In ihrem Labor in 430 Metern Tiefe prüft und kalibriert die PTB hochempfindliche Strahlungsmessgeräte. Eine Presseinformation der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).
Quelle: Physikalisch-Technische Bundesanstalt.
Nach Tschernobyