Mittels des ESA-Weltraumteleskops Herschel hat eine Gruppe von Astronomen die Masse der protoplanetaren Scheibe neu bestimmt, welche den Stern TW Hydrae bestimmt. Der neue, deutlich genauere Wert für deren Masse fällt größer aus als die meisten der früheren Schätzungen und zeigt, dass zukünftig in diesem System Planeten ähnlich denen unseres Sonnensystems entstehen können.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie, ESA, JPL.
Was den Ägyptologen ihr Stein von Rosette und den Genetikern ihre Fruchtfliegen, das ist für Astronomen, welche sich mit der Entstehung von Planetensystemen befassen, der im Sternbild Wasserschlange (lateinischer Name „Hydra“) gelegene Stern TW Hydrae: Ein besonders gut zugängliches Schlüsselobjekt, dessen eingehende Untersuchung die Grundlagen für ein ganzen Fachgebiet legen kann.
Dieser Stern verfügt über ein noch sehr junges Alter von etwa drei bis zehn Millionen Jahren und ist von einer sogenannten protoplanetaren Scheibe umgeben. Hierbei handelt es sich um eine flache, ringförmig verlaufende Ansammlung von Gas und Staub, welche den Stern umgibt. In dieser dichten Scheibe verbinden sich die darin enthaltenen Partikel aus Staub und Eis zu immer größeren Objekten, aus denen letztendlich ganze Planeten hervorgehen werden. Auf diese Weise ist vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren auch unser eigenes Sonnensystem entstanden.
Protoplanetare Scheiben wurden in den vergangenen Jahren von den Astronomen bereits bei einer Vielzahl von jungen Sternen beobachtet. Das Besondere an der Scheibe von TW Hydrae ist jedoch die in astronomischen Maßstäben betrachtet geringe Entfernung von lediglich 176 Lichtjahren, welche unser heimisches Sonnensystem von TW Hydrae trennt. Alle anderen derzeit bekannten Scheiben sind mindestens zweieinhalb soweit von der Erde entfernt. Damit stellt die TW Hydrae umgebende protoplanetare Scheibe für die Astronomen im Vergleich zu vergleichbaren Beobachtungsobjekten ein konkurrenzlos gutes Beobachtungsziel dar.
Zwar können die Astronomen aufgrund der gegebenen Größen- und Entfernungsverhältnisse keine direkten Aufnahmen der protoplanetaren Scheibe anfertigen (trotz einer Ausdehnung von fast 400 Astronomischen Einheiten ist die Staubscheibe hierfür aufgrund der Entfernung immer noch zu klein) – durch spektroskopische Untersuchungen des Lichts, welche von diesem Sternsystem bei unterschiedlichen Wellenlängen ausgesandt werden, und dem Vergleich der dabei gewonnenen Daten mit theoretischen Modellen lassen sich die Anwesenheit und wichtige Eigenschaften der Scheibe aber trotzdem gut erschließen und nachvollziehen. Dementsprechend verfügt der Stern TW Hydrae über eine der am häufigsten beobachteten und dabei am gründlichsten untersuchten protoplanetaren Scheiben überhaupt.
Allerdings war den untersuchenden Astronomen eines der grundlegenden Parameter dieser Scheibe bislang nur sehr ungenau bekannt, nämlich die Masse des in der Scheibe enthaltenen Wasserstoffs (Raumfahrer.net berichtete bereits über dessen Entdeckung in den äußeren Regionen der Scheibe). Dieser Massenwert ist jedoch entscheidend, um letztendlich auch abschätzen zu können, wie viele und welche Arten von Planeten zukünftig aus der protoplanetaren Scheibe von TW Hydrae hervorgehen können. Die bisherigen Versuche, diese Masse zu bestimmen, hingen empfindlich von Modellannahmen ab und waren dementsprechend ungenau. Die Abschätzungen für die Masse des molekularen Wasserstoffs in der Scheibe variierten zwischen einer halben und etwa 63 Jupitermassen.
Wenn Astronomen die Menge oder Häufigkeit eines bestimmten Stoffes in einer bestimmten Region des Weltalls nachweisen wollen, so suchen sie dabei mittels spektroskopischer Untersuchungen nach bestimmten Lichtemissionen, welche für diesen spezifischen Stoff charakteristisch sind. Bei dem Nachweis von Wasserstoffmolekülen funktioniert dieses Prinzip jedoch nur unzureichend, da diese Moleküle kaum Strahlung aussenden. Frühere Bemühungen, die Masse der protoplanetaren Scheibe von TW Hydrae zu bestimmen, basierten deshalb auf Indikatorstoffen, so genannte „Tracer“, welche typischerweise zusammen mit molekularem Wasserstoff auftreten, um dessen Menge indirekt abzuschätzen. Die Astronomen beobachteten so zum Beispiel das in der Scheibe enthaltene Kohlenmonoxid oder den in der Scheibe vorhandenen Staub und verließen sich dann auf Modelle und weitere Messungen, um so Rückschlüsse auf die enthaltene Menge des molekularen Wasserstoffs zu ziehen.
Dieses Vorgehen birgt allerdings mehrere potentielle Fehlerquellen. Abschätzungen der Masse aufgrund der Wärmestrahlung von Staubkörnern in der Scheibe beruhen auf Annahmen über den Grad der Undurchsichtigkeit, der Opazität, des Staubs. Dieser Wert ändert sich jedoch drastisch, während der Staub zu immer größeren Körnern zusammenklumpt. Unsicherheiten über das Verhältnis der Gasmenge zur Staubmenge, welche aus Messungen des interstellaren Mediums abgeleitet werden, fließen ebenfalls ein.
Abschätzungen aufgrund der Anwesenheit von Kohlenmonoxid sind zudem deshalb kompliziert, da die Scheibe für die betreffende Art von Strahlung undurchsichtig ist. Entsprechende Beobachtungen zeigen daher nur die unmittelbare Oberfläche der Scheibe. Wie sich dieser Werte dann zum Gesamtvolumen verhält, muss anschließend aus geeigneten Modellen erschlossen werden. Je nach dem verwendeten Modell ergibt sich so ein weites Spektrum an Massewerten, was die weiter oben erwähnten Differenzen bezüglich der Masse des molekularen Wasserstoffs bei TW Hydrae erklärt.
Bei den jetzt mit dem Weltraumteleskop Herschel durchgeführten Messungen wurde dagegen ausgenutzt, dass es bei den Wasserstoffmolekülen subtile Unterschiede gibt. Einige wenige Moleküle bestehen nicht aus zwei normalen Wasserstoffatomen, sondern enthalten vielmehr ein Deuteriumatom (während der Atomkern von Wasserstoff nur aus einem einzigen Proton besteht, enthält Deuterium ein zusätzliches Neutron). Diese Wasserstoffdeuterid-Moleküle senden eine bis zu eine Million mal stärkere Strahlung aus als „normale“ Wasserstoffmoleküle. Die reale Intensität dieser Strahlung hängt dabei von der Temperatur des Gases ab, welche im Fall von TW Hydrae mittels des von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebenen Teleskopverbund „ALMA“ ermittelt wurde.
Das Weltraumteleskop Herschel bietet speziell im Wellenlängenbereich dieser Strahlung eine bisher einmalige Kombination aus Empfindlichkeit einerseits und „Feinheit“ der spektrale Auflösung andererseits. Für die Beobachtungen von TW Hydrae kam das Herschel-Instrument PACS (kurz für „Photodetector Array Camera & Spectrometer“) zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um ein Kombinationsinstrument aus einer astronomischen Kamera und einem Spektrografen für Wellenlängen zwischen 57 und 210 µm.
Durch die Verwendung dieses Instruments gelang es den an der Untersuchung beteiligten Astronomen nicht nur, die Wasserstoffdeuterid-Molekülen nachzuweisen, sondern auch deren Anzahl zu bestimmen. Beobachtungen an verschiedenen kosmischen Objekten bis zu Entfernungen von rund 300 Lichtjahren zeigen, dass das Mengenverhältnis zwischen Deuterium und normalem Wasserstoff in unserer unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft anscheinend weitgehend konstant ausfällt.
Weist man Wasserstoffdeuterid in einer gegebenen Menge nach und rechnet anhand dieses Häufigkeitsverhältnisses um, so ergibt sich somit auch eine gute Abschätzung für die Gesamtmenge an molekularem Wasserstoff. Die Auswertung der so gewonnenen Daten, welche eine zehn Mal genauere Massebestimmung als alle vorigen Studien erlaubt, ergab, dass die protoplanetare Scheibe von TW Hydrae über eine Mindestmasse von rund 52 Jupitermassen verfügt. Sollten sich zudem einige der Deuteriumatome in molekularem Eis oder in komplexeren organischen Molekülen, zum Beispiel in polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (kurz „PAK“) verbergen, oder sollten Teilbereiche der Scheibe undurchlässig für die charakteristische Strahlung des Wasserstoffdeuterids sein, dann wird die Menge an molekularem Wasserstoff mit dieser Methode jedoch unterschätzen. Aus diesem Grund stellt der jetzt veröffentlichte Massenwert eine Untergrenze dar.
Die Temperaturschätzung wurde aus Kohlenmonoxid-Spektrallinien abgeleitet und fällt aller Wahrscheinlichkeit nach zu niedrig aus. Mittels dieser Methode wurden lediglich die äußeren Schichten der Scheibe erfasst. Im Inneren der Scheibe, von wo die meiste Strahlung des Wasserstoffdeuterids stammt, sollte die Temperatur noch höher ausfallen. Alle eventuell möglichen Korrekturen über die Gesamtmasse der protoplanetaren Scheibe von TW Hydrae sollten von daher zu noch höheren Werten führen.
Abschätzungen bezüglich des Alters von TW Hydrae führen die Astronomen auf Werte zwischen drei und zehn Millionen Jahre – ein Alter, welches für Sternsysteme mit protoplanetaren Scheiben relativ hoch liegen. Normalerweise, so die bisherigen Theorien über die Bildung von Planeten, sollte sich das gerade entstehende Planetensystem um TW Hydrae bereits vollständig ausgebildet haben. Die neuen Massenmessungen zeigen jedoch, dass trotz dieses hohen Alters noch genügend Materie in der Scheibe vorhanden ist, um dort ein Planetensystem entstehen zu lassen, welches dabei sogar größer ausfallen könnte als unser heimisches Planetensystem.
„Diese Scheibe weist noch genügend Masse auf, um das Äquivalent von 50 Jupitern zu bilden“, so Edwin A. Bergin von der University of Michigan, der Hauptautor einer Publikation, welche sich mit den aktuellen Untersuchungen beschäftigt,.
Basierend auf dieser soliden Grundlage und unter Einbeziehungen weiterer Eigenschaften wie zum Beispiel der Temperaturverteilung, welche sich aus Folgebeobachtungen mit dem von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebenen Teleskopverbund „ALMA“ noch deutlich genauer erschließen lassen sollte, wird es zukünftig möglich sein, noch weit realistischere Modelle für die Scheibe von TW Hydrae zu entwickeln als bisher. Der Vergleich dieser Modelle mit den bisher gewonnen Beobachtungsdaten wird es den an den Forschungen beteiligten Astronomen wiederum erlauben, die derzeit gängigen Theorien über die Entstehung von Planeten und Planetensystemen zu überprüfen und noch weiter zu verfeinern.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse wurden heute in der Fachzeitschrift „Nature“ von unter dem Titel „An old disk still capable of forming a planetary system“ veröffentlicht.
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Abstract des Fachartikels bei Nature: