Fragt man einen durchschnittlichen Niederländer nach seinem ersten Landmann im Weltraum, so wird er wahrscheinlich antworten: Wubbo Ockels, der als ESA-Astronaut im Herbst 1985 an der Spacelab-D1-Mission (STS-61A) teilgenommen hat. Ockels war aber nicht der erste geborene Niederländer im Weltraum. Das war Lodewijk van den Berg, Chemieingenieur aus Sluiskil in der niederländischen Provinz Zeeland.
Ein Beitrag von Kirsten Müller.
Der Öffentlichkeit relativ unbekannt ist er, weil er nach seinem Studium in den 1970er Jahren in die USA ausgewandert ist und dort die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen hat. Am 10. November 2011 hielt er in der Noordwijk Space Expo einen Vortrag. Dieser war sehr kurzfristig angekündigt und deshalb leider nicht sehr gut besucht.
Vom 29. April bis zum 6. Mai 1985 nahm Van den Berg an der Spacelab-3–Mission STS-51B des Space Shuttles Challenger teil. Für die amerikanischen Spacelab-Missionen hat die NASA zuerst die geplanten Experimente mit den Qualifikationen der vorhandenen Berufsastronauten verglichen. Als darin kein Match vorhanden war, wurde beschlossen, zwei Wissenschaftler zu Astronauten auszubilden. Es wurden Anzeigen in wissenschaftlichen Zeitschriften geschaltet, außerdem wurden die Leiter der Investigators Working Group (IWG) – der Wissenschaftler, welche die Spacelab-Experimente betreuten – gebeten, jeweils 8 Leute als Wissenschaftsastronauten vorzuschlagen. Van den Bergs damaliger wissenschaftlicher Teamleiter gehörte zu dieser IWG. Er hatte schon 7 Vorschläge auf der Liste und schlug den damals 52-jährigen, rauchenden, eine Brille tragenden Van den Berg als achten vor, der Meinung, dass der sowieso nach der ersten Runde ausscheiden würde. Zu seinem eigenen Erstaunen blieb Van den Berg nach jeder Runde in der Auswahl und wurde schließlich als NASA-Nutzlastspezialist ausgewählt.
Die medizinischen Untersuchungen in den Auswahlrunden beschrieb er als sehr intensiv. Interessanterweise wartet hier der Arzt auf den Patienten und nicht andersherum wie im alltäglichen Leben. Als Kandidat wird man von Untersuchung zu Untersuchung geschickt. So bekamen die Kandidaten einmal 24 Stunden nichts zu essen und danach 14 Blutproben abgenommen. Wieso so viele Blutproben nötig waren, weiß Van den Berg bis heute nicht. Es wurden Tests mit Tretmühlen und mit Vakuumapparaten durchgeführt; als Grund für die intensiven Testreihen wurde schließlich und endlich angegeben, man wolle wissen, mit wie viel Geduld die Kandidaten so viele Tests aushalten.
Über den Raumflug selbst beschrieb Van den Berg vor allem die alltäglichen Tätigkeiten, die sich im Weltraum anders gestalten als auf der Erde. So hatte er eine Portion amerikanisches Space-Shuttle-Essen sowie seine Weltraumjacke dabei. Das Essen wird in getrockneter Form in einer Plastikschale mitgenommen und im Weltraum, bei Bedarf, mit warmem Wasser versetzt und dann mit Besteck oder durch einen Strohhalm aufgegessen. Damit das Essen einem in der Schwerelosigkeit nicht wegschwebt, sind an der Essenspackung Klettstreifen angebracht. Auch an den Ärmeln der Raumanzüge und überall im Shuttle sind diese Klettstreifen befestigt. Der Astronaut kann sein Essen also auf diese Weise an seinem Raumanzug oder im Shuttle anderswo befestigen. Das konnte van den Berg mit seiner Jacke ganz gut demonstrieren.
Trinken im Weltraum ist auch ein Thema für sich. Wenn man auf der Erde durch einen Strohhalm etwas trinkt und den Strohhalm wieder aus dem Mund nimmt, bewegt sich das Getränk durch die Schwerkraft wieder durch den Strohhalm nach unten. Dies ist bei Schwerelosigkeit anders. Wenn man etwas mit einem Strohhalm getrunken hat, muss man das Getränk, das sich noch im Strohhalm befindet, wieder in den Behälter „blasen“, weil es sich nicht von selbst zurück bewegt. Flüssigkeit, die man aus seinem Strohhalm heraus drückt, bildet bei Schwerelosigkeit eine Kugel, weil mangels Schwerkraft die intermolekularen Kräfte in der Flüssigkeit überwiegen. Scheren für Astronauten sind klein und haben runde Enden. Wären sie spitz, so wäre das mit einer gewissen Verletzungsgefahr verbunden. Insgesamt beschrieb Van den Berg, dass man im Weltraum regelrecht in 3 Dimensionen lebt, während sich das Leben auf der Erde in 2 Dimensionen und mehreren Plateaus abspielt. Das sieht man auch, wenn man einander bei Schwerelosigkeit einen Gegenstand zuwerfen möchte. Man muss üben, sich in direkter Linie etwas zuzuwerfen, da man auf der Erde etwas automatisch in einem Bogen wirft.
