Kommerzieller Crewtransport – Sicherheit geht vor

Die privaten Raumfahrtunternehmen Boeing und SpaceX versuchen, bei der Entwicklung ihrer kommerziellen Raumschiffe besonders auf die Sicherheit der Astronauten zu achten.

Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: NASA, SpaceX, NSF, SpaceNews. Vertont von Peter Rittinger.

Wenn 2017 Astronauten an Bord der kommerziellen Raumschiffe von den privaten Unternehmen SpaceX und Boeing zur Internationalen Raumstation ISS starten, tun sie das nicht nur auf einer Trägerrakete vom Typ Falcon 9 oder Atlas V. Sie sitzen auch mehr oder weniger auf mehreren hundert Tonnen Kerosin, Wasserstoff und Sauerstoff, den Treibstoffen der Raketen. Nicht auszudenken, was bei einer Explosion geschehen würde. Deshalb verfügt sowohl das Raumschiff von SpaceX – der Dragon 2- als auch der CST-100 (Crew Space Transport 100) von Boeing über ein Rettungssystem, welches die Raumkapsel mitsamt der Astronauten bei einem Notfall in sichere Entfernung befördert. Anders als die Rettungssysteme des Apollo- oder des Orion-Raumschiffs, bei denen eine Rakete über der Kapsel das Raumschiff „wegzieht“, ist bei den kommerziellen Raumfahrzeugen das Rettungssystem in dem Raumschiff integriert und „schiebt“ das Raumschiff von unten weg. Es ist klar, dass man eine solche kritische Komponente nicht unerprobt in den bemannten Einsatz schicken will. Deshalb versuchen nun sowohl Boeing als auch SpaceX, ihre Rettungssysteme zuvor zu testen.

SpaceX
Zwei SuperDraco-Triebwerke, wie sie an vier verschiedenen Stellen im Dragon 2 eingebaut sind.
(Bild: SpaceX)

Das System von SpaceX ist -wie fast alle Entwicklungen des kalifornischen Start-Ups- sehr innovativ. Acht Raketentriebwerke sind jeweils paarweise an der Seite ihrer Dragon-2 Kapsel angebracht. Die Triebwerke vom Typ SuperDraco arbeiten mit druckgefördertem, diergolischem Treibstoff und können jeweils bis zu 80 kN Schub erzeugen. Die Brennkammern des Triebwerks werden 3D-gedruckt. An dem Trunk, dem nicht unter Druck stehenden Frachtbehälter unterhalb der Raumkapsel, sind vier Finnen angebracht, die das Raumschiff während des Startabbruchs aerodynamisch kontrollieren. Der Clou dieses Systems liegt zum Einen darin, dass das Rettungssystems während des gesamten Fluges einsetzbar ist, es existiert keine Lücke, in der sich die Besatzung nicht in Sicherheit bringen kann. Zum Anderen ist das Rettungssystem -wie bei allen bisherigen Systemen- keine tote Masse, die einfach in der Erdatmosphäre verglüht, wenn sie nicht benötigt wird. Wird das System nicht benötigt, kann der Dragon auf dem Abgasstrahl der Triebwerke nach der Mission sanft auf der Erde landen.

SpaceX
Der Testartikel für den Pad-Abort auf dem Startplatz.
(Bild: SpaceX)

Um dieses System vor dem Flugeinsatz zu testen, plante SpaceX, einen sogenannten Pad-Abort Test durchzuführen. Dabei sollte eine Testversion des Dragon 2 am Boden das Rettungssystem auslösen und dann einen Startabbruch simulieren. Vorher wurden bereits unzählige Testzündungen der SuperDracos durchgeführt. Um den Flug aufzuzeichnen und Daten zu sammeln, befanden sich im Inneren der Kapsel 270 Sensoren und ein Dummy. Um die Masse der restlichen Ausrüstung zu simulieren, befanden sich des Weiteren Gewichte an Bord. Nachdem sich dieser Test mehrmals verschoben hatte (ursprünglich war er für August 2014 geplant), wurde der Dragon 2 Anfang Mai auf einem Gerüst zu dem Startplatz SLC-40 in Cape Canaveral transportiert. Am 5. Mai fand dann die Generalprobe für den Test statt: Für kurze Zeit wurden am Boden alle acht SuperDracos gezündet, der Dragon 2 wurde jedoch noch am Boden festgehalten. Eine solches „static fire“ ist eine übliche Vorgehensweise bei SpaceX, bei der das Antriebssystem vor dem Flug getestet werden kann.

