Kliper: Die Zukunft der russischen Raumfahrt – und der europäischen?

Es hat sich einiges getan seit die russische Raumfahrtbehörde im Februar 2004 ankündigte, einen bemannten Raumgleiter namens Kliper zu entwickeln. Mit der Ankündigung der europäischen Raumfahrtagentur ESA, sich an dem Projekt beteiligen zu wollen, sind dessen Realisierungschancen deutlich gestiegen.

Autor: Gero Schmidt. Vertont von Dominik Mayer.

In Anbetracht der Tatsache, dass eine solche Kooperation Kliper wohl auch zu einem wichtigen Element in zukünftigen europäischen Raumfahrtplanungen machen würde, ist eine nähere Betrachtung des Vorhabens angebracht.

Kliper soll zu Beginn des nächsten Jahrzehnts die Sojus-Kapseln ablösen, die nun schon seit bald vier Jahrzehnten Kosmonauten in den Weltraum bringen und, seit Ende des Kalten Krieges, auch westliche Astronauten – und hin und wieder einen Weltraumtouristen. Auch wenn dieses Arbeitspferd der sowjetisch-russischen Raumfahrt seine Zuverlässigkeit und Sicherheit sowie seine Wirtschaftlichkeit seit dem ersten Start immer wieder unter Beweis gestellt hat, so hat es doch über die Jahre hinweg wiederholt Bestrebungen gegeben, Sojus durch ein neues Raumfahrzeug zu ersetzen.

In den 1980er Jahren entwickelte man den Buran-Raumtransporter, das sowjetische Pendant zum amerikanischen Space Shuttle, das diesem frappierend ähnlich sah. Doch wie sein amerikanisches Vorbild war auch der russische Shuttle sehr teuer im Betrieb, weitaus teurer als die Wegwerf-Sojus-Kapseln, was dazu führte, dass das Projekt Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eingestellt wurde. Nach dem ersten und zugleich letzten (unbemannten) Testflug im November 1988 wurde die Buran-Raumfähre zusammen mit weiteren Exemplaren, deren Fertigstellung bis zu diesem Zeitpunkt unterschiedlich weit vorangekommen war, eingemottet. Inzwischen ist die Infrastruktur des Buran-Programms weitgehend verfallen, und der Buran-Orbiter selbst wurde 2002 zerstört, als die Decke der Halle, in der er gestanden hatte, einstürzte. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass der russische Space Shuttle noch einmal zurückkommen wird, auch wenn es in den russischen Medien immer wieder derartige Meldungen gibt.

Neben Buran gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten weitere Anstrengungen, einen Nachfolger für Sojus zu entwickeln. Allerdings produzierte keines dieser Entwicklungsprogramme flugfähige Hardware.

Ein 1:1-Modell von Kliper in einem Hangar.

Ein Raumschiff für das 21. Jahrhundert

Im Jahr 2000 startete das Raumfahrtunternehmen RKK Energia auf Anfrage der russischen Raumfahrtbehörde einen neuen Anlauf. Energia hat bislang alle bemannten russischen Raumfahrzeuge entwickelt, einschließlich der Sojus.

Aufbauend auf verschiedenen Studien sowohl aus den 90er Jahren als auch aus Sowjetzeiten entwickelte man das Konzept eines kleinen, auf den Crewtransport ausgelegten Raumfahrzeugs. Der grundsätzliche Ansatz war der eines so genannten lifting body, d. h. das Raumfahrzeug sollte so geformt sein, dass sein Rumpf selbst Auftrieb erzeugen würde. Auf Flügel könnte so verzichtet (und damit Gewicht gespart) werden, und doch hätte das Vehikel einige der Vorteile eines geflügelten Gleiters: höhere Manövrierfähigkeit und geringere g-Belastungen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre als bei einer Kapsel. Für Kliper konnte man hier auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, da bereits zu Zeiten der sowjetischen Raumfahrt mit lifting bodies experimentiert und auch in den 90er Jahren auf diesem Gebiet weiter geforscht worden war. Kliper hätte in dieser Form Fallschirme zur Landung genutzt.

