirkliche Steuerung durch das kegelartige Design nicht ohne Weiteres möglich war, dachte man an die Einführung kleiner Deltaflügel. Daraus wurde der Einfachheit halber ein riesiger Paraglider. Durch ein solches Landeszenario wäre eine Landung auf dem Gebiet der USA möglich und man wäre nicht mehr an aufwendigen Such- und Bergungsaktionen auf hoher See angewiesen. Doch die Entwicklung dieses Subsystems verzögerte sich.

Gemini Logo
(Bild: NASA)

Die Gestaltung als Ganzes war eine ingenieurtechnische Meisterleistung. Nur 50% schwerer als Mercury konnte Gemini zwei Besatzungsmitglieder aufnehmen, besaß die Möglichkeit einer weitreichenden manuellen Steuerung und EVA-Luken. Allerdings: Diese Einsparungen machten das Handling schwierig. So bekam Gemini den Spitznamen „Gusmobile“, da in der Testphase der Astronaut Virgil „Gus“ Grissom der Einzige war, der sich in die Kapsel zwängen konnte. An sich bot die Kapsel zwar genug Platz, doch die Anordnung der Instrumente und der Konturenliegen machten es beispielsweise unmöglich, sich innerhalb der Kapsel auszustrecken. Ein Umstand, der sich besonders bei den längeren Gemini-Missionen (u.a. 5 und 7) nachteilig auswirkte. Konnte man die Astronauten auf der Erde noch in die Sitze pressen, so war es eine extrem langwierige (und wohl auch schmerzhafte) Prozedur, bei Schwerelosigkeit nach einer EVA zurückzukehren, sich wieder in seinen Sitz zu zwängen und die Luke zu schließen. Aus diesem Grund war das Training der Gemini-Astronauten sehr hart.

Die zwölf angesetzten, davon zehn bemannten Flüge wurden zu einem Erfolg für die NASA, auch wenn Gemini nicht ganz von Schwierigkeiten und brenzligen Situationen verschont wurde. Folgende Aufgaben erfüllte das Programm:

  • Durchführung erster Langzeitmissionen mit einer Länge von bis zu zwei Wochen
  • aktive Eingriffe in die Bahn des Raumschiffs, Erprobung der manuellen Steuerungssysteme
  • Durchführung und Simulation von Kopplungsszenarien
  • maßgebliche Erweiterung des Experimentalprogramms gegenüber Mercury
  • Ermöglichung von Weltraumausstiegen (EVAs)
  • teilweise gesteuerter Wiedereintritt der Kapsel

Technische Daten
Das Raumschiff besteht aus drei Hauptkomponenten: einem sich nach vorn verjüngendem Kopplungszylinder, der konischen Wiedereintrittssektion und der weniger zylinderförmigen Gerätesektion. Zur Erde zurück kehrten jeweils nur die beiden erstgenannten Sektionen, wobei der Kopplungszylinder auch die Bergungseinrichtung beinhaltet. Beide Sektionen sind zusammen 3,4 Meter hoch/lang und besitzen einen Basisdurchmesser von 2,3 Metern. Die 2,3 Meter hohe Antriebs- und Gerätesektion mit einem maximalen Durchmesser von 3,05 Metern beinhaltet 16 Einzeltriebwerke. Mit Schüben zwischen 12 und 46 kg wurden sie hauptsächlich zur Bahnkorrektur und der Einleitung des Wiedereintritts benötigt. Zwecks Lagestabilisierung wurden 16 weitere kleine Düsen mit jeweils ca. 12 kg Schub rund um das Raumschiff angeordnet. Für die Energieproduktion sorgten schon damals sehr fortschrittliche Brennstoffzellen. Zwecks Masseeinsparung wurde fast das gesamte Raumschiff mit Titan- und Magnesiumlegierungen ummantelt.

Außenbordeinsatz während Gemini 5
(Bild: NASA)

Flugverlauf
Es fanden insgesamt zwölf orbitale Einsätze von Gemini statt. Zehn davon waren mit jeweils zwei Astronauten bemannt.