Über den Missionsverlauf erzählte Van den Berg, dass die Astronauten an Bord in zwei Schichten gearbeitet haben, einem „silbernen“ und einem „goldenen“ Team, die je 14 Stunden pro Tag arbeiten. Das erste, das die Besatzung nach dem Erreichen der Erdumlaufbahn tat, war, zwei kleine Navigationssatelliten für die zivile Luftfahrt auszusetzen. Auch ging er auf die Experimente an Bord ein. Die Besatzung hatte zwei Totenkopfäffchen und 24 Ratten an Bord, sowie Kristallzuchtexperimente. Wenn die Astronauten mal nichts zu tun hatten, schwebten sie ins Cockpit, schauten aus dem Fenster und genossen die Aussicht auf die Erde und auf den Weltraum oberhalb der Erdatmosphäre. Die Sonne sieht vom Weltraum aus glühend weiß aus. Wenn wir hier unsere Erdatmosphäre nicht hätten, würde die Sonne uns innerhalb von 20 Minuten versengen.
Während der Landung ist Van den Berg eingeschlafen, ganz einfach weil er müde war. Im Weltraum wird viel gearbeitet, und in der freien Zeit im Weltraum ist es meistens viel spannender, aus dem Fenster zu schauen, als zu schlafen.
Dem Vortrag folgte eine Frage-und-Antwort-Runde. Hier wurde etwas näher auf die Kristallzuchtexperimente eingegangen. Kristalle züchten gelingt im Weltraum besser als auf der Erde, weil bei Schwerelosigkeit die Konvektion wegfällt. 99,9% aller Elektronik basiert auf von Menschen gezüchteten Kristallen. Elektronische Bauelemente aus Kristallen, die bei Schwerelosigkeit gezüchtet werden, sind 10 Mal schneller als die von der Erde. Allerdings rentiert sich Kristallzucht im Weltraum im größeren Maßstab nicht, da der Kostenaufwand für den Transport des zu verarbeitenden Pulvers von der Erde in den Weltraum, die Personalkosten für die Kristallzucht und der Rücktransport der Kristalle momentan noch zu hoch sind.
Zum Schluss wurde die berühmte Frage beantwortet, die jedes kleine Kind einem Astronauten stellt. Es waren zwar diesmal keine kleinen Kinder im Publikum anwesend, trotzdem beschrieb Lodewijk van den Berg ausführlich die Funktion der Space-Shuttle-Bordtoilette. Es braucht ein wochenlanges Training, um die Toilette richtig zu benutzen. Den Urin-Ablassen selbst, macht der menschliche Körper nicht mit Hilfe der Schwerkraft, sondern mit Muskelkraft. Das Problem im Weltraum ist, die menschlichen Ausscheidungen im Klobecken zu lassen. Das funktionierte im Space Shuttle mit einem Sauge-Ventilatormechanismus, der den Urin und die Fäkalien in einen Tank blies. Da dieses System relativ lautstark war, konnte von einem „stillen Örtchen“ im Space Shuttle nicht die Rede sein. Wenn niemand auf der Toilette war, blieb das System geschlossen. Sobald jemand die Toilette benutzen wollte, setzte er sich erst mal hin und band sich fest, um nicht davon zu schweben. Dann wurde durch Knopfdruck der Ventilator aktiviert, der einen Unterdruck herstellte, bis ein grünes Licht brannte. Die Ausscheidungen wurden dann nach hinten und seitwärts in den Tank gesaugt.
Ein Experiment während van den Bergs Mission sollte messen, wie viel an Mineralstoffen der menschliche Körper bei Schwerelosigkeit verliert. Dazu wurde in der Toilette ein Apparat zwischengeschaltet, der erst den Mineralgehalt im Urin der Astronauten messen sollte, bevor der Urin in den Fäkalientank gesaugt werden sollte. Das ging die ersten Tage gut; irgendwann aber pumpte der Messapparat den Urin nicht mehr in den Tank, sondern versehentlich zurück in die Kabine. So entstand eine große gelbe Kugel Urin, von den Astronauten „Yellow Monster“ genannt. So schnell wie möglich haben die Astronauten die Kugel mit Handtüchern aufgeräumt und alles sauber gemacht. Es hätte auch eine erhebliche Beschädigung der Bordelektronik gegeben, wenn sie mit dem Urin in Berührung gekommen wären. Schlimmstenfalls hätte die Besatzung gar nicht zur Erde zurückkehren können. Das Bodenpersonal wusste von alledem nichts und ist erst später darüber informiert worden.
Dem Vortrag anschließend hat noch eine kurze Autogrammstunde stattgefunden. Van den Berg nutzte die weitere Zeit seines Aufenthaltes in den Niederlanden für Besuche in seiner Heimatregion, unter anderem an seiner ehemaligen Schule.