Astronomen haben mit dem Euler-Teleskop am La-Silla-Observatorium der ESO in Chile eine neue Art von veränderlichen Sternen entdeckt, deren Eigenschaften nicht mit den üblichen Theorien erklärt werden können. Der Fund basiert auf dem Nachweis sehr kleiner Änderungen der Helligkeit von Sternen in dem Sternhaufen NGC 3766. Die Beobachtungen enthüllen zuvor unbekannte Eigenschaften dieser Sterne, welche gängigen Theorien widersprechen und Fragen über die Ursache der Helligkeitsschwankungen aufwerfen.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.
Ein schweizerisches Astronomenteam vom Observatoire de Genève hat bei astronomischen Beobachtungen mit einem vergleichsweise kleinen Teleskop von lediglich 1,2 Metern Spiegeldurchmesser, welches sie für ein mehrjähriges Beobachtungsprogramm eingesetzt haben, eine außergewöhnliche und zuvor nicht gegebene Präzision erreicht. Über die Vermessung von winzigen Variationen in der Helligkeit von Sternen haben die Astronomen dabei eine neue Klasse von sogenannten veränderlichen Sternen entdeckt.
Die neuen Erkenntnisse basieren auf regulären Helligkeitsmessungen bei mehr als 3.000 Sternen im offenen Sternhaufen NGC 3766. Dieser Sternhaufen befindet sich in einer Entfernung von ungefähr 7.000 Lichtjahren zu unserem Sonnensystem im südlichen Sternbild Centaurus (der Zentaur). Das Alter des Haufens wird auf rund 20 Millionen Jahren geschätzt. Bei einem Durchmesser von 12 Bogenminuten erreicht NGC 3766 eine scheinbare Helligkeit von 5,30 mag. Von einem auf der Südhalbkugel der Erde gelegenen Standort aus kann der Sternhaufen somit selbst mit bloßem Auge in der unmittelbaren Nähe des Sternbildes „Kreuz des Südens“ erkannt werden. Betrachtet durch ein Amateurteleskop mittlerer Größe präsentiert sich das Objekt sehr eindrucksvoll.
Das von Nami Mowlavi geleitete schweizerische Astronomenteam hat NGC 3766 und einige weitere offene Sternhaufen über einen Zeitraum von sieben Jahren untersucht. Bei der Auswertung der Beobachtungsdaten zeigte sich, dass 36 der in NGC 3766 beheimateten Sterne eine winzige, regelmäßig auftretende Helligkeitsschwankung in einer Größenordnung von lediglich 0,1 Prozent der durchschnittlichen Helligkeit dieser Sterne aufweisen. Diese Schwankungen erfolgen dabei in Perioden zwischen ungefähr zwei bis hin zu 20 Stunden. Die beobachteten Sterne sind etwas heißer und heller als das Zentralgestirn unseres Sonnensystems, scheinen ansonsten aber, abgesehen von ihren Rotationsgeschwindigkeiten, über keine weiteren auffälligen Eigenschaften zu verfügen.
Der bei den Messungen erreichte Grad an Präzision ist doppelt so hoch wie bei vergleichbaren Studien, bei denen andere Teleskope eingesetzt wurden. Nur so konnten die beteiligten Astronomen diese winzigen Helligkeitsschwankungen jetzt erstmals enthüllen.
„Dieses hohe Niveau an Empfindlichkeit haben wir einerseits durch die hohe Qualität der Beobachtungen in Kombination mit einer sorgfältigen Analyse der Daten erlangt“, so Nami Mowlavi. „Andererseits aber auch deshalb, weil wir hierbei ein umfangreiches, siebenjähriges Beobachtungsprogramm durchgeführt haben. Es wäre vermutlich nicht möglich gewesen so viel Beobachtungszeit an einem größeren Teleskop zu erhalten.“
Durchgeführt wurden diese Beobachtungen mit dem Leonhard-Euler-Teleskop, welches sich am La-Silla-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (kurz „ESO“) in den chilenischen Anden befindet.
Viele Sterne im bekannten Universum werden von den Astronomen als veränderliche oder pulsierende Sterne bezeichnet, da ihre scheinbare Helligkeit in bestimmten Zeiträumen variiert. Wie genau sich die Helligkeit dieser Sterne verändert, hängt dabei auf komplexe Weise von den physikalischen Eigenschaften und dem inneren Aufbau dieser Sterne ab. Dieses Phänomen führte mittlerweile zu der Entwicklung eines eigenen Forschungszweiges innerhalb der Astrophysik, welcher als Asteroseismologie bezeichnet wird.
„Die bloße Existenz dieser neuen Klasse von veränderlichen Sternen ist eine Herausforderung für die Astrophysiker“, so Sophie Saesen, ein weiteres Mitglied des Beobachtungsteams. „Die heutigen theoretischen Modelle sagen voraus, dass die beobachteten Sterne ihre Helligkeit nicht auf diese Weise ändern dürften. Unsere derzeitigen Bemühungen konzentrieren sich daher darauf, mehr über diese seltsame Art von Sternen in Erfahrung zu bringen.“
Obwohl der Grund für die Veränderlichkeit der Sterne derzeit noch nicht entschlüsselt ist, gibt es einen ersten interessanten Hinweis. Einige der Sterne scheinen sehr schnell zu rotieren. Sie drehen sich mit Geschwindigkeiten von mehr als der Hälfte der sogenannten „kritischen Geschwindigkeit“ um ihre Rotationsachse. Bei der kritischen Geschwindigkeit handelt es sich um einen Grenzwert, ab dem Sterne instabil werden und einen Teil ihrer Materie in das umgebende Weltall katapultieren.
„Unter diesen Bedingungen wird die schnelle Drehung der Sterne einen wichtigen Einfluss auf die Eigenschaften in ihrem Inneren haben. Wir können die Änderungen in der Helligkeit dieser Sterne jedoch noch nicht angemessen modellieren“, erklärt Nami Mowlavi. „Wir hoffen jedoch, dass unsere Entdeckung Spezialisten dazu anregt, sich näher mit diesem Thema auseinander zu setzen.“ Dadurch, so die Hoffnung der Astronomen, könnte sich ein besseres Verständnis der Ursache dieser rätselhaften Helligkeitsschwankungen ergeben.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Nami Mowlavi et al. wurden am heutigen 12. Juni 2013 unter dem Titel „Stellar variability in open clusters I. A new class of variable stars in NGC 3766“ in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ publiziert.
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