  • Gemini 3: 23. März 1965. Virgil „Gus“ Grissom, John Young.
    Während nur drei Orbits (~4,9 Stunden) wurden erfolgreiche Bahnänderungen der Kapsel durchgeführt. Young schmuggelte übrigens unerlaubt ein Corned Beef-Sandwich an Bord, wofür beide später Schwierigkeiten bekamen.
  • Gemini 4: 3. Juni 1965. James McDivitt, Edward White.
    Während dieser 62 Erdumläufe umfassenden Mission führte Edward White nach dem Russen Alexej Leonow, der ihm zuvor kam, den ersten Ausstieg einer Amerikaners in den freien Raum (EVA: extra-vehicular activity) durch. Diese rund 21 Minuten währende Aktion litt unter großen Pannen und man entging einmal mehr nur knapp einer Katastrophe. Die sichere Landung erfolgte am 7. Juni.
  • Gemini 5: 21. August 1965. Gordon Cooper, Charles Conrad.
    Erstmals wurde hier ein länger währender Gemini-Flug durchgeführt, auf dem auch die für ein Rendezvous nötige Navigationssysteme erprobt wurden. An Bord kam es innerhalb der achttägigen Mission zu mehreren kritischen Situationen, die aber allesamt mit Bravour gemeistert werden konnten. Erstmals wurden Brennstoffzellen zur Energieerzeugung genutzt. Die beiden Raumfahrer brachten ihr Gefährt am 29. August wieder zu Boden.
  • Gemini 7: 4. Dezember 1965. Frank Borman, James Lovell.
    Diese Mission wurde zu einem vorläufigen Dauerflug-Rekord, der auch gegenüber den Russen bis 1970 verteidigt werden konnte. Interessant war dies im Hinblick auf die Mondmissionen: so konnte das Zusammenspiel der Crew über mehrere Tage hinweg und auf engstem Raum erprobt und die Möglichkeit eines Mondfluges bewiesen werden. Gemini 7 diente außerdem als Kopplungsziel für Gemini 6, welche aus technischen Gründen erst nach Gemini 7 startete. Nach 206 Erdumkreisungen oder 330,6 Stunden landete man sicher am 18. Dezember 1965.
  • Gemini 6: 15. Dezember 1965. Walter Schirra, Thomas Stafford.
    Die mit 16 Orbits nur knapp mehr als einen Tag dauernde Mission war äußerst erfolgreich: so näherte man sich Gemini 7 bis auf 30 cm und legte damit den Grundstein für spätere Kopplungsmanöver, wie sie für sämtliche Mondlande- und Raumstationsplanungen von Bedeutung waren.
Start von Gemini-Titan 8
(Bild: NASA)
  • Gemini 8: 16. März 1966. Neil A. Armstrong, David Scott.
    Zwar gelang die geplante Kopplung mit dem unbemannten Agena-Zielflugkörper, doch rund 20 Minuten später wurde durch einen Kurzschluss eine Lagestabilisierungsdüse in Funktion gesetzt, welche die Kapsel schnell und unkontrolliert rotieren ließ. Nur knapp entging man dabei einer Katastrophe. Die beiden Astronauten wirkten der Drehbewegung zuerst durch die Zündung einer gegenläufig gerichteten Düse per manueller Steuerung entgegen und koppelten dann von der Agena ab. Nach nur 6,5 Orbits bzw. 10,7 Stunden Flugzeit wurde eine Notlandung initiiert, um weiteren Problemen vorzubeugen.
  • Gemini 9: Thomas Stafford, Eugene Cernan.
    Die Gemini 9-Mission wurde von der Backup-Crew durchgeführt, da die Stammcrew, Elliot See und Charles Bassett, bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Da die Agena-Oberstufe diesmal ihre Verkleidung nicht löste (es entstand das oft zitierte „Krokodil“ im Weltall) kam es nicht zur Kopplung, sondern nur zu insgesamt drei Rendezvous. Während der 72-stündigen Mission wurde das Rendezvous-Manöver dreimal vollführt und „nebenbei“ zwei EVAs ausgeführt.
  • Gemini 10: 18. Juli 1966. John Young, Michael Collins.
    Bei dieser Mission wurden gleich zwei Kopplungsziele angeflogen: zunächst kam es zu einer Kopplung mit Agena 10 und anschließend zu einem Rendezvous mit Agena 8. Dabei konnte das Triebwerk der Agena 10-Oberrstufe verwendet werden, um die Flughöhe des Gesamtkomplexes zu erhöhen. Die Rückkehr erfolge nach 70,8 Stunden respektive 43 Erdorbits
  • Gemini 11: 12. September 1966. Charles Conrad, Richard Gordon.
    Bei Gemini 11 wurde erneut ein Zielflugkörper angeflogen, diesmal aber durch ein Kabel mit der Gemini-Kapsel verbunden und er Gesamtkomplex in Rotation versetzt, um Erfahrungen mit der Schwerkraftstabilisierung zu sammeln. Außerdem wurde durch Einsatz der Agena-Triebwerke ein neuer Höhenrekord aufgestellt: 1372 km hoch lag kurzzeitig das Apogäum. Nebenbei vollführte Gordon einen „kompletten“ Außenbordeinsatz und öffnete zweimal kurz die Luke ins All. Die Landung erfolgte sicher nach 44 Erdumkreisungen.
  • Gemini 12: 11. November 1966. James Lovell, Edwin „Buzz“ Aldrin.
    Die letzte Mission im Rahmen des Gemini-Projekts sollte die gesammelten Erfahrungen praktisch umsetzen. Auf dem Flugplan standen deshalb Annäherungsmanöver, Kopplung, Bahnmanöver und Außenbordeinsätze. Doch daraus wurde nichts: nach der Kopplung stellte sich heraus, dass es in der Agena einen Defekt (Kurzschluss) geben musste, welchen weder Astronauten noch Bodenkontrolle zu jenem Zeitpunkt genauer spezifizieren konnten. Um jedes Risiko zu vermeiden brach man an dieser Stelle ab und verzichtete auf ein Anheben der Bahn. Dafür konnten die Astronauten während der knapp 95-stündigen Mission erstmals eine totale Sonnenfinsternis aus dem All fotografieren.

Mit Gemini zum Mond?
Offenbar gab es innerhalb der NASA sogar Planungen, Gemini über das veranschlagte Flugpensum hinaus weiter einzusetzen und zu entwickeln. Mit der vorhandenen Gemini-Hardware und den zu jenem Zeitpunkt bereits gut erprobten Titan 3E- (um erneut militärischen Interessen gerecht zu werden) bzw. Saturn IVB-Trägern wäre es nämlich bereits 1966 möglich gewesen, den Mond bemannt zu umrunden. Laut NASA wäre es durch entsprechende Erweiterungen von Gemini zudem denkbar gewesen, bereits 1968 zum Mond zu fliegen und zulanden. Freilich mit gegenüber Apollo reduzierter Leistungsfähigkeit – aber zur Erinnerung: Gemini verschlang nur rund 5% der Kosten von Apollo und erforderte nicht die Entwicklung eines gigantischen Trägers wie der Saturn V.

Allerdings war es nicht nur die NASA als zivile Behörde, welche die Grundidee von Gemini hochhielt. Im Rahmen des MOL-Projekts (Manned Oribiting Laboratory), einer geplanten militärischen Raumstation zu Beginn der Siebziger Jahre, sollte Gemini als Zubringer eingesetzt werden. Überhaupt wurde Gemini durch seine großartige Konzeption und praktische Umsetzung zur Basis vieler Projekte. Nach den Apollo-Flügen fehlte leider das Geld, und mit der Entwicklung des Shuttles entsagte man dem bewährten „Blechbüchsen“-Prinzip. Gemini kam nach dem Absolvieren des 12teiligen Flugprogramms nicht mehr zum Einsatz. Auch zu einem Revival im Rahmen des militärischen MOL-Projekts kam es nicht mehr. Dennoch: Gemini war das fortschrittlichste und beeindruckendste Raumfahrtgerät seiner Zeit, ebnete den Weg zum Mond und ermöglichte den Amerikanern die Führungsübernahme im Wettlauf zum Mond.

Quellen

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