Am Samstag, den 19. Februar 2022 war es 100 Tage her, dass ESA-Astronaut Matthias Maurer im Rahmen seiner ersten Mission, Cosmic Kiss, zur Internationalen Raumstation ISS gestartet ist. Er flog an Bord eines SpaceX Dragon-Raumschiffs zusammen mit der NASA-Astronautin Kayla Barron und den NASA-Astronauten Raja Chari und Tom Marshburn als Mitglied der Crew-3. Aber schon bevor er ins All startete, wurde er zum Testobjekt für die Wissenschaft. Eine Information der Europäischen Weltraumorganisation (ESA).
Quelle: ESA.
Proben, die Matthias zur Verfügung gestellt hat, und Tests, die er vor dem Start durchgeführt hat, dienen als Ausgangsbasis für Ergebnisse im Weltraum. Viele der von Matthias unterstützten Humanexperimente erfordern dasselbe, wenn er zur Erde zurückkehrt. Dies ermöglicht den Forscherinnen und Forschern eine gründliche Analyse der Auswirkungen der Schwerelosigkeit und ein besseres Verständnis der Auswirkungen eines Langzeit-Raumflugs auf den menschlichen Körper.
Humanexperimente – alt und neu
Einige Namen der Humanexperimente, an denen Matthias mitwirkt, klingen vielleicht noch bekannt: Kurz nach seiner Ankunft im Orbit führte er seine erste Versuchsreihe mit dem DLR-Experiment Myotones durch, das Alexander Gerst bereits im Rahmen der ESA-Mission Horizons im Jahr 2018 durchführte.
Mit einem Gerät, das ein wenig wie ein Tricorder aus Star Trek aussieht, misst Myotones die biochemischen Eigenschaften der Muskeln wie Muskeltonus, Steifheit und Elastizität während eines Langzeit-Raumflugs. Doch dieses Mal wurde das Experiment mit einer neuen DLR-Studie kombiniert, die unter der wissenschaftlichen Leitung des Zentrums für Weltraummedizin der Charité in Berlin und des Europäischen Astronautenzentrums (EAC) der ESA durchgeführt wird: EasyMotion.
EasyMotion nutzt einen EMS-Anzug (Elektro-Muskel-Stimulation), um die Muskulatur des Trägers beim Training zu aktivieren und so die körperliche Fitness im Weltraum zu optimieren. Die kombinierten Daten vor, während und nach dem Flug werden verwendet, um die physiologische Belastung der Astronautinnen und Astronauten zu verstehen, und könnten zu neuen Rehabilitationsbehandlungen auf der Erde beitragen.
Zu den anderen „Wearables“ beziehungsweise Technologien, die Matthias in den letzten 100 Tagen am Körper getragen hat, gehören ein Wärmesensor an seiner Stirn zur Überwachung seiner Kerntemperatur und seines zirkadianen Rhythmus für das Thermo-Mini-Experiment des DLR, ein Stirnband zur Überwachung der verschiedenen Schlafphasen und der Schlafeffizienz für das Experiment DREAMS der französischen Raumfahrtagentur CNES sowie eine Atemmaske und zwei Geräte an seiner Brust für das DLR-Experiment Metabolic Space. Die Metabolic-Space-Geräte überwachen die Herzfrequenz sowie den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt, während ihr Träger auf dem CEVIS-Ergometer der Station trainiert. Ziel ist es, die kardiopulmonale Diagnostik zu verbessern und die Leistung im Weltraum besser zu beurteilen, ohne die Mobilität einzuschränken.
Eine ausgewogene Ernährung ist ein weiterer wichtiger Aspekt für die Erhaltung der Gesundheit im Weltraum. Das bereits bekannte Experiment „Nutrition Monitoring for the International Space Station“ (NutrISS) der italienischen Weltraumagentur ASI hat Matthias dabei unterstützt, seine Energiezufuhr zu verfolgen und anzupassen.
Mit einer speziellen Waage misst Matthias seine Körperzusammensetzung und -masse in der Schwerelosigkeit. Diese Daten zusammen mit den Ernährungsinformationen, die über die von der französischen Raumfahrtagentur CNES in Zusammenarbeit mit den Weltraummedizinerinnen und -medizinern von MEDES entwickelte Everywear-App bereitgestellt werden, ermöglichen es den Spezialistinnen und Spezialisten am Boden, seine Ernährung zu überwachen und bei Bedarf Empfehlungen zu geben.
Als Augen und Ohren Europas im Weltraum standen natürlich auch Matthias‘ Seh- und Hörvermögen im Fokus. Matthias und seine NASA-Crewkollegen Thomas Marshburn und Raja Chari haben ihre Augen für Retinal Diagnostics zur Verfügung gestellt – ein ESA/DLR Experiment, bei dem ein KI-Modell zur Diagnose von Veränderungen des Sehnervs bei längeren Aufenthalten im Weltraum untersucht und entwickelt wird. Matthias hat auch sein Gehör im Rahmen des ASI-Experiments Acoustic Diagnostics getestet. Bei diesem Experiment werden die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das Gehör einer Astronautin oder eines Astronauten untersucht, indem Kopfhörer mit einem speziellen Messgerät verwendet werden, das die Reaktion des Ohrs auf Schall überwacht.
Berührende Angelegenheiten
„Gründliches und häufiges Händewaschen“ sind zu Schlagwörtern im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie geworden. Denn Mikroorganismen lassen sich leicht über gewöhnliche Oberflächen wie Türklinken und Lichtschalter verbreiten, und das gilt auch für den Weltraum.
In der Kubik-Anlage, einem temperaturgesteuerten Inkubator zur Untersuchung biologischer Proben im europäischen Columbus-Modul der ISS, wurde in einem DLR-Experiment mit dem Namen Biofilms das Wachstum von Bakterien wie dem mit der menschlichen Haut assoziierten Bakterium Staphylococcus capitis untersucht.
Bei einem weiteren DLR-Experiment mit der Bezeichnung „Touching Surfaces“ wird eine Reihe von fünf Plättchen aus verschiedenen Materialien der Innenumgebung der Raumstation ausgesetzt. Matthias und seine Astronautenkolleginnen und -kollegen wurden aufgefordert, diese Plättchen häufig zu berühren, bevor sie zur Analyse auf die Erde zurückgebracht werden.
Die Handhabung von Objekten in der Schwerelosigkeit
Während seine NASA-Kollegin und -kollege Kayla Barron und Raja Chari die europäischen Experimente Grip und Grasp unterstützten, widmete Matthias sich dem CNES-Experiment Ultrasonic Tweezers. Dieses Experiment zielt darauf ab, Objekte oder Flüssigkeiten mit der Kraft von Schall zu bewegen, zu bearbeiten und zu untersuchen, ohne jemals mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Eine akustische Pinzette verwendet Ultraschall zum Einfangen von Objekten. Durch die Bewegung des Schallstrahls ist es möglich, ein Objekt mit großer Präzision zu bewegen. Das Experiment „Ultrasonic tweezers“ untersucht, wie diese Technik in der Schwerelosigkeit eingesetzt werden kann, um kleine Plastik- oder Glasmurmeln einzufangen und sie durch einen Hindernisparcours zu bewegen. Wenn das Experiment erfolgreich verläuft, soll es auf der Raumstation bleiben und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Astronautinnen und Astronauten genutzt werden, um andere Materialien, Gele und Flüssigkeiten und sogar gefährliche Materialien oder biologisches Material ohne Kontaminationsgefahr zu untersuchen.
Der Vorläufer von „gedruckter“ Haut
Das Bioprint-First-Aid-Experiment des DLR könnte dazu führen, dass Astronautinnen und Astronauten bei Missionen fern der Erde Pflaster aus ihren eigenen Hautzellen drucken. Matthias startete jedoch zunächst mit fluoreszierenden Mikropartikeln in Kombination mit zwei schnell aushärtenden Gelen.
Mit einem tragbaren Biodrucker druckte Matthias gipsähnliche Wundabdeckungen auf seine mit Folie bedeckten Gliedmaßen. Diese Abdeckungen werden dann zur Erde zurückgeschickt, wo sie analysiert und getestet werden, um die Technologie für den Weltraum weiter zu verfeinern.
Altern im Weltraum
Zurück im Kubik-Minilabor und nach einer neuen Lieferung vorweihnachtlicher wissenschaftlicher Experimente hat Matthias synthetische Muskelzellen von der Größe eines Reiskorns für die Inkubation bei 37 °C vorbereitet. Einige dieser Zellen wurden elektrisch stimuliert, um Kontraktionen in der Schwerelosigkeit auszulösen, während andere durch Zentrifugation der künstlichen Schwerkraft für ein Experiment der britischen Weltraumbehörde, UK Space Agency, namens Microage ausgesetzt wurden.
Die Zellen kehrten mit dem Cargo Dragon 24 zur Analyse auf die Erde zurück. Die Erkenntnisse aus diesem Experiment könnten eines Tages dazu beitragen, dass Menschen ihre Kraft und Beweglichkeit bis ins hohe Alter besser erhalten können, da die Forscherinnen und Forscher besser verstehen, wie sich Muskeln abbauen.
Konkrete Ergebnisse
Matthias hat seinem Nachnamen alle Ehre gemacht, indem er im Weltraum Betonproben anrührte.
Mit dem DLR-Experiment MASON/Concrete Hardening soll untersucht werden, wie verschiedene Betonmischungen aus Zement und Sand oder simuliertem Mondstaub in Kombination mit Wasser und verschiedenen Zusatzstoffen in der Schwerelosigkeit aushärten. Diese Erkenntnisse werden zur Entwicklung neuer, verbesserter Betonmischungen für den Bau von Habitaten auf dem Mond, dem Mars und von nachhaltigem Wohnraum auf der Erde beitragen.
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum: