Der europäische Erdbeobachtungssatellit Envisat sammelte im März 2011 Daten, die für so niedrige Ozonwerte wie nie zuvor über der Nordhalbkugel im europäisch-atlantischen Sektor der Arktis sprechen.
Quelle: ESA.
Ungewöhnlich starke Winde hatten die niedrigen Ozonwerte verursacht. Die auch als Polarwirbel bezeichneten Luftströmungen verhindern eine Vermischung der Luftmassen über dem Nordpol mit Luft aus niedrigeren Breiten und sorgen für einen Isolation der Atmosphäre über dem Pol. Dadurch kam es zu sehr tiefen Temperaturen und Bedingungen, wie sie üblicherweise regelmäßig über der Antarktis auf der Südhalbkugel auftreten.
Als die Märzsonne auf die kalte Luft über der Arktis traf, wurden Bor- und Chloratome frei. Bor und Chlor sind Gase, die über Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) in die Atmosphäre eingetragen werden, und in atomarer Form Ozon in normalen molekularen Sauerstoff O2 umwandeln können. Letzteres geschieht hauptsächlich in der unteren Stratosphäre rund 20 Kilometer über der Erdoberfläche.
Ozon stellt in der Atmosphäre eine Schutzschicht vor einem zu hohen Ultraviolettanteil im Sonnenlicht dar. In rund 25 Kilometern Höhe wirkt Ozon als Filter, der beispielsweise das Risiko von Hautkrebs und Augenschäden deutlich reduziert, und so auch das Leben im Meer begünstigt.
Über der Arktis variieren Temperaturen von Winter zu Winter in einer großen Bandbreite. Im Winter 2010 waren Temperaturen und der Ozongehalt in der Atmosphäre über der Arktis sehr hoch. Besonders niedrige Temperaturen über dem Nordpol waren zum letzten Mal im Winter 1997 gemessen worden.
Wissenschaftler untersuchen jetzt, warum in den Wintern 2011 und 1997 so außergewöhnlich niedrige Temperaturen auftraten. Außerdem versuchen sie herauszufinden, ob diese scheinbar zufällig auftretenden Zustände in einer Beziehung zum weltweiten Klimawandel stehen.
Angesichts des Klimawandels könnte man erwarten, dass die Durchschnittstemperatur in der Stratosphäre sinkt, was zu einer ausgedehnteren Zerlegung von Ozon führen würde. Andererseits gibt es Studien, die auf eine Ausdehnung der Luftmassenumwälzung über der nördlichen Hemisphäre sprechen, wodurch aus den Tropen herangeführtes Ozon die Verluste durch die Ozonzerlegung über der Arktis reduzieren könnte.
Für eine fundierte Prognose, wie sich der Ozongehalt über der Arktis entwickeln wird, werden verbesserte Modelle und zusätzliche Beobachtungsdaten benötigt. Ohne die schon erfassten Daten wäre sie überhaupt nicht möglich. Die Europäische Weltraumagentur (ESA) widmet den erforderlichen Forschungen ein eigenes Projekt.
Die Messungen von Envisats Instrumenten GOMOS, MIPAS und Sciamachy liefern einzigartige Informationen über den Ozongehalt in der Atmosphäre. Weil diese so wichtig für die Bestimmung der einzelnen chemischen und dynamischen Prozesse sind und bei der Beurteilung des Einflusses des Klimawandels auf die Stratosphäre helfen, hofft man, die Instrumente des alternden Satelliten noch möglichst lange betreiben zu können.
Nach dem Bann durch das Protokoll von Montreal, verabschiedet im September 1987 von den Vereinten Nationen, sind die FCKW noch lange nicht aus der Luft verschwunden. Immerhin ist eine Abnahme ihrer Konzentration zu verzeichnen. Trotzdem werden sie in den kommenden Dekaden immer wieder gravierende Ozonverluste verursachen, sinken die Wintertemperaturen nur tief genug ab.