SpaceX
Der Dragon 2 hebt zum Pad Abort ab.
(Bild: SpaceX)

Dann, am 6. Mai, war der große Tag gekommen. Um 15:00 mitteleuropäischer Zeit hob der Dragon 2 ab. Obwohl die acht SuperDracos gerade einmal sechs Sekunden lang zündeten, hätte das Raumschiff wohl jeden Supersportwagen beim Ampelduell nassgemacht: Nach 1,2 Sekunden war der Dragon bereits über 160 km/h schnell, seine Höchstgeschwindigkeit betrug über 550 km/h. Nach einer halben Sekunde senkrechten Fluges wurden die Triebwerke so gedrosselt, dass das Raumfahrzeug jetzt dem Atlantik entgegenflog. Als wenig später der gesamte Treibstoff verbraucht war, flog der Dragon antriebslos weiter zum höchsten Punkt der Flugbahn, wobei er passiv von den Finnen des Trunks aerodynamisch kontrolliert wurde. Dann wurde der Trunk abgetrennt und zwei Bremsfallschirme wurden entfaltet, die eine korrekte Ausrichtung der Kapsel gewährleisteten, um die drei größeren Hauptfallschirme zu entfalten. Diese bremsten das Raumschiff ab, damit es sanft im Ozean landen konnte, wo es geborgen und an Land gebracht wurde. Wegen Seitenwinden, die hart an der Grenze waren, betrug die zurückgelegte Entfernung statt den geplanten 2.105 nur 1.202 Meter. Da bei einem der SuperDracos die Treibstoffmischung nicht korrekt war, „rülpste“ es kurz, die erreichte Höhe lag mit 1187 Metern etwa 300 Meter unter den Erwartungen.

SpaceX
Dragon 2 dockt an der ISS an. Unten ist ein angedockter Dragon-Frachter zu erkennen, auf dessen Technologie die bemannte Version aufbaut.
(Bild: SpaceX)

Dennoch war der Test im Großen und Ganzen erfolgreich, wären Menschen an Bord gewesen, hätten sie den Flug wohl problemlos überstanden. Als nächster Schritt in der Entwicklung des Dragon 2 war ursprünglich ein sogenannter In-Flight Abort vorgesehen. Bei diesem Testflug soll das Raumschiff des Pad Abort-Tests erneut verwendet werden und auf einer Erststufe der Falcon 9 angebracht werden. Nachdem diese Trägerrakete auf ihrem Flug den Punkt, bei dem der höchste aerodynamische Druck auf das Raumschiff wirkt, überschritten hat, soll erneut das Rettungssystem des Dragon ausgelöst werden. Ursprünglich sollte dieser Test im September 2015 auf dem SpaceX-Startplatz in Vandenberg, Kalifornien, stattfinden. Nun wird aber offenbar darüber nachgedacht, zugunsten eines ersten unbemannten, orbitalen Testflugs (bisher geplant für Ende 2016) den In-Flight Abort auf Anfang 2017 zu verschieben. Der bemannte Erstflug von Dragon 2 ist momentan für April 2017 geplant, der etwa 14 Tage dauern und zur ISS führen soll.

Boeing
Der CST-100 im freien Flug.
(Bild: Boeing)

Auch Boeing macht Fortschritte in der Entwicklung ihres CST-100 (Crew Space Transport 100). Neben dem Bau eines Zugangsturms am Startplatz, durch den die Astronauten in das Raumschiff an der Spitze der Atlas V-Trägerrakete einsteigen können, wird auch bei dem CST-100 großen Wert auf die Sicherheit der Astronauten gelegt. Dieses Raumschiff wird ebenfalls über ein Pusher-Rettungssystem verfügen, das sich jedoch anders als bei SpaceX nicht in der Raumkapsel, sondern dem zylindrischen Servicemodul unterhalb dieser befindet. Das Rettungssystem besteht aus vier RS-88 Triebwerken, die ursprünglich in den frühen 2000ern für das OSP-Programm (Orbital Space Plane) entwickelt wurden. Für den Einsatz im CST-100 wurden sie modifiziert, beim Treibstoff wurde von flüssigem Sauerstoff und Alkohol auf eine diergolische Mischung gewechselt und bei der Kühlung der Düse von ablativ (Material nimmt Hitze auf und führt sie durch Schmelzen ab) auf eine Filmkühlung (Treibstoffilm über der Düse kühlt sie). Auch diese Triebwerke hat der Hersteller Aerojet Rocketdyne intensiv am Boden getestet. Genauso wie bei dem Dragon sind ist das Rettungssystem keine tote Masse: Sollte bei dem Flug ins All alles problemlos verlaufen und das Rettungssystem nicht benötigt werden, kann mit ihm der Deorbit-Burn ausgeführt werden, mit dem das Raumschiff seine Umlaufbahn senkt, um für die Landung wieder in die Erdatmosphäre eintreten zu können.

NASA
Die Testversion des CST-100 während eines Wasserungstests.
(Bild: NASA)

Um dieses System zu testen, plant Boeing, ebenfalls einen Pad-Abort Test durchzuführen. Obwohl bis zu ihm noch etwas Zeit vergehen wird (er ist momentan für Februar 2017 geplant), wird auch er schon vorbereitet. Hier zeigt sich auch ein Unterschied in der Unternehmensphilosophie: Während SpaceX (fast) alles selbst baut, testet und startet, arbeitet Boeing mit zahlreichen Zulieferern und NASA-Zentren zusammen. Im Langley Research Center der NASA in Virginia führt Boeing etwa Tests eines ungefähr 60 cm großen Modells des CST-100s im Windtunnel durch, bei denen ein Startabbruch simuliert wird. Auch finden hier Wasserungstests eines Mockups der Kapsel statt. Gewöhnlicherweise landet der CST-100 nach der Mission mithilfe von Fallschirmen und Airbags an Land, bei einem Startabbruch oder anderen Notfällen ist jedoch eine Landung im Ozean erforderlich. Um dieses Szenario zu erproben, wird eine Testversion der Raumkapsel in ein großes Schwimmbecken des Zentrums geworfen. Daneben werden die Triebwerke weiterhin in White Sands getestet. Für weitere Tests soll ein Servicemodul gebaut werden, das am Boden testgezündet werden soll, um einen Startabbruch zu simulieren.

Boeing
Ein Astronaut steigt zu Evaluierungszwecken in ein Mockup des CST-100 ein.
(Bild: Boeing)

Nach dem Pad Abort-Test wird Boeing im April 2017 einen ersten unbemannten, orbitalen Testflug des CST-100s durchführen. Dieser wird 30 Tage dauern und zur ISS führen. Im Juli folgt eine zweite Mission, die nur 14 Tage dauern wird. Hier werden zwei Astronauten an Bord sein, einen von ihnen stellt Boeing, den anderen die NASA. Wer die Glücklichen sein werden, wird Boeing diesen Sommer bekanntgeben. Später werden auch die Raumanzüge vorgestellt, die sie tragen werden. Sie werden momentan von der Firma David Clark entwickelt.

NASA
CRS-6 noch an der ISS angekoppelt.
(Bild: NASA)

Nicht nur bei den Transportfahrzeugen, sondern auch bei ihrem Ziel laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren: Der Internationalen Raumstation ISS. Neben der Umsetzung eines Lagermoduls, die am 28. Mai mit dem Roboterarm geschehen soll, wird auch ein neuer Adapter an der Station installiert werden. Dieser trägt den Namen IDA-1 und wird es den kommerziellen Raumschiffen ermöglichen, an dem Harmony-Modul der Station anzudocken. Der Adapter soll bei der nächsten Versorgungsmission von SpaceX geliefert werden: CRS-7 (Commercial Resupply Service 7), momentan geplant für den 26. Juni, bei der auch wieder eine Landung der Erststufe auf einer Seeplattform angestrebt wird. Am 21. Mai wurde die vorherige Mission beendet, indem der Dragon-Raumfrachter von der ISS abgekoppelt wurde und mit über 1.500 kg Fracht wieder auf der Erde gelandet ist. IDA-1 wird in dem nicht unter Druck stehenden zylindrischen Trunk des unbemannten Dragon-Raumfrachters transportiert und später dann bei einem Außeneinsatz installiert werden. Ein zweiter derartiger Adapter soll Ende 2015 an der ISS ankommen.

Verwandte Meldungen bei Raumfahrer.net:

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Nach oben scrollen