Der Komet 67P/Tschurjumow-Gerassimenko bewegt sich derzeit immer weiter in das innere Sonnensystem und wird dabei in den kommenden Monaten dramatische Veränderungen durchleben. Die dabei ablaufenden Prozesse sollen durch die Raumsonde Rosetta dokumentiert werden. Die erwarteten Veränderungen könnten sich zudem auch positiv auf den derzeit inaktiven Kometenlander Philae auswirken.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, DLR, ESA.
Nach einem mehr als zehn Jahre andauernden Flug durch unser Sonnensystem erreichte die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta am 6. August 2014 das Ziel ihrer Reise – den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als “67P” abgekürzt). Seitdem ‘begleitet’ Rosetta diesen Kometen auf seinem weiteren Weg in das innere Sonnensystem und untersucht dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei intensiv mit elf wissenschaftlichen Instrumenten. Ein besonderes Augenmerk richten die an der Mission beteiligten Wissenschaftler dabei auch auf die gegenwärtige Entwicklung der ‘kometaren Aktivität’ von 67P.
Kometen bewegen sich auf stark elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne. Den Großteil ihrer Existenz fristen diese auch als ‘schmutzige Schneebälle’ bezeichneten Objekte dabei fernab des Zentralgestirns unseres Sonnensystems als kalte, nahezu unveränderliche Brocken aus Eis, Staub und gefrorenen Gasen. Erst wenn sich ein Komet auf seiner langgezogenen Umlaufbahn der Sonne bis auf eine Entfernung von etwa fünf Astronomischen Einheiten – dies entspricht in etwa einer Distanz von 750 Millionen Kilometern – nähert, setzt eine zunächst langsam ablaufende ‘Verwandlung’ ein.
Aufgrund der jetzt immer weiter steigenden Temperaturen sublimieren die leichtflüchtigen Bestandteile des Kometenkerns – in erster Linie handelt es sich dabei um gefrorenes Wasser, Kohlenstoffdioxid, Methan und Ammoniak – und entweichen mit Geschwindigkeiten von bis zu einigen hundert Metern in der Sekunde in das umgebende Weltall. Dabei reißen diese freigesetzten Gase regelrechte Fontänen aus Staubpartikeln mit sich. Diese Teilchen formen zunächst eine Koma, welche den Kometenkern vollständig einhüllt. Aus dieser Kometenkoma entwickelt sich aufgrund des von der Sonne ausgehenden Strahlungsdrucks anschließend auch ein Schweif, welcher den Kometen ihr charakteristisches Aussehen verleiht.
Extreme Jahreszeiten auf 67P
Im Rahmen einer aktuellen Analyse gelangten die an der Rosetta-Mission beteiligten Wissenschaftler kürzlich zu dem Ergebnis, dass sich die nördliche und die südliche Hemisphäre des Kometen 67P in den kommenden Monaten sehr unterschiedlich entwickeln werden. Ähnlich wie auf der Erde treten auch auf dem Kometen 67P verschiedene Jahreszeiten auf. Während einige Regionen phasenweise einer starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, erhalten zur selben Zeit andere Oberflächenbereiche deutlich weniger Sonnenlicht. Einige Bereiche in der Nähe der Pole des Kometen durchleben dabei sogar Phasen völliger Dunkelheit oder ununterbrochener Sonneneinstrahlung, welcher mit dem Polartag beziehungsweise der Polarnacht auf der Erde vergleichbar sind.
Der Grund hierfür ist, dass die Rotationsachse des Kometen gegenüber der Ebene der Sonnenumlaufbahn geneigt ist. Mit einem Winkel von 52 Grad fällt diese Neigung bei 67P sogar noch deutlich stärker aus als bei unserem Heimatplaneten, wo dieser Wert lediglich 23,4 Grad beträgt. Zusammen mit seiner komplexen Form und der stark elliptischen Umlaufbahn um die Sonne führt dies zu einer sehr ungleichen Verteilung von Sommer- und Wintermonaten auf den beide Hemisphären des Kometen 67P. Der Sommer auf der Nordhalbkugel – und entsprechend der Winter auf der Südhalbkugel – vollzieht sich, während der Komet fern der Sonne ist und dauert ganze 5,6 Jahre. Die Südhemisphäre durchlebt dagegen eine kurze und intensive warme Jahreszeit mit einer Dauer von lediglich etwa 10 Monaten.
