Präsident Bush hat am 14. Januar die Pläne seiner Regierung für die Zukunft des Raumfahrtprogramms der USA vorgestellt. In einer Grundsatzrede im NASA-Hauptquartier in Washington, vor zahlreichen NASA-Mitarbeitern, derzeitigen und ehemaligen Astronauten sowie einigen Kongressabgeordneten, umriss er das Vorhaben. NASA-Chef Sean O’Keefe gab im Anschluss eine Pressekonferenz und erörterte Detailfragen
Ein Beitrag von Gero Schmidt. Vertont von Dominik Mayer.
Im Kern geht es bei der neuen Initiative um eine Rückkehr amerikanischer Astronauten zum Mond, als Vorbereitung für Missionen zu noch weiter entfernten Zielen wie dem Mars. Spätestens im Jahr 2020 soll es soweit sein, möglicherweise könnte die Wiederaufnahme bemannter Mondflüge aber bereits 2015 erfolgen. Eine Marsmission wäre frühestens 2030 möglich. Bereits im Jahr 2008 soll die erste einer Reihe von unbemannten Missionen den Mond näher erforschen, diese sollen gewissermaßen als Wegbereiter für die Astronauten dienen.
Ein neues Raumschiff
Als wichtigsten Schritt zur Verwirklichung dieser Pläne will man ein neues, vielfältig einsetzbares Raumfahrzeug entwickeln, das CEV (= Crew Exploration Vehicle). Es würde die Aufgaben des bislang geplanten OSP (= Orbital Spaceplane) übernehmen, also Astronauten zur ISS (International Space Station) und von dort zurück zur Erde transportieren sowie als Rettungsboot für die Raumstation fungieren. Darüber hinaus würde es aber auch für Missionen jenseits des erdnahen Weltraums, beispielsweise zum Mond, ausgelegt sein. Noch ist nicht klar, wie das CEV aussehen wird, doch wird man bei dessen Entwicklung nicht bei null anfangen, sondern vielmehr auf die bereits geleistete Arbeit für das OSP zurückgreifen: zwei größere Studien von Lockheed Martin und Boeing. Diese beiden Firmen wurden auch bereits angewiesen, bis zum Auslaufen ihrer Verträge im Rahmen des nun eingestellten OSP-Programms, zu untersuchen, inwieweit sich die bisher erarbeiteten Entwürfe für das OSP als Basis für das ehrgeizigere CEV-Programm eignen. Sehr wahrscheinlich wird das CEV Kapselform haben und an der Spitze einer Atlas 5 oder Delta IV-Trägerrakete starten, wie ursprünglich für das OSP geplant.
Ein erster Prototyp könnte bereits 2008 einen unbemannten orbitalen Test durchführen. Darauf aufbauend soll das Raumfahrzeug schrittweise weiterentwickelt werden; eine für bemannte Flüge im tiefen Weltraum geeignete Version ist für spätestens 2014 geplant.
Das CEV würde bei einer Mondlandemission wohl als Orbitalmodul zum Einsatz kommen, es würde also nicht selbst auf dem Mond landen. Ähnlich verhielte es sich bei späteren Missionen zu einem Asteroiden oder zum Mars. Auch hier wäre das CEV nur eins von mehreren Elementen in der Missionsarchitektur.
Das CEV wird ganz auf den Crewtransport ausgelegt sein. Für die Beförderung schwerer Nutzlasten wird die NASA auf unbemannte Trägerraketen setzen. Für bemannte Missionen zum Mond oder zum Mars wäre aber wahrscheinlich ein Trägersystem mit weitaus größerer Nutzlastkapazität nötig, als es die NASA heute besitzt. Wie dieses Problem angegangen werden soll, ist derzeit noch unklar, es gibt aber in jedem Fall eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Eine immer wieder diskutierte Option ist das Shuttle-C-Konzept. Hierbei würden die bereits vorhandene Shuttle-Infrastruktur, sowie der externe Tank und die Feststoffbooster des Shuttle-Systems, benutzt. Allerdings würde der Orbiter selbst durch einen unbemannten Frachtcontainer ersetzt, der als Antrieb die ebenfalls bereits vorhandenen Shuttle-Haupttriebwerke benutzen würde. Die Nutzlast eines solchen Trägersystems läge mindestens dreimal höher als die des jetzigen Shuttle-Orbiters, hätte aber den Nachteil, nicht wieder verwendbar zu sein. Weitere Optionen wären Shuttle-Z (eine Weiterentwicklung des Shuttle-C-Konzepts), Magnum (eine NASA-Studie aus den 90er Jahren, hierbei würden ebenfalls Teile der bereits vorhandenen Shuttle-Hardware benutzt) oder die Energia (eine in den 80er Jahren entwickelte russische Schwerlastträgerrakete). Die Energia wäre vor allem dann eine Option, wenn es bei der Umsetzung der neuen Ziele für die US-Raumfahrt zu einer internationalen Kooperation käme. Präsident Bush machte in seiner Rede ein entsprechendes Angebot.
