Commercial Crew: GAO-Protest gelöst

Der Protest der Sierra Nevada Corporation gegen die Vergabe der Aufträge für den kommerziellen Crewtransport der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtagentur NASA wurde abgelehnt. Außerdem wurden inzwischen weitere Details über die geplanten Entwicklungsarbeiten der beiden Gewinner bekannt gegeben, Boeing und SpaceX.

Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: NASA, NASA TV, NSF, Parabolic Arc, Boeing, SpaceX, SNC.

KSC
NASA-Administrator Bolden gibt die Vertragsvergabe für CCtCap bekannt.
(Bild: KSC)

Im September 2014 wurde die Zukunft der bemannten US-Raumfahrt bei einer Pressekonferenz vorgestellt: Bald sollen wieder amerikanische Raumschiffe, die kommerziell von privaten Unternehmen entwickelt und gestartet werden, Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS bringen. Bisher wurden US-Raumschiffe von der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtagentur NASA mitentwickelt und gestartet; durch die neue Vorgehensweise erhofft man sich, durch eine Wettbewerbssituation Geld zu sparen. Dieses Programm nennt die NASA CCtCap (Commercial Crew Transportation Capability). Das Unternehmen Boeing erhielt einen Vertrag über 4,2 Milliarden Dollar, das Unternehmen SpaceX einen über 2,6 Milliarden Dollar. Die Vertragsbedingungen sehen eine Entwicklung und Zertifizierung des Raumschiffs bis 2017, mindestens einen bemannten und einen unbemannten Testflug sowie 2 bis 6 operationelle Flüge vor. Der Mitwettbewerber Sierra Nevada Corporation (SNC) war leer ausgegangen, das Unternehmen legte Protest gegen die Entscheidung der NASA bei dem GAO ein (Government Accountability Office, ähnlich dem Bundesrechnungshof).

NASA TV
Die Pressekonferenz am 26. Januar.
(Bild: NASA TV)

Nach sorgfältiger Untersuchung gab dann am 5. Januar das GAO die Entscheidung bekannt: Der Protest von SNC wurde abgelehnt. Das GAO ist zu dem Schluss gekommen, dass die Auswahl der NASA konsistent mit den in der Ausschreibung festgelegten Kriterien, gerecht und sinnvoll evaluiert worden ist, was SNC angezweifelt hat. Auch wurde das sogenannte Source Selection-Dokument veröffentlicht, das die Begründung der NASA für ihre Entscheidung darlegt. Demnach hat SpaceX einen Vertrag für CCtCap erhalten, weil ihr Raumschiff den günstigsten Preis aller drei Wettbewerber habe, sehr gut für die Mission geeignet sei und auch in der Vergangenheit gute Leistungen gezeigt wurden. Zwar gäbe es ein paar Bedenken bezüglich der Technik, diese Probleme können aber dank des langen zeitlichen Spielraums gelöst werden. Boeing hat demnach einen Vertrag für CCtCap erhalten, weil ihr Raumschiff zwar unter allen Vorschlägen das teuerste sei, jedoch am Besten für die Mission geeignet sei, am Flexibelsten genutzt werden könne und das Boeing-Team den besten Management-Ansatz aufweise. Darüber hinaus sei die Sicherheit hoch, dass das Raumschiff pünktlich fertig ist, und die Leistungen in der Vergangenheit ebenfalls am Besten gewesen. SNC hat demnach keinen Vertrag erhalten, da die Leistung in der Vergangenheit zwar gut gewesen sei und auch der Management-Ansatz gut sei, jedoch das Design ihres Raumschiffs am Komplexesten sei und eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Entwicklung nicht pünktlich abgeschlossen wird. Boeing nahm den ersten, SpaceX den zweiten und SNC den dritten Platz ein.

Am 26. Januar wurde bei einer Pressekonferenz bekanntgegeben, wie die weitere Entwicklung der Raumschiffe im Rahmen von CCtCap verlaufen soll:

Boeing
Der CST-100 mitsamt Trägerrakete auf der Startrampe. Rechts ist der Zugangsturm zu erkennen. -Illustration
(Bild: Boeing)

1. Boeing
Boeing entwickelt das CST-100 (Crew Space Transport 100), ein Raumschiff mit einem relativ konservativem Konzept. Wie auch schon bei Apollo besteht das Raumschiff aus einem kapselförmigen Rückkehrmodul und einem zylinderförmigem Servicemodul. In dem Rückkehrmodul hält sich die Besatzung während des Fluges auf, das Servicemodul dient zum Antrieb und zur Versorgung des Rückkehrmoduls. Das Rückkehrmodul landet mithilfe von Fallschirmen und Airbags an Land und wird bis zu zehn Mal wiederverwendet, das Servicemodul verglüht in der Erdatmosphäre. Das Rückkehrmodul verfügt über eine neuartige Druckkabine, die ohne Schweißnähte auskommt, eine drahtlose Internetverbindung, Tablet-Computer und eine LED-Beleuchtung. Vermutlich wird eine Mischung aus Besatzung und Fracht zur ISS gebracht, und zwar innerhalb von einem Tag, danach kann das Raumschiff bis zu 180 Tage angedockt bleiben. Sollte sich ein Notfall ereignen, wird das CST-100 sein neuartiges Pusher-Startabbruchsystem verwenden: Vier modifizierte RS-88 Triebwerke werden das Raumschiff in Sicherheit befördert. Die Raketentriebwerke sind am Servicemodul angebracht, wenn sie nicht für einen Startabbruch benötigt werden, wird mit ihnen der Deorbit-Burn durchgeführt. Das CST-100 startet auf einer Atlas V, einer der zuverlässigsten Trägerraketen. Der Startplatz wird SLC-41 sein, gebaut wird das Raumschiff in einer der Hangars, in denen vorher das Space Shuttle gewartet wurde.

Boeing
Ein Test einer Landung des CST-100s. Oben sind die Fallschirme, unten an der Kapsel die Airbags zu erkennen.
(Bild: Boeing)

Die Entwicklung des CST-100s konzentrierte sich bis jetzt auf Designprüfungen, bei denen das Konzept des Raumschiffs sorgfältig überprüft wurde. Darüber hinaus wurden Triebwerks- und Landetests durchgeführt, Mock-Ups gebaut und Demonstrationsartikel gefertigt. Als nächstes werden drei CST-100 in der ehemaligen Shuttle-Hangar C3PF (Commercial Crew Processing Facility) gefertigt, die momentan umgebaut wird. Damit werden dann ein Test eines Startabbruchs im Februar 2017, ein unbemannter Testflug im April 2017 und ein bemannter Testflug im Juli 2017 mit einem Boeing- und einem NASA-Astronauten durchgeführt. Ein Turm, mit dem die Besatzung das CST-100 betreten kann, ist bereits im Bau. Diesen Sommer soll die Flugsoftware geliefert werden, bald wird auch Flughardware gefertigt.

2. SpaceX

SpaceX
Der Dragon 2 im freiem Flug im Weltraum. -Illustration
(Bild: SpaceX)

SpaceX` Raumschiff, der Dragon 2, ist deutlich spektakulärer und revolutionärer im Konzept. Der kapselförmige Dragon 2 basiert zwar auf dem Dragon-Raumfrachter, sein Konzept beinhaltet aber zahlreiche weitere bahnbrechende Innovationen. Die bemerkenswerteste ist sicherlich der Einsatz von acht SuperDraco-Triebwerken. Mit diesen Raketentriebwerken kann sowohl ein Startabbruch als auch eine Präzisionslandung an Land erfolgen, und zwar ohne Unterstützung eines Fallschirms. Bei den ersten Flügen wird die Landung dennoch an Fallschirmen im Wasser erfolgen. Anders als sein Vorgänger kann der Dragon 2 vollautomatisch an der ISS andocken. Die Kapsel ist mehr als zehn Mal wiederverwendbar, eine genaue Zahl wurde nicht genannt. Bei den ersten Flügen wird jedoch keine Wiederverwendung erfolgen. Die Piloten sitzen in Ledersitzen und steuern das Raumschiff über Touchscreen-Bildschirme, nur für den Notfall gibt es Knöpfe und Drehregler. Dragon 2 wird auf einer Falcon 9 v1.1 starten, einer ebenfalls von SpaceX gebauten Trägerrakete, die als eine der kostengünstigsten der Welt gilt. Gestartet und vorbereitet werden Rakete und Raumschiff bei LC-39A, einem historischem Startplatz, von dem bereits die Saturn V und das Space Shuttle zu ihren geschichtsträchtigen Missionen aufbrachen.

SpaceX
Eine Testversion der Dragon 2-Kapsel wird auf den Startabbruchstest vorbereitet.
(Bild: SpaceX)

Die Entwicklungsarbeiten bezüglich des Dragon 2 konzentrierten sich vor allem auf die SuperDracos, sehr gut drosselbare Raketentriebwerke mit 3D-gedruckter Brennkammer. Dutzende Testzündungen wurden durchgeführt, darüber hinaus wurde ein Fallschirmtest unternommen, Designprüfungen abgeschlossen und ein erster Prototyp des Dragon 2 hergestellt. In etwa einem Monat wird ein Startabbruchtest vom Boden aus erfolgen (der dafür verwendete Testartikel wird in den nächsten Tagen ankommen), später dieses Jahr ein sogenannter In-Flight Abbruchtest, bei dem während eines Fluges das Startabbruchsystem gezündet wird. Ein unbemannter Testflug des Dragon 2 ist momentan für Ende 2016, ein bemannter Testflug für Anfang 2017 geplant. Vor diesem bemannten Flug sollen mehr als 50 Falcon 9-Flüge stattgefunden haben.

3. Sierra Nevada Corporation

Der Dream Chaser im Erdorbit- Vielleicht für immer nur eine Illustration?
(Bild: SNC)

Sierra Nevada Corporation (SNC) hat den Dream Chaser vorgeschlagen, einen kleinen Raumgleiter, eine Art „Mini-Space Shuttle“. Dieser basiert auf dem HL-20 Raumgleiter, mit dessen Entwicklung Ende der 80er Jahre begonnen wurde. Dieses Design hat einige Vorteile gegenüber der Kapselform, nämlich geringere G-Kräfte beim Wiedereintritt in die Erdathmosphäre und eine größere Reichweite im Segelflug. Darüber hinaus ist eine Landung an einem gewöhnlichem Flughafen möglich. Der Dream Chaser hätte nur umweltfreundliche Treibstoffe verwendet. Ein autonomer Start und Landung wären ebenso wie eine Wiederverwendung möglich gewesen. Der Dream Chaser wäre ebenfalls auf Atlas V von SLC-41 aus gestartet und in der Operations and Checkout Facility gewartet werden.

Ein Testmodell eines Dream Chasers wird während eines „Captive Carry“-Tests durch die Luft gezogen.
(Bild: SNC)

Die Entwicklung des Dream Chasers konzentrierte sich auf Freiflugversuche eines Prototypen. Dieser Prototyp wurde mehrmals an einem Helikopter durch die Luft gezogen und über eine Landebahn gerollt, ein Freiflugversuch 2013 schlug fehl. Der Prototyp wurde repariert, diesen Frühling sollen weitere Freiflugversuche folgen. Der Dream Chaser erreichte nie die Entwicklungsreife des CST-100s oder des Dragon 2, das Critical Design Review, eine rigorose Designprüfung, die das endgültige Design festlegt, fand nie statt. Die Fortführung der Entwicklung des Dream Chasers ist ungewiss, es gibt zwar mehrere Vorschläge, den DreamChaser außerhalb des kommerziellen Crewtransports zu verwenden, inwiefern dafür aber das nötige Geld für die Entwicklung bereitgestellt wird, ist ungewiss. Ursprünglich sollte im November 2016 ein unbemannter und 2017 ein bemannter Testflug des Dream Chasers stattfinden.

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