Gegenwärtig ist die südliche Hemisphäre des Kometen noch von der Sonne abgewandt und dadurch bedingt in einer Art Polarnacht gefangen. Erst ab dem Mai 2015 wird diese Region wieder von den Sonnenstrahlen erreicht. “Wir erwarten, dass dann die Erosion dort deutlich zunehmen wird”, so Dr. Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen, der wissenschaftliche Leiter des OSIRIS-Kameraexperiments – der Hauptkamera an Bord der Raumsonde Rosetta.
Dadurch bedingter Materialverlust
Um den zu erwartenden Verlust an Kometenmaterial abzuschätzen nutzten die Wissenschaftler ein dreidimensionales Oberflächenmodell des Kometen und unterteilten dieses in 100.000 kleine Dreiecke. So konnte berücksichtigt werden, dass es auf der Oberfläche von 67P auch während des Polartages dauerhaft beschattete Regionen – beispielsweise im Inneren von tieferen Kratern gelegen – gibt oder die schroffen Felswände die Sonnenstrahlung auf naheliegende Berghänge reflektieren und so verstärken. Dabei gingen die Planetenforscher davon aus, dass das unter der Kometenoberfläche gebundene Wassereis von einer sehr dünnen und extrem porösen Staubschicht bedeckt ist, deren Dicke nur etwa 50 Mikrometer beträgt.
“Natürlich können wir uns bei diesem Wert noch nicht völlig sicher sein. Mit ihm lassen sich jedoch die Erosionsraten, die wir derzeit beobachten, gut reproduzieren. Wir halten ihn deshalb für einen guten Ausgangspunkt für unser Modell”, so der OSIRIS-Mitarbeiter Dr. Horst Uwe Keller vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof, welcher die Analyse leitete. Die erfolgende Erosion erfolgt dabei proportional zur Sublimation von gefrorenem Wasser, welche die Wissenschaftler in Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung bestimmten.
“Unter der Annahme, dass der Komet viermal so viel Staub emittiert wie Gas, führt unser Modell zu sehr unterschiedliche Szenarien für die nördliche und die südliche Hemisphäre”, so der OSIRIS-Wissenschaftler Dr. Stefano Mottola vom Institut für Planetenforschung. “Die Südhalbkugel könnte während ihres kurzen, aber intensiven Sommers eine Schicht von bis zu 20 Metern Dicke verlieren. Auf der Nordhalbkugel dürfte dieser Wert deutlich kleiner sein. Nach unseren Schätzungen erodieren dort nur wenige stark emporragende Gipfel und Klippen um mehr als zehn Meter im Verlauf eines Sonnenumlaufs.” Die in den vergangenen Monaten besonders aktive, aber recht schmale ‘Hals’-Region, welche die beiden größeren Kometenteile – den ‘Kopf’ und den ‘Körper’ von 67P – verbindet, ist nach den Berechnungen der Wissenschaftler während des gesamten Orbits dagegen nur verhältnismäßig schwach beleuchtet und somit insgesamt nur mäßig aktiv.
Die Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass sich speziell die Südhemisphäre in den kommenden Monaten dramatisch verändern wird, bevor der Komet 67P am 13. August 2015 auf seiner Umlaufbahn um die Sonne erneut die Periapsis und damit die geringste Entfernung zum Zentralgestirn unseres Sonnensystems erreicht. Zu diesem Zeitpunkt werden der Komet und die ihn umkreisende Raumsonde Rosetta lediglich 180 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt sein und sich zwischen den Umlaufbahnen der Planeten Erde und Mars bewegen.
“Der Komet häutet sich quasi ständig und zeigt frisches, unverbrauchtes Material an seiner Oberfläche, das noch nicht durch die kosmische Strahlung gealtert ist”, so Dr. Ekkehard Kührt, der die wissenschaftlichen Beteiligungen des DLR an der Rosetta-Mission leitet.