Eine andere Möglichkeit wäre es, das Mond- oder Marsraumschiff im Erdorbit aus mehreren Einzelkomponenten zusammenzubauen, statt alles auf einmal in den Weltraum zu bringen. Dann könnte eventuell auch die Nutzlastkapazität der heute zur Verfügung stehenden Trägersysteme ausreichen.
Aus für das Space Shuttle
Einer der wichtigsten Punkte im neuen Raumfahrtprogramm ist die Außerdienststellung der Space Shuttles. Die Raumfähren würden, so sieht es der Plan vor, ab 2010 nicht mehr zur Verfügung stehen, sie werden nur noch für die Fertigstellung der ISS gebraucht. Mit der Einstellung des Shuttle-Programms sollen Geldmittel für das Mondprogramm freigemacht werden. Aus demselben Grund wird sich die NASA im nächsten Jahrzehnt schrittweise aus dem fortdauernden Betrieb der ISS zurückziehen und ihre Forschungsaktivitäten in der verbleibenden Zeit vor allem auf die Lösung der bei Langzeitflügen auftretenden Probleme (Muskelabbau, Strahlenbelastung etc.) konzentrieren.
Wie hoch sind die Kosten?
Die Finanzierung der neuen Initiative sieht bislang folgendermaßen aus: In den ersten fünf Jahren (2005-2009) sollen $12 Milliarden für entsprechende Aktivitäten ausgegeben werden, das gesamte NASA-Budget für diesen Zeitraum beträgt $86 Milliarden. Eine Milliarde des $12 Milliarden-Budgets soll zusätzlich bewilligt werden, der Rest kommt durch Kürzungen oder Einstellung anderer NASA-Programme zusammen, die nicht viel oder gar nichts zur Verwirklichung der neuen Ziele beitragen. Wo genau der Rotstift angesetzt wird, steht anscheinend noch nicht fest, jedenfalls wollte sich O’Keefe dazu noch nicht äußern. Geschont werden sollen unbemannte Missionen zur Erforschung von Mond, Mars und Jupiter, sowie Weltraumteleskope für die Suche nach Exoplaneten (Planeten außerhalb unseres eigenen Sonnensystems). Auch Project Prometheus, ein groß angelegtes Forschungsprogramm zur Nutzbarmachung der Kernenergie im Weltraum, soll weiterlaufen.
Eine Milliarde zusätzlich erscheint wenig, doch wird das derzeitige NASA-Jahresbudget (derzeit etwa $15 Milliarden) im angesprochenen Zeitraum aufgestockt werden. Von 2005 bis 2007 soll es um 5 Prozent pro Jahr steigen und in den beiden darauf folgenden Jahren um jeweils 1 Prozent. Das ergäbe ein Budget von gut $18 Milliarden im Jahr 2009. Danach würde nur noch die Inflationsrate ausgeglichen werden.
Natürlich sind $12 Milliarden nur die erste Rate, genaue Schätzungen, was eine Mondlandung und der Aufbau einer permanenten Basis dort insgesamt kosten würden, gibt es derzeit nicht. Nach 2010 werden auf jeden Fall bedeutend größere Beträge zur Verfügung stehen, vor allem bedingt durch die Einstellung des Shuttle-Programms, das derzeit ca. $3,5 Milliarden pro Jahr verschlingt.
Die NASA neu erfinden
Um das neue Programm effizient umsetzen zu können, findet derzeit eine große Umstrukturierung innerhalb der NASA statt. Zahlreiche Bereiche werden neu geordnet, die wichtigste Neuerung ist wohl die Einrichtung einer Art zentraler Verwaltungsstelle im NASA-Hauptquartier, genannt “Office of Exploration Systems”, die alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der neuen Initiative koordinieren soll. Dazu zählen unter anderem das CEV-Programm und Project Prometheus. Das unbemannte Forschungsprogramm wird hier jedoch nicht eingegliedert werden, wenn auch in Zukunft dafür gesorgt werden soll, dass sich Roboter und bemannte Missionen besser ergänzen. Craig Steidle, ein ehemaliger Navy-Admiral, soll das “Office of Exploration Systems” führen.
Außerdem hat der Präsident eine Kommission aus Fachleuten unter Leitung des ehemaligen Air Force-Befehlshabers Pete Aldridge eingesetzt, die genauere Pläne ausarbeiten soll. Der erste Bericht wird in vier Monaten erwartet.
Nur ein Wahlkampftrick?
Alles in allem kann man die Pläne der Bush-Regierung als die wichtigste Neuausrichtung der NASA seit mehr als 30 Jahren ansehen. Sollten sie umgesetzt werden, so wären die Tage des Shuttles gezählt und der Weg frei für bemannte Missionen jenseits des erdnahen Weltraums, zum ersten Mal seit Ende des Apollo-Programms.
Im Vorfeld der offiziellen Bekanntgabe und in den Tagen unmittelbar danach kam von vielen Seiten Kritik. Viele sehen das neue Weltraumprogramm nur als Wahlkampfhilfe für Präsident Bush an oder mahnen, das Geld lieber zur Reduzierung des US-Haushaltsdefizits bzw. ganz allgemein zur Lösung der Probleme auf der Erde einzusetzen. Hier tun sich leider besonders die demokratischen Präsidentschaftskandidaten hervor, so dass eine Umsetzung der Pläne im Falle eines Wahlsiegs der Demokraten, zum Beispiel durch ihren derzeitigen Favoriten Howard Dean, bestenfalls zweifelhaft wäre.
Beide Behauptungen, ein solches Raumfahrtprogramm ruiniere die Staatfinanzen bzw. sei nur eine Inszenierung für Bushs Wahlkampf, lassen sich nicht belegen. Das NASA-Budget macht weniger als 1 Prozent des Gesamthaushalts der USA aus, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Außerdem fördert ein Raumfahrtprogramm die Schaffung von Arbeitsplätzen und erhöht die Absolventenzahlen für technische und naturwissenschaftliche Berufe deutlich, Apollo ist dafür der beste Beweis. Insgesamt würde das Defizit durch ein solches Programm also eher schrumpfen als wachsen, zumal der Großteil der Ausgaben durch das bereits bestehende NASA-Budget gedeckt werden kann.
Was die Lösung der Menschheitsprobleme allgemein angeht, so könnten die relativ bescheidenen Mittel für die Raumfahrt hier auch keine große Veränderung bewirken und es ist zu fragen, ob es nicht Bereiche gibt, die zu kürzen sinnvoller wäre, beispielsweise die Agrarsubventionen (ca. $300 Milliarden/Jahr, weltweit) oder die Militärausgaben (ca. $800 Milliarden/Jahr, weltweit).
Zur zweiten Behauptung: Dass Bush seine Ankündigung einer neuen großen Weltrauminitiative im Wahlkampf verwerten wird, ist sicherlich richtig. Die Frage ist aber, ob das Projekt hauptsächlich zu diesem Zweck ins Leben gerufen wurde. Wenn man bedenkt, dass bereits im Februar 2003, als direkte Reaktion auf das Columbia-Unglück, eine interne Expertengruppe des Weißen Hauses unter Leitung von Vizepräsident Cheney mit der Erörterung möglicher Optionen für das zukünftige Raumfahrtprogramm begann, scheint dies schwer vorstellbar. Wichtiger als etwaige strategische Erwägungen hinsichtlich des Präsidentschaftswahlkampfs erscheint auch der erste bemannte Raumflug der Chinesen im Oktober vergangenen Jahres. Auf den ersten Blick scheint auch die erfolgreiche Landung des Mars-Rovers Spirit ein wichtiger Faktor gewesen zu sein, doch berichtet die Webseite nasawatch.com, die als erste überhaupt konkrete Informationen zu den Plänen der Bush-Regierung vorweisen konnte, dass die Entscheidung für eine Bekanntgabe der Pläne am 14. Januar bereits vor der Spirit-Landung getroffen worden sei und auch Bestand gehabt hätte, wäre Spirit gescheitert.
Außerdem scheint eine Menge Arbeit in die Ausarbeitung der Pläne gesteckt worden zu sein, was die Vorstellung von einem “Schnellschuss” der Regierung noch unglaubwürdiger macht. Aus diesem Grund bestehen diesmal auch bessere Chancen für eine tatsächliche Umsetzung des Programms, als bei früheren Versuchen. Berüchtigt ist vor allem die gescheiterte “Space Exploration Initiative” von Bushs Vater von 1989. Die NASA blieb damals bei der Formulierung der Ziele außen vor und hatte zu dem Zeitpunkt alle Hände voll damit zu tun, den Bau der Raumstation Freedom (die heutige ISS) durch den Kongress bewilligt zu bekommen. Als Reaktion auf die Ankündigung des Präsidenten, das Raumfahrtprogramm stark auszuweiten, produzierte sie den “90-day-report”. Hierbei handelte es sich nicht um einen durchdachten Plan, sondern vielmehr um eine Wunschliste aller NASA-Zentren und Forschungsgruppen, die hier ihre große Chance witterten, ihre jeweiligen Lieblingsprojekte endlich zu verwirklichen. Entsprechend waren die geschätzten Kosten: zwischen $450 und 500 Milliarden. Der Kongress und auch Bush Sen. selbst waren verständlicherweise wenig begeistert und so verschwand der groß angekündigte Plan in der Schublade.
Ein Neuanfang
Man hat die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt. Die NASA war diesmal aktiv an der Ausarbeitung der neuen Initiative beteiligt und die Finanzierung scheint realistisch; vor allem hat man endlich begriffen, dass ein Auftrag vom Präsidenten keinen Blankoscheck bedeutet. Hilfreich dürfte auch das gute persönliche Verhältnis zwischen NASA-Chef O’Keefe und Präsident Bush sowie Vizepräsident Cheney sein. Außerdem war O’Keefe, bevor er zur NASA kam, stellvertretender Direktor des OMB (= “Office of Management and Budget”), also einer jener Bürokraten, über deren Knauserigkeit sich Raumfahrtbefürworter immer gerne aufregen; so kennt er sicherlich die Spielregeln.
Ob man mit der Zielsetzung des Plans an sich einverstanden ist, hängt wohl vor allem davon ab, ob man sich eher für eine Rückkehr zum Mond oder eine bemannte Marsmission begeistern kann. Für letztere gibt es scheinbar keinen konkreten Zeitplan, geschweige denn Kostenschätzungen. Robert Zubrins Mars Direct Plan scheint keine Beachtung gefunden zu haben. Allerdings ist wirklich fraglich, ob die NASA von heute es schaffen könnte, wie Zubrin behauptet, innerhalb von nur zehn Jahren Menschen zum Mars zu schicken, und das für $30-40 Milliarden. Immerhin hat die NASA nur sehr begrenzte Erfahrungen mit Ausflügen in den tiefen Weltraum, und viele der Leute, die Apollo damals zu einem Erfolg gemacht haben, leben bereits nicht mehr oder sind im Ruhestand. Man könnte also eine erneute Mondmission schon allein damit rechtfertigen, dass die NASA nach über 30 Jahren im Erdorbit erst wieder die Grundlagen erlernen muss. Letztlich ist eine solche Diskussion, Mond oder Mars, auch müßig; als Raumfahrtbefürworter sollte man schließlich im Grunde beides unterstützen.
Auf jeden Fall hat die NASA mit der Bekanntmachung der neuen Initiative wieder eine echte Zukunftsperspektive bekommen und einen klaren Plan für die Zeit nach der ISS.