Der Design-Prozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Nachdem es Anfang 2004, als erste Entwürfe präsentiert wurden, noch so aussah, als würde Kliper ein reines lifting body-Design werden, gibt es nun verstärkt Anzeichen, dass dem Raumgleiter doch noch Flügel wachsen könnten: Auf der Flugschau Le Bourget im Juni diesen Jahres wurde ein geflügeltes Kliper-Modell ausgestellt, und ein leitender Ingenieur bemerkte, ebenfalls im Juni 2005, man sei sich nun zu 99% sicher, dass Kliper ein Raumfahrzeug mit kleinen Flügeln werden solle. Diese würden es ermöglichen, auf einer Rollbahn zu landen.

Modell der geflügelten Kliper-Variante auf der Luft- und Raumfahrtmesse Le Bourget.
(Bild: ESA).


Der Raumgleiter soll sechs Personen und weniger als eine Tonne Fracht transportieren können. Sojus bietet maximal drei Personen Platz.
Kliper ist primär für Missionen zur Internationalen Raumstation ISS konzipiert, wo er bis zu ein Jahr angedockt bleiben können und im Notfall als Rettungsboot fungieren soll. Doch er soll auch in der Lage sein, bis zu zehn Tage auf sich gestellt im Weltraum zu operieren. Das eröffnet die Möglichkeit, dass das neue Vehikel, in modifizierten Versionen, auch bei bemannten Missionen zum Mond und schließlich zum Mars zum Einsatz kommen könnte, auch wenn solche Pläne zum jetzigen Zeitpunkt wohl als Spekulation angesehen werden müssen.

Der grundlegende Aufbau des Raumfahrzeugs ähnelt dem der Sojus: es gibt ein Wiedereintrittsmodul und ein Orbitalmodul. Das Wiedereintrittsmodul ist allerdings, im Gegensatz zum kapselförmigen Wiedereintrittsmodul der Sojus, wiederverwendbar. Bis zu 25 mal sollte dieses – einem Bügeleisen nicht unähnliche – Rückkehrmodul nach den Vorstellungen der russischen Ingenieure verwendet werden können, bevor eine Generalüberholung fällig würde.
Das Orbitalmodul des Kliper, welches der Besatzung als Wohnraum dient und das Andocksystem beherbergt, soll direkt von der Sojus übernommen werden. Es ist allerdings Teil eines neu zu entwickelnden Servicemoduls, in dem die Treibstofftanks für die Antriebssysteme sowie Wasser- und Sauerstoffvorräte für autonome Flugphasen untergebracht sind.

Das Servicemodul (mit dem darin integrierten Orbitalmodul) befindet sich hinter dem Wiedereintrittsmodul. Das dritte Hauptelement des Raumfahrzeugs ist das Rettungsmodul, welches bei einem Unfall auf der Startrampe oder während des Aufstiegs in den Orbit, die Besatzung im Wiedereintrittsmodul so schnell wie möglich von der Rakete weg befördern soll. Es könnte entweder als Rettungsturm an der Spitze des Raumfahrzeugs montiert werden (ähnlich wie bei der Sojus) oder am hinteren Ende als Nutzlastadapter zwischen Kliper und der Trägerrakete sitzen. In letzterem Fall könnte die Antriebskapazität des Rettungsmoduls genutzt werden, um beim Erreichen der Umlaufbahn zu helfen, was Gewicht sparen würde.

Die Trägerrakete: Eine offene Frage

Derzeit ist noch unklar, welche Trägerrakete Kliper nutzen wird. Eine Möglichkeit wäre die Onega, eine stark überarbeitete Version der Sojus-Trägerrakete. Diese Rakete mit einer neuen, leistungsfähigeren Oberstufe hätte eine etwa doppelt so hohe Nutzlastkapazität wie der Sojus-Träger. Kliper ist auch etwa doppelt so schwer wie die Sojus-Kapsel.
Onega hätte den Vorteil, dass damit wohl auch die Sojus-Startanlagen in Kourou, Französisch-Guiana, die dort im Rahmen einer Kooperation zwischen der russischen Raumfahrtbehörde und der ESA zur Zeit entstehen, nutzbar wären. Sollte sich die ESA tatsächlich an der Entwicklung von Kliper beteiligen, wäre Onega wohl die naheliegende Wahl.

Dieser Träger wäre aber auch mit die teuerste Option, weshalb Energia bereits Alternativen ins Auge gefasst hat. Eine Möglichkeit wäre die in der Ukraine produzierte Zenith. Diese Trägerakte wird derzeit von Sealaunch, einem von Boeing geführten Unternehmen für kommerzielle Satellitenstarts, genutzt. In den 80er Jahren wurde die Zenith außerdem als Booster für die mächtige Energia-Trägerrakete eingesetzt, auf deren Rücken auch Buran in die Erdumlaufbahn gebracht wurde. Gegen Zenith sprechen aus russischer Sicht vor allem politische Überlegungen, da man seit dem Ende der Sowjetunion versucht, die russische Raumfahrtindustrie auf dem eigenen Territorium zu konzentrieren. Die Nutzung eines in der Ukraine gefertigten Trägers würde diesen Bestrebungen zuwiderlaufen.

Eine dritte Option wäre Angara, eine Trägerrakete mit modularem Design (ähnlich den amerikanischen Delta IV– und Atlas V-Raketen), die derzeit vom russischen Raumfahrtunternehmen Khrunichev entwickelt wird. Der genaue Status dieses Projekts ist allerdings unklar.

Derzeitige Lage und Ausblick

Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die russische Regierung Gelder für die Entwicklung von Kliper im Raumfahrtbudget der nächsten zehn Jahre (2006-2015) eingeplant hat. Das Budget sieht insgesamt etwa 8,5 Milliarden Euro für diesen Zeitraum vor. Damit ist der rückläufige Trend in den russischen Raumfahrtausgaben, der seit Ende des Kalten Krieges vorherrschte, endgültig beendet. Wie groß der für Kliper vorgesehene Anteil an diesen Mitteln ist, wurde allerdings nicht bekannt. Die Kostenschätzungen für das Projekt schwanken gewaltig, die höchste liegt bei drei Milliarden Dollar.

Seit der offiziellen Vorstellung des Projekts Anfang 2004 gab es von russischer Seite Versuche, finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu gewinnen. Zumindest die ESA scheint mittlerweile überzeugt. Jean-Jacques Dordain, der Leiter der europäischen Raumfahrtbehörde, will eine mögliche Beteiligung an Kliper auf die Tagesordnung der nächsten Ministerratssitzung setzen, die kommenden Dezember in Berlin stattfinden wird. Noch ist unklar, ob es dabei zu einer festen Zusage kommen könnte, oder ob erst einmal Vorstudien für eine Kooperation initiiert werden sollen.
Auch Japan ist um Mithilfe gebeten worden und könnte eventuell die Realisierung von Kliper unterstützen.

Sollten die Europäer an Bord kommen, würden sie den Russen nicht nur finanziell unter die Arme greifen, sondern sich auch aktiv an der Entwicklung einzelner Komponenten des Raumfahrzeugs beteiligen – und damit Know-how in Sachen bemannte Raumfahrt sammeln.

Sollte Kliper tatsächlich innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre – der Zeitplan dürfte weitgehend von der Finanzierung abhängig sein – realisiert werden, so wäre damit die Versorgung der ISS auch nach dem geplanten Ausstieg der Amerikaner gegen Mitte des nächsten Jahrzehnts sichergestellt. Insbesondere wäre mit Kliper eine sechsköpfige Stammbesatzung der ISS möglich, da der neue Raumgleiter, anders als die Sojus, im Notfall allen Crewmitgliedern Platz böte.

Russland hat derzeit, anders als die NASA, keine konkreten Pläne für bemannte Missionen zum Mond oder zum Mars. Kliper wäre aber grundsätzlich für solche Expeditionen geeignet, was insbesondere für die ESA von Bedeutung ist. Der europäische Langzeitplan “Aurora” für die bemannte und unbemannte Erforschung des Sonnensystems sieht bemannte Flüge zum Mond nach 2020 und eine Landung auf dem Mars in den 2030er Jahren vor. Kliper wäre ein interessanter Kandidat für solche Vorhaben, insbesondere da die ESA bislang nicht über ein eigenes bemanntes System verfügt.

Die Zukunft der bemannten Raumfahrt nimmt in diesen Tagen Gestalt an: bei der NASA in Form des Crew Exploration Vehicle (CEV) und bei Russen und vielleicht auch Europäern in Form des Kliper. Diese Schiffe, die heute nur auf dem Reißbrett existieren, werden vielleicht morgen Menschen zu den Monden und Planeten unseres Sonnensystems tragen.

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