Am Morgen des 4. Juli soll ein massiver Block aus Kupfer und Aluminium, der sich 24 Stunden zuvor von der Raumsonde Deep Impact trennen wird, mit einer Geschwindigkeit von 37.000 km/h in den Kometen Tempel 1 einschlagen. Das dabei aus dem Inneren des Kometen ins Weltall geschleuderte Material soll neue Einblicke in diese faszinierenden Zeitmaschinen geben.
Autor: Michael Stein. Vertont von Dominik Mayer.
Dieses Mal also die harte Tour. Statt sich wie die europäische Kometensonde Rosetta dem Zielobjekt vorsichtig zu nähern und einen kleinen Lander abzusetzen, um an der Oberfläche Bodenproben zu untersuchen, verfolgt die amerikanische Sonde Deep Impact einen gleichermaßen schlichten wie effektiven Ansatz: Man nehme 370 Kilogramm Kupfer und Aluminium, rüste ihn mit einer Zielautomatik, Steuerdüsen und einer Kamera aus und lasse ihn dann mit 37.000 km/h frontal mit einem Kometen kollidieren, um anschließend die bei diesem unsanften Kontakt ins All geschleuderte Kometenmaterie mit einer Armada boden- und satellitengestützter Teleskope zu analysieren. Die nächsten 48 Stunden werden zeigen, ob diese Rechnung aufgeht oder das Deep Impact-Projektil einfach vergleichsweise geräuschlos von Tempel 1 geschluckt werden wird.
Zeitmaschinen des Sonnensystems
Abgesehen von der spektakulären Erscheinung, die Kometen immer wieder am irdischen Himmelszelt den menschlichen Beobachtern geboten haben (wie zuletzt 1997, als der Komet Hale-Bopp zeitweise sogar in der Dämmerung für das bloße Auge gut sichtbar am Himmel stand), gibt es auch ganz handfeste Gründe, warum Wissenschaftler unbedingt mehr über die Zusammensetzung dieser exotischen Himmelskörper erfahren möchten. Kometen sind vor allem kosmische Zeitmaschinen, da sie sich in der Anfangszeit unseres Sonnensystems vor etwa 4,5 Milliarden Jahren aus demselben Material gebildet haben, das auch die Planeten in sich vereint haben. Während die dort versammelte Materie im Laufe der Jahrmilliarden jedoch durch geologische. meteorologische und andere Prozesse enorme Veränderungen erfahren hat ist die in Kometen vorhandene Mischung aus Eis, Staub und Gas so gut wie unverändert geblieben. Den Großteil ihrer Lebenszeit haben sie sich in der Oortschen Wolke oder dem Kuiper-Gürtel in den äußeren Regionen des Sonnensystems aufgehalten, wo ihre chemische Zusammensetzung durch die dort nur sehr schwache Sonneneinstrahlung kaum verändert wurde – die Untersuchung von Kometenmaterie liefert also einen Einblick in die Zusammensetzung der protoplanetaren Staubscheibe, aus der sich alle in unserem Planetensystem vorhandenen Himmelskörper gebildet haben.
Und noch etwas macht Kometen für die Wissenschaft so interessant: Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Grundbausteine des Lebens wie beispielsweise einfache Aminosäuren nicht originär irdischen Ursprungs sind, sondern in früher Vorzeit von Kometen auf die Erde gebracht worden sind. Diese These würde natürlich eine starke Unterstützung erfahren, wenn bei der Analyse des vom Deep Impact-Projektils aus dem Kometen herausgeschleuderten Wolke aus Staub und Gas organische Materie entdeckt werden würde. Zudem erlaubt dieses Vorgehen auch die Beantwortung der Frage, ob sich die Oberfläche eines Kometen in der Zusammensetzung von dem darunter liegenden Kern unterscheidet. Natürlich wird der Einschlag auch etwas über die Dichte und die Zusammensetzung von Tempel 1 verraten, und diese Parameter werden auch einen entscheidenden Einfluss auf die Größe des Einschlagskarters haben.
Tempel 1
Der Zielkomet von Deep Impact, Tempel 1, wurde im Jahr 1867 von dem Astronomen Ernst Tempel entdeckt. Er bewegt sich auf einer stark elliptischen Bahn durch das innere Sonnensystem und hält sich ungefähr zwischen Mars- und Jupiterbahn auf. Derzeit benötigt er für einen Umlauf um die Sonne fünfeinhalb Jahre, doch sowohl in der Vergangenheit wie auch in der Zukunft gab und wird es immer wieder nahe Vorbeiflüge an Jupiter geben. Solche Vorbeiflüge verändern immer wieder die Bahn von Tempel 1, die jedoch auf absehbare Zukunft der Erde nicht gefährlich werden wird. Da der Komet sich schon relativ lange in den inneren Bereichen des Sonnensystems aufhält dürfte seine Oberfläche signifikant durch die von der Sonne ausgehende elektromagnetische Strahlung sowie den Sonnenwind verändert worden sein. Diese Eigenschaft macht ihn zu einem besonders lohnenden Ziel für Deep Impact, denn duch den Vergleich des bei der Kollision ausgeworfenen Materials aus dem Kometeninneren – das nicht durch die Sonneneinstrahlung verändert worden ist – mit dem Material an der Kometenoberfläche können die Veränderungen erkannt werden, die es durch die Sonnennähe dort gegeben hat.
Doch es gibt noch eine andere, weniger erfreuliche Eigenart von Kometen: Immer wieder einmal stürzen einzelne Exemplare auf unseren Planeten hinab, und bei einer üblicherweise im Kilometerbereich liegenden Größe dieser Himmelskörper ist so etwas dann ein ziemlich katastrophales Erlebnis für das Ökosystem unseres Planeten. Schon seit längerem wird darüber diskutiert, Asteroiden oder Kometen, die mit der Erde zu kollidieren drohen, von ihrer Bahn abzulenken. Deep Impact wird es sicherlich nicht schaffen, die Bahn von Tempel 1 spürbar zu verändern. Trotz der beim Aufprall freiwerdenden kinetischen Energie des Projektils – dem Äquivalent von knapp fünf Tonnen des Sprengstoffs TNT – ist dies doch nur mit dem Aufprall einer Fliege auf einen Airbus A 380 beim Flug vergleichbar; der ähnlich wie eine Zucchini geformte Kern von Tempel 1 bringt bei einer Größe von rund 14 × 4 Kilometer einfach zu viel Masse auf die Waage, als das sich seine Bahn durch das Deep Impact-Projektil spürbar verändern ließe. Dennoch wird das beim Einschlag gewonnene Wissen um die Dichte und Zusammensetzung von Kometen hilfreich sein, wenn es in Zukunft einmal wirklich darum gehen sollte, die Bahn eines solchen Himmelskörpers zu beeinflußen.
Interessanterweise würde bei einem rund 120 Meter durchmessenden Himmelskörper, der auf der Bahn von Tempel 1 unterwegs ist, die Kollision des Impactors in zehn Jahren eine Bahnveränderung bewirken, die einem Erdradius entspricht. Anders gesagt: Einen derartig kleinen Himmelskörper könnte man bei rechtzeitiger Entdeckung selbst mit einem bescheidenen Flugkörper wie dem Impactor soweit aus der Bahn bringen, dass er an der Erde vorbeifliegen würde!
Klein, aber fein
Bei Deep Impact handelt es sich um eine Mission im Rahmen des so genannten Discovery-Programms der NASA: Maximal 300 Millionen US-Dollar teure, thematisch klar begrenzte Missionen zur Erforschung des Sonnensystems. Zu den bereits absolvierten Missionen dieses Programms gehören Erfolge wie die Mars Pathfinder-Mission im Jahr 1997 oder Stardust, eine Raumsonde, die im Januar 2004 extrem nah an dem Kometen Wild 2 vorbeiflog und dabei Kometenmaterial einsammelte. Die Entscheidung, Deep Impact im Rahmen des Discovery-Programms durchzuführen, wurde von der NASA im November 1999 getroffen.
Die Raumsonde besteht aus zwei Teilen, der eigentlichen Sonde und dem so genannten Impactor, der auf dem Kometen einschlagen soll. Deep Impact ist ungefähr so groß wie ein PKW des Typs Smart und verfügt über ein Masse von rund 650 Kilogramm. Die Sonde ist mit einen 7,5 qm großen Solarpaneel zur Stromversorgung ausgestattet, verfügt über eine ausrichtbare Antenne für die Kommunikation mit der Erde und über Manövriertriebwerke, mit denen seit dem Start am 12. Januar mehrere Kurskorrekturen durchgeführt worden sind, zuletzt am 23. Juni. Doch die Raumsonde soll nicht nur den Impactor zu seinem Ziel bringen, sondern Deep Impact wird natürlich von seinem Logenplatz aus auch den Kometen vor, während und nach der Kollision beobachten. Zu diesem Zweck sind zwei Kameras an Bord der Sonde untergebracht, das High Resolution Instrument (HRI) und das Medium Resolution Instrument (MRI). Beide Kameras verwenden den gleichen CCD-Sensor und unterscheiden sich vor allem durch die Brennweite. HRI ist mit einem 30 Zentimeter durchmessenden Teleskop mit einer Brennweite von 10,5 Metern ausgestattet und damit eine der leistungsfähigsten Kameras, die je auf einer interplanetaren Raumsonde geflogen ist. Das Instrument vereint eine Kamera für Aufnahmen im sichtbaren Licht und einen Infrarotspektrometer in sich. Bei MRI handelt es sich ebenfalls um eine Kamera, die sich hauptsächlich nur durch das Teleskop von HRI unterscheidet: Mit 12 Zentimetern Durchmesser und einer Brennweite von 2,1 Metern ist es weniger leistungsfähig als sein “großer Bruder”. Im Gegensatz zum HRI verfügt dieses Instrument auch nicht über einen Infrarotspektrometer, kann also nur Aufnahmen im sichtbaren Licht anfertigen. Dafür ist das Blickfeld dieser Kamera größer als das vom HRI, was besonders bei der Annäherung an Tempel 1 für die Navigation wichtig ist.
Leider hat sich bei Tests nach dem Start der Mission gezeigt, dass die mit der hochauflösenden Kamera HRI angefertigten Aufnahmen eine leichte Unschärfe aufweisen. Ähnlich wie beim Weltraumteleskop Hubble ist auch hier ein Fehler während der Montage der Kamera aufgetreten: Ein kleiner Spiegel, mit dessen Hilfe die Kamera justiert worden ist, hat bei den Tests unter Weltraumbedingungen mit extrem niedrigen Temperaturen eine leichte Krümmung entwickelt, die unentdeckt geblieben ist. Als Folge dieser Krümmung wurde die Teleskopoptik der Kamera fehlerhaft justiert, so dass der Brennpunkt des Teleskops nicht genau auf der Ebene des CCD-Sensors liegt. Die NASA ist jedoch optimistisch, dass der größte Teil der Unschärfe mit Hilfe mathematischer Algorithmen beseitigt werden kann.
Der Impactor hat im wesentlichen nur die Aufgabe, sich selbst möglichst präzise in die sonnenbeschienene Seite des Kometen zu steuern. Er ist deswegen nur mit einigen kleinen Steuerdüsen für notwendige Kurskorrekturen, einem einfachen Kommunikationssystem, einer als Impactor Targeting Sensor (ITS) bezeichneten Zielkamera (die bis auf ein nicht vorhandenes Filterrad identisch mit der MRI-Kamera ist) und Batterien für die Stromversorgung während des rund 24-stündigen Alleinflugs ausgestattet. Ansonsten handelt es sich beim Impactor vor allem um ein großes, vorwiegend aus Kupfer und Aluminium bestehendes Projektil, um den Kometen zu treffen. Die Materialien für den Impactor wurden so ausgesucht, dass sie die nach dem Einschlag folgenden Spektralanalysen durch Dutzende von irdischen und weltraumgestützten Teleskopen so wenig wie möglich verfälschen.
Der Missionsverlauf
Am 3. Juli um 08:07 Uhr (MESZ) wird sich der Impactor von Deep Impact lösen. Mit Hilfe des ITS wird er das hellste Objekt in seinem Sichtfeld anvisieren: die sonnenbeschienene Seite von Tempel 1. In den folgenden knapp 24 Stunden wird der Impactor vollkommen autonom auf den Kometen zuhalten und dabei immer wieder Aufnahmen von Tempel 1 machen, um seine Flugbahn zu überprüfen und gegebenenfalls ändern zu können. Laut Plan sind drei Kurskorrekturen auf der “Zielgeraden” vorgesehen. Die Aufnahmen der Impactor-Kamera werden per Funk zu Deep Impact übertragen, wo sie zunächst zwischengespeichert werden. Im günstigsten Fall könnten die letzten Bilder vom Kometen wenige Sekunden vor dem Einschlag entstehen und so noch etwa 50 Zentimeter kleine Details zeigen.
Wenngleich das Ziel von Deep Impact wesentlich einfacher zu erreichen scheint als beispielsweise das ambitionierte Vorhaben von Rosetta, in einen Orbit um einen Kometen einzuschwenken und einen Lander auf seiner Oberfläche abzusetzen, so bleibt das Vorhaben doch immer noch anspruchsvoll genug: Es ist alles andere als simpel, ein in Längsausdehnung gerade einmal 14 Kilometer großes Ziel zu treffen, wenn es mit einer Geschwindigkeit von gut zehn Kilometer pro Sekunde näher kommt. Eine manuelle Beeinflussung der Flugbahn des Impactors von der Erde aus ist nicht vorgesehen und wäre auch nicht sinnvoll, da die Kollision sich in ca. 133 Millionen Kilometer Entfernung zur Erde abspielen wird – ein Funksignal zum Impactor wäre bei dieser Entfernung über sieben Minuten unterwegs.
Deep Impact wird wenige Minuten nach der Kollision dem Kometen am nächsten kommen. Die Raumsonde wird nach der Abtrennung des Impactors ihren Kurs geringfügig ändern, um beim Vorbeiflug einen Mindestabstand von 500 Kilometern zu Tempel 1 zu halten. Natürlich wird Deep Impact den Kometen mit seinen beiden Kameras vor und auch nach der Kollision ständig beobachten, allerdings wird diese Beobachtungsphase während der Zeit der größten Annäherung an den Kometen für mehrere Minuten unterbrochen werden: Die Raumsonde dreht sich dann so, dass ihre Instrumente von Tempel 1 wegweisen, um nicht durch Kometenmaterie beschädigt zu werden.
Doch nicht nur die beiden Kameras von Deep Impact und das ITS an Bord des Impactors werden Daten über Tempel 1 liefern. Die dem Ereignis nächste Raumsonde ist Rosetta – immer noch runde 80 Millionen Kilometer entfernt, aber dafür mit mehreren Instrumenten ausgestattet, die speziell für die Kometenbeobachtung entworfen worden sind. Im Erdorbit werden darüber hinaus die Weltraumteleskope Hubble, Spitzer, Chandra und XMM-Newton die Kollision beobachten. Zusätzlich werden über sechzig (!) große Observatorien über die ganze Welt verteilt das Ereignis verfolgen. So werden beispielsweise die vier gigantischen VLT-Teleskope der Europäischen Südsternwarte in Chile mit ihren 8,2 Meter-Spiegeln genauso mehrere Tage lang rund um den 4. Juli Tempel 1 im Blick behalten wie das vergleichbar leistungsfähige Keck-Observatorium auf Hawaii, um nur zwei mehrerer Großobservatorien herauszugreifen.
Wie erfolgreich Deep Impact letztendlich sein wird werden wir erst in den auf die Kollision folgenden Tagen wissen, wenn mehr und mehr Aufnahmen und Spektralanalysen verarbeitet und veröffentlicht worden sind. Einen Erfolg hingegen kann das Deep Impact-Team schon jetzt für sich verbuchen: Nur selten hat eine derartig große und internationale Forschergemeinde aktiv eine Forschungsmission unterstützt wie bei diesem spektakulären Vorhaben.
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