“Möglicherweise wird 67P nach seiner Sonnenpassage nicht mehr der Komet sein, der uns in den vergangenen Monaten so vertraut geworden ist”, so Dr. Holger Sierks. “Diese Veränderungen aus der Nähe mit zu erleben, wird ein unbeschreibliches Abenteuer sein.”
14. Februar 2015: Überflug in sechs Kilometern Höhe
Diese mittlerweile immer weiter zunehmende Aktivität des Kometen 67P hat auch Auswirkungen auf den Charakter der Rosetta-Mission. In den vergangenen Monaten hat die Raumsonde ‘ihren’ Kometen auf einer fast kreisförmig verlaufenden Flugbahn umkreist, welche in Höhen von etwa 20 beziehungsweise 30 Kilometern zu dessen Oberfläche verlief und wobei Rosetta gravitativ an den Kometen gebunden war. Bedingt durch die zunehmenden Aktivität und das damit verbundene erhöhte Risiko, dass die Raumsonde oder einzelne Instrumente durch Kollisionen mit Staubpartikeln beschädigt werden verbringt Rosetta jetzt den Großteil der Zeit in größeren Entfernungen zu 67P.
Bereits am 4. Februar wurde die Flugbahn von Rosetta dahingehend verändert, dass die Raumsonde sich aus einem in 26 Kilometern zur Oberfläche verlaufenden Orbit bis zum 7. Februar auf eine Distanz von 142 Kilometern entfernte. Durch ein weiteres Kurskorrekturmanöver erfolgte dann eine erneute Annäherung, welche am 14. Februar um 13:41 MEZ in einem in einer Höhe von lediglich sechs Kilometern verlaufenden Überflug der Imhotep-Region auf dem ‘Körper’ des Kometen gipfelte. Dieser extrem dichte Überflug bot den beteiligten Wissenschaftlern nicht nur die Möglichkeit, Details der Oberfläche mit einer hohen Auflösung abzubilden. Es ergab sich auch die Möglichkeit, die Austrittsorte der von der Oberfläche ausgehenden Jets aus Gas und Staub aus einem geringen Abstand mit den anderen Instrumenten zu analysieren.
Bis zum 17. Februar wurde dann wieder eine Distanz von diesmal 253 Kilometern erreicht, welche sich bis zum 25. Februar wieder auf eine Wert von 76 Kilometern verringern wird. Im Rahmen des darauf folgenden Umlaufs wird der Orbit von Rosetta in einer Entfernung von 110 x 88 Kilometern verlaufen. Aus diesen größeren Entfernungen kann die den Kometen umgebende Koma wieder in einem größeren Kontext abgebildet und untersucht werden.
Wo ist Philae?
Nicht im Fokus des wissenschaftlichen Interesses steht dagegen bis auf weiteres die Suche nach dem Kometenlander Philae. Philae erreichte die Oberfläche von 67P bereits am 12. November 2014 und kam dort schließlich nach einer dreifachen Landung an einem ungeplanten Standort zum Stehen, welcher aufgrund der dort gegebenen schlechten Beleuchtungsverhältnisse keine Möglichkeit bot, die begrenzten Energiereserven zu erneuern. Trotzdem konnte der Lander – mit der Energie aus seiner auf eine Einsatzdauer von etwa 60 Stunden ausgelegten Primärbatterie versorgt – in den folgenden Stunden mit seinen zehn Instrumenten eine Vielzahl an Messungen durchführen.
Der exakte Ort, wo Philae dann endgültig zum Stehen gelangte, konnte bisher trotz einer intensiven Suche auf den bisher angefertigten Fotos immer noch nicht ermittelt werden. Als sicher gilt jedoch, dass dieser Ort sich auf dem ‘Kopf’ des Kometen befindet und in etwa in der Umgebung des ehemals ebenfalls als potentielle Landeregion ausgewählten Bereiches “B” liegen dürfte. Immerhin konnten die beteiligten Wissenschaftler den finalen Standort von Philae mittels der Daten des CONSERT-Instruments auf ein Gebiet von etwa 350 mal 30 Metern eingrenzen.
Vor allem während der Kometentage, während denen der Lander rund 1,3 Stunden von der Sonne angestrahlt wurde, richteten die Wissenschaftler sowohl die Navigationskamera als auch die OSIRIS-Kamera aus Überflughöhen von bis zu 20 Kilometern immer wieder auf diese Region. Doch der gerade kühlschrankgroße Lander Philae würde auf den Aufnahmen nur einen Durchmesser von drei Pixeln einnehmen. Die Suche nach Philae gleicht somit einer Suche nach der ‘Nadel im Heuhaufen’.
Es gab zwar Überlegungen, diese Suche auch während des Sechs-Kilometer-Überfluges am 14. Februar fortzusetzen. Allerdings hätte hierfür die Flugbahn des Orbiters abgeändert werden müssen, was zu deutlichen Beeinträchtigungen des eigentlichen wissenschaftlichen Programms geführt hätte. Auch in Zukunft soll die Flugbahn des Orbiters nicht für die Suche nach Philae verändert sondern nur die Ausrichtung der Kamera angepasst werden, sofern das vermutete Landegebiet in Sicht ist und die wissenschaftliche Arbeit dies gestattet, so Matt Taylor, der Rosetta-Projektwissenschaftler bei der ESA.
Erneute Inbetriebnahme von Philae?
Für den Kometenlander Philae könnte der weiter oben erwähnte, demnächst beginnende ‘Sommer’ von Vorteil sein. Er könnte dann an seinem nahe des Kometen-Äquators gelegenen Standort wieder mehr Energie ‘tanken’ und eventuell wieder aus dem derzeitigen Winterschlaf erwachen. Sollte dieser Fall eintreten, so ist Philae darauf programmiert, in regelmäßigen Abständen nach dem Orbiter zu lauschen und ein Signal zu senden. Die erste Chance auf einen Kontakt mit Philae erwartet das Team des Lander Control Center am DLR-Standort Köln nicht vor Ende März. Neben der hierfür benötigten Energiemenge von 17 Watt ist zudem eine weitere Voraussetzung, dass die Betriebstemperatur der Lander-Elektronik einen Wert von nicht weniger als minus 40 Grad Celsius erreicht.
“Wir hoffen, dass Philae bis dahin seinen Winterschlaf bei niedrigen Temperaturen gut übersteht”, so der für Philae zuständige Projektleiter Dr. Stephan Ulamec vom DLR. An seinem ursprünglich vorgesehenen Landeplatz hätte Philae pro Kometentag immerhin 6,5 Stunden lang Sonnenlicht empfangen und seine Batterien entsprechend schnell aufladen können. Allerdings wäre er dann wahrscheinlich auch schon im März überhitzt und hätte somit nicht mehr arbeiten können. Nun ist die Nähe zur Sonne gut für Philae an seinem schattigen Standort, weil nicht nur die Temperatur ‘betriebsfreundlicher’ wird, sondern auch die Stärke der Sonnenstrahlung zunimmt und die Solarzellen des Landers mehr Strom generieren werden.
Geht tatsächlich ein Rückmeldung von Philae aus dem All ein, so wird das Missionsteam dennoch erst einmal Geduld beweisen müssen. Es könnte mehrere Wochen dauern, bis der Lander nach seinem ersten Erwachen ausreichend Energie erhält, um nicht nur erste Kommandos aus dem Lander Control Center des DLR auszuführen, sondern auch mit dem Aufladen der Batterie zu beginnen. Im Sommer hätte er dann voraussichtlich genug Energie gespeichert, um über mehrere Stunden hinweg die Instrumente einzusetzen.
“Wie lange dies möglich sein wird, hängt natürlich auch davon ab, wie energieaufwendig die Experimente sind”, so Dr. Ulamec weiter. Bereits jetzt diskutierten und planen die Ingenieure und Wissenschaftler des Lander-Teams, welche Instrumente für welche Messungen eingesetzt werden könnten. “Temperaturmessungen, Fotos oder das Instrument COSAC im Schnüffelmodus verbrauchen wenig Energie, der Einsatz eines Bohrers natürlich deutlich mehr.”
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