Erstmalig ist es gelungen, Dunkle Materie in einer klaren Struktur zu beobachten. Damit konnte man Modelle für deren Interaktion mit der Gravitation prüfen.
Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: NASA. Vertont von Karl Urban.
Die häufigste Substanz des Universums heißt Dunkle Materie. Diesen Namen hat sie nicht ohne Grund: Obwohl sie fast acht mal häufiger ist als gewöhnliche Materie, aus der Sterne, Planeten und interstellare Nebel aufgebaut sind, wissen wir noch immer sehr wenig über ihre Natur. Das größte Problem dabei ist, dass sie selbst nicht leuchtet oder mit gewöhnlicher Materie interagiert, was die astronomische Beobachtung stark verkompliziert.
Astronomen ist es nun gelungen, mit Hilfe des Hubble– Weltraumteleskops einen gigantischen Ring aus Dunkler Materie zu beobachten, der sich im jungen Universum nach der Kollision zweier Galaxiencluster bildete. Lange hatten Wissenschaftler nach der Ursache dafür gesucht, warum Galaxiencluster – Zusammenballungen dutzender Galaxien – sich überhaupt bilden. Eigentlich sollten sie im Laufe der Zeit auseinanderfliegen, wenn lediglich die sichtbaren Sterne für alle Gravitation verantwortlich wären. Daher hatte man Dunkle Materie postuliert, ohne jedoch genau zu wissen, worum es sich dabei handelte.
„Wir haben das erste Mal Dunkle Materie gefunden, die eine einzigartige Struktur besitzt und die sich deutlich unterscheidet von Gas und Sternen innerhalb des Clusters“, sagte M. James Jee von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. „Obwohl wir bereits in anderen Galaxien Beweise für die Existenz Dunkler Materie finden konnten, war es bisher nicht möglich, sie so stark separiert von der gewöhnlichen Materie des Galaxienclusters zu finden.“
Der Ring wurde während der Kartierung von Dunkler Materie innerhalb des Galaxienclusters Cl 0024+17 entdeckt, der sich rund fünf Milliarden Lichtjahre von uns entfernt befindet. Sein Durchmesser liegt bei 2,6 Millionen Lichtjahren. Obwohl der direkte Nachweis dafür, dass es sich um Dunkle Materie handelt, nicht möglich ist, lassen sich dessen Auswirkungen gut verfolgen. Hierfür beobachten die Astronomen, wie die Gesamtgravitation des Clusters, die von gewöhnlicher und Dunkler Materie verursacht wird, auf das Licht von dahinter liegenden Objekten wirkt. Der nun gefundene Ring weist eine ähnliche Struktur auf, wie Wellen um einen Stein, der ins Wasser geworfen wird.
„Ich war verärgert, als ich den Ring zuerst sah, weil ich ihn für ein Artefakt hielt, das auf Fehler in unseren Daten hingewiesen hätte“, erklärte Jee. „Ich wollte meinem Ergebnis nicht trauen. Je mehr ich aber versuchte, den Ring wegzubekommen, desto deutlicher war er zu erkennen. Ich brauchte mehr als ein Jahr, um mich selbst davon zu überzeugen, dass der Ring echt war. Ich habe bereits eine Menge Galaxiencluster gesehen – aber so etwas noch nie.“
Auf der Suche nach der Ursache für die Entstehung des Rings, fand Jee eine Veröffentlichung von Oliver Czoske von der Universität Bonn aus dem Jahr 2002. Czoske beschrieb darin, wie sich der Galaxiencluster vor ein bis zwei Milliarden Jahren durch die Kollision zweier früherer Cluster gebildet habe. Er hatte hierfür spektroskopische Daten der dreidimensionalen Struktur des Objektes verwendet. Innerhalb dieser Struktur hatte er zwei Gruppen von Galaxien ausmachen können.
Computersimulationen des Teams um M. James Jee haben nun gezeigt, dass sich bei der Kollision zweier Galaxiencluster deren Dunkle Materie im Zentrum zusammenballt, um sich dann nach außen zu bewegen. Auf diesem Weg wird es durch den Sog der Gravitation jedoch abgebremst. Dass man dieses Ereignis nun tatsächlich in Form eines Rings beobachten konnte, ist reiner Zufall: Den Cluster Cl 0024+17 sehen wir nur durch Glück gerade von „oben“, so dass die kreisrunde Form erkennbar wird.
„Nach den aktuellen Beobachtungen verstehen wir besser, wie Dunkle Materie mit der Gravitation interagiert“, sagte Teammitglied Holland von der Johns-Hopkins-Universität. „Die Natur hat hier ein Experiment für uns gemacht, dass wir nicht im Labor durchführen können – und es stimmte mit unseren theoretischen Modellen überein.“