Langgezogene Plasmastrukturen in der unteren Sonnenatmosphäre transportieren Energie nach außen – und heizen so die darüber gelegene Korona auf. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung.
Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
Zwischen der sichtbaren Oberfläche der Sonne und ihrer heißen äußeren Atmosphäre liegt die Chromosphäre: eine etwa 2.000 Kilometer dicke Schicht aus wenige tausend Grad heißem Plasma. Bei Sonnenfinsternissen ist sie als dünner roter Ring um die verdunkelte Sonne sichtbar. Allgegenwärtig in dieser Schicht sind langgezogene, fingerartige Plasmaströme, so genannte Spikulen. Diese kurzlebigen Strukturen entstehen durch Wechselwirkungen im komplexen Magnetfeld der Sonne, wie Wissenschaftler unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) jetzt in der Fachzeitschrift Science berichten. Zudem versorgen die Spikulen die äußere Sonnenatmosphäre, die Korona, mit Energie und tragen so zu ihren gigantischen Temperaturen von einigen Millionen Grad bei. Für ihre Beobachtungen nutzte die Forschergruppe Daten des Big Bear Sonnenobservatoriums in den USA, des größten bodengebundenen Sonnenteleskops, und der NASA-Raumsonde Solar Dynamics Observatory.
Die äußere Atmosphäre der Sonne, die so genannte Korona, ist unvorstellbar heiß: Mit einigen Millionen Grad übersteigen ihre Temperaturen die der darunter gelegenen Chromosphäre um ein Vielfaches und das, obwohl die Korona einen deutlich größeren Abstand vom Hitze generierenden Kern der Sonne hat. Wie die Energie dorthin gelangt, die erforderlich ist die Korona derart stark aufzuheizen, gehört zu den großen unbeantworteten Fragen der Sonnenphysik. Verschiedene Erklärungsversuche machen unter anderem Stoßwellen, magnetohydrodynamische Prozesse oder verschiedene magnetische Phänomene verantwortlich.
Ebenso haben Sonnenforscherinnen und Sonnenforscher die langen, fingerartigen Spikulen in der Chromosphäre unter Verdacht. Diesen konnte das Team um Dr. Tanmoy Samanta von der Peking University jetzt erhärten. „Durch gezielte Beobachtungen vom Boden und aus dem All konnten wir zeigen, dass die Spikulen zur Aufheizung der Korona beitragen“, fasst MPS-Wissenschaftler Prof. Dr. Hardi Peter, der an der neuen Studie maßgeblich beteiligt war, die Ergebnisse zusammen.
Spikulen sind ebenso gewöhnlich wie rätselhaft. Die gewaltigen Strukturen von typischerweise 5.000 Kilometern Länge treten überall in der Chromosphäre auf, manchmal gar gehäuft in kleineren Gruppen. Innerhalb der Spikulen strömt Plasma mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich zwischen 15 und 40 Kilometern pro Sekunde. Da sie jedoch nur etwa 200 Kilometer breit sind, ist es nahezu unmöglich, sie mit kleineren Sonnenteleskopen zu beobachten. „Spikulen haben eine sehr schlanke Form“, beschreibt Peter seinen Forschungsgegenstand. „Ihr Verhältnis von Länge zu Breite ist vergleichbar mit dem des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz.“
Ideale Voraussetzungen für die neue Studie bot das Goode Solar Telescope des Big Bear Sonnenobservatoriums im US-Bundesstaat Kalifornien, das zum New Jersey Institute of Technology gehört. Mit einem Hauptspiegeldurchmesser von 1,6 Metern ist es das derzeit größte und leistungsfähigste Sonnenteleskop weltweit. Erstmals konnten die Forscher für ihre Fragestellung ein neues Instrument des Observatoriums nutzen: das Near Infrared Imaging Spectropolarimeter, ein Instrument, das die Infrarotstrahlung von der Sonne untersucht und so Eigenschaften der Sonnenmagnetfelder bestimmt. Zudem herrschten während der Messkampange optimale Beobachtungsbedingungen: ununterbrochene Sicht für etwa zehn Minuten – eine wichtige Voraussetzung, um die Entwicklung der Spikulen mitzuverfolgen. Die „Sonnenfinger“ haben typischerweise Lebensdauern von ein bis zwölf Minuten.
Besonders Gruppen von Spikulen treten der neuen Studie zur Folge in Regionen auf, die sich durch eine ähnliche Architektur des Magnetfeldes auszeichnen. Grundsätzlich überzieht ein dynamisch waberndes Netz aus Bereichen positiver magnetischer Polarität die Oberfläche der Sonne. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werten dieses Muster als Ausdruck gewaltiger Auf- und Abströme aus tiefer liegenden Schichten. Die genauen physikalischen Vorgänge sind jedoch noch ungeklärt. Dort wo sich zu dem Netz aus starken Magnetfeldern positiver Polarität ein schwächeres Feld negativer Polarität gesellt, bilden sich den neuen Daten zur Folge die fingerartigen Plasmaströme. „Die Magnetfelder in diesen Bereichen strukturieren sich offenbar so um, dass Energie frei wird und dies die Spikulen erzeugt“, schlussfolgert Peter.
Ein Blick auf die Übergangsregion zwischen der Chromosphäre und der darüber gelegenen Korona mit Hilfe der NASA-Raumsonde Solar Dynamics Observatory ließ weitere Schlüsse zu. Die Daten offenbarten, dass die Spikulen heißes Plasma und somit Energie in die Korona leiten. „Ob die Spikulen genug Energie liefern, um den gesamten Temperaturunterschied zwischen Chromosphäre und Korona zu erklären, ist noch unklar“, so Peter. „Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass die Spikulen sicherlich ein Teil jeder Gesamttheorie der Korona-Aufheizung sein müssen.“
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