Eine kurze Geschichte der Röntgenastronomie

Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte 1895 bei der Untersuchung von Kathodenstrahlen eine Strahlung, die feste Gegenstände durchdringt.

Ein Beitrag von Tilman Kaiser.

Bei Kathodenstrahlen handelt es sich um Elektronen, die aus der Glühkathode einer Elektronenstrahlröhre austreten. Erst 1897 stellte sich heraus, dass Kathodenstrahlen freie, negativ geladene Teilchen sind. Das Verhältnis von Ladung zu Masse dieser Elektronen wurde damals von J. J. Thomson bestimmt.

Als er die Ergebnisse seiner Arbeit über diese mysteriösen X-Strahlen veröffentlichte, fand dies nicht nur in physikalischen Fachkreisen, sondern auch in breiten Bevölkerungsschichten ungewöhnliche Beachtung. Die Physik selbst stand am Anfang eines neuen Zeitalters. Manchmal wird diese neue Physik, der wir Relativitäts- und Quantentheorie verdanken, als moderne Physik bezeichnet. Die Entwicklung der Röntgenastronomie wäre ohne diese moderne Physik nicht möglich gewesen.

Eine Spiralgalaxie mithilfe eines Röntgenteleskops aufgenommen
(Bild: ESA)
Eine Spiralgalaxie mithilfe eines Röntgenteleskops aufgenommen
(Bild: ESA)

Bei Röntgens X-Strahlen handelt es sich um energiereiche Photonen, die nicht mit dem Auge wahrgenommen werden können. Im Kosmos entsteht diese Strahlung in Hochenergie-Prozessen. Die Röntgenquellen der Astrophysik sind allerdings nicht so greifbar wie Röntgens Elektronenstrahlröhre. So verstrich mehr als ein halbes Jahrhundert nach Entdeckung der Röntgenstrahlung, bis die Sonne als erste kosmische Röntgenquelle ausgemacht wurde. 1962 wurde die erste Röntgenquelle jenseits des Sonnensystems im Sternbild Scorpius von Pionieren der Röntgenastronomie entdeckt. Diese Quelle erhielt nach der alten Nomenklatur als erste Röntgenquelle in diesem Sternbild den Namen Scorpius X-1. Sco X-1 ist im optischen Wellenlängenbereich unauffällig. Die Entdeckung löste sofort reges Interesse an der Röntgenastronomie aus. Dieses Interesse ist seit damals nie abgebrochen.

Während es möglich ist, extraterrestrische elektromagnetische Strahlung im Optischen z.B. mit dem Auge oder im Radiobereich mit großen Radioantennen auf der Erdoberfläche zu empfangen, kann im Bereich der Röntgenwellenlängen die Strahlung die Erdatmosphäre nicht durchdringen. Ohne diese schutzgebende Hülle hätte sich auf der Erde überhaupt kein Leben entwickeln können, da Röntgenstrahlung Molekülstrukturen zerstört. Es ist also unmöglich, Röntgenstrahlung astronomischer Quellen mit bodengebundenen Instrumenten zu beobachten. Um kosmische Röntgenstrahlung in hinreichendem Maß registrieren zu können, dürfen die Detektoren nicht viel mehr als 0.1% der Erdatmosphäre über sich haben.

Höherenergetische Röntgenstrahlung durchdringt die Atmosphäre stärker als niederenergetische Röntgenstrahlung. Strahlung mit einer Energie von 30 keV (Das keV ist eine typische Energieeinheit in der Röntgenastronomie, 1 eV = 1,60217733{49} * 10^{-19} J ) dringt bis zu ca. 35 km Höhe durch. Diese Strahlung kann von Detektoren auf speziellen Ballonen gemessen werden. Strahlung mit der Energie von 3 keV kann erst ab einer Höhe von ca. 80 km detektiert werden. Für diese Höhe werden schon Raketen benötigt. Wenn die Strahlung eine Energie von 1 keV hat und parallel zur Erdoberfläche einfällt, so kann sie erst in 200 km Höhe detektiert werden.

Diese Umstände erklären, warum sich die Röntgenastronomie erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeln konnte, als die V2-Raketentechnologie zur Verfügung stand. So entdeckte das Naval Research Laboratory mit dieser Technologie 1949, daß die Sonne Röntgen und UV-Strahlen entsendet. Die Sonne strahlt im Röntgenbereich mit ca. 4 * 10^{20} J/ s eine 10^{6}-mal geringere Leistung ab als im optischen Bereich.

Die Detektoren, die Anfang der 60er Jahre zu Verfügung standen, konnten wegen einer zu geringen Empfindlichkeit die nächsten sonnenähnlichen Sterne nicht als Röntgenquellen identifizieren. So blieb die Sonne bis Anfang der 60er das einzig wirklich interessante Forschungsobjekt für die wenigen Wissenschaftler, die sich mit der Röntgenastronomie befassten.

Die Überraschung war groß, als 1962 bei einer Untersuchung von möglichen Wechselwirkungen von Röntgenstrahlung der Sonne mit der Mondoberfläche zufällig die Röntgenquelle Sco X-1 von R. Giaconni et al. entdeckt wurde. In den USA war diese Untersuchung unter anderem durch das Apollo-Programm motiviert. Mit diesem von Präsident J. F. Kennedy geförderten Programm wollten die USA der Sowjetunion bei der ersten bemannten Mondlandung zuvorkommen. In den wenigen Minuten, in denen sich die Aerobee-Rakete um ihren Umkehrpunkt drehte, registrierten Geiger-Zähler einen heftigen Zählratenausschlag, der weder auf Sonne noch Mond zurückzuführen war. Weitere Röntgen-Beobachtungen mit Raketen konnten Sco-X1 immer besser lokalisieren. 99.9 % der Strahlung von Sco X-1 tritt als Röntgenstrahlung mit einer Leistung von ca. 2 * 10^{30} J / s auf. Sein optischer Begleiter hat eine scheinbare Helligkeit von 13. Größenklasse und kann mit dem bloßen Auge nicht gesehen werden. Mit Raketen- und Ballonexperimenten konnten bis 1970 etwa 50 kosmische Röntgenquellen entdeckt werden.

Welcher Natur Sco X-1 ist, konnte erst 1971 mit dem ersten Röntgensatelliten Uhuru geklärt werden. Es handelt sich dabei um ein Röntgendoppelsternsystem. Im heutigen wissenschaftlichen Jargon wird im Allgemeinen von X-Ray Binaries (XRBs) oder genauer von akkretionsgetriebenen binären Systemen mit kompaktem Objekt gesprochen. Das kompakte Objekt ist bei XRBs entweder ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. Die Energie für die Röntgenstrahlung wird durch Akkretion erzeugt. In diesem Sinn wird Materie des Begleitsterns auf das kompakte Objekt übertragen. Entscheidend dabei ist, dass der Begleitstern z.B. beim Übergang ins “Rote-Riesen-Stadium” ein bestimmtes Volumen ausfüllt, so dass er in den gravitativen Anziehungsbereich des kompakten Begleiters kommt. Bei vielen XRBs wird die Masse über eine Akkretionsscheibe in Spiralbahnen auf das kompakte Objekt beschleunigt. Beim Aufprall der Materie auf die Oberfläche eines Neutronensterns entsteht Röntgenstrahlung. Ist das kompakte Objekt ein Schwarzes Loch, so können Röntgenflüsse in einer Größenordnung von 1039 erg/s entstehen.

Während der drei Jahre langen Uhuru-Mission wurde zum ersten Mal der gesamte Himmel durchmustert. Wegen der wiederholten Aufnahme derselben Regionen wurden von den konventionellen Proportionalzählern auf Uhuru bis zu 10-mal schwächere Quellen detektiert als bei früheren Experimenten. Mit Uhuru konnten 339 Röntgenquellen katalogisiert werden.

Im Oktober 1971 entstand die erste Röntgenastronomische Arbeitsgruppe der Bundesrepublik Deutschland unter der Leitung von Joachim Trümper am Astronomischen Institut in Tübingen. Obwohl diese Arbeitsgruppe anfänglich sehr klein war, konnte sie im Sommer 1973 ein Ballonexperiment in Texas durchführen. Im Sommer 1990 wurde in der Röntgenastronomie mit dem Start von ROSAT (= “ROentgen SATellit“) ein entscheidender Schritt vorwärts gemacht. J. Trümper – damals Direktor am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik (MPE) – war Leiter des wissenschaftlichen ROSAT-Projekts und die beiden einzigen westdeutschen Institute für Röntgenastronomie waren maßgeblich an der Deutsch-Amerikanisch-Britischen-Mission beteiligt.

ROSAT besaß ein Röntgenteleskop mit einer Apertur von 84 cm. In der Fokalebene befanden sich zwei redundante Gasproportionalzähler mit verhältnismäßig guter Energieauflösung sowie eine Multi Channel Plate (MCP)-Kamera mit hoher Ortsauflösung. Mit ROSAT wurde nach Uhuru und HEAO-1 die dritte Durchmusterung des Röntgenhimmels gemacht. Die Zahl der bekannten Röntgenquellen erweiterte sich durch ROSAT von etwa 5.000 auf 150.000 Quellen.

Das ESA-Röntgenteleskop XMM Newton beobachtet im Erdorbit
(Bild: ESA)
Das ESA-Röntgenteleskop XMM Newton beobachtet im Erdorbit
(Bild: ESA)

Die europäische X-Ray-Multi-Mirror-Mission ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Röntgenastronomie. Die Mission XMM wird von der European Space Agency (ESA) getragen. Seit dem gelungenen Start mit einer Ariane 5 im Dezember 1999 trägt der Satellit den Namen XMM-Newton. Seit Sommer 1999 ist auch der X-Ray-Satellite Chandra der NASA im Orbit. Er ist nach dem berühmten Astrophysiker Chandrasekhar benannt, der die theoretische Mindestmasse von Neutronensternen aus der Quantenmechanik berechnete. Da dieser Satellit schon viel von sich Reden gemacht hat, soll von ihm hier nicht die Rede sein.

Charakteristisch für XMM-Newton ist die Fähigkeit, sehr schwache Quellen detektieren zu können. Dies liegt hauptsächlich in der großen effektiven Fläche der Teleskope und der Möglichkeit zu langen Beobachtungszeiten im hochexzentrischen Orbit begründet. Die minimale Strahlungsintensität einer detektierbaren Quelle liegt bei ca. 10-16 erg/ s cm. Damit ist XMM-Newton zehnmal sensitiver als ROSAT. Außerdem ist XMM-Newton für ein breites Energieband empfindlich. Im Röntgenbereich deckt XMM-Newton 0.1 bis 15 keV ab während ROSAT nur von 0.1 bis 2.4 keV empfindlich war. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit zur simultanen Beobachtungen der Röntgenquellen im optischen und UV-Bereich mit einem zusätzlichen Teleskop an Bord. XMM-Newton verfügt mit seinen zwei Reflexionsgitterspektrometern (RGS) über eine hohe spektrale Auflösung und eine gute Winkelauflösung.

Da XMM-Newton mit einer speziellen Röntgen-CCD-Kamera über einen Detektor mit sehr guter Zeitauflösung verfügt, wird die Zeitanalyse von XRBs auch aufschlussreich sein. Ist das kompakte Objekt ein rotierender Neutronenstern, so ist es von Interesse, die zeitliche Änderung bei der Abstrahlung des Röntgenpulsars zu analysieren. Es gibt Pulsperioden, die im Millisekundenbereich liegen. Die Pulsprofile solcher Neutronensterne geben nicht nur Aufschluss über die Geometrie des XRBs, sondern enthalten auch Information über die Akkretionssäulen an den magnetischen Polen des Neutronensterns. Im Vergleich zu bisherigen Beobachtungen im Röntgenbereich wird mit XMM-Newton auch eine bessere Massenbestimmung für Neutronensterne möglich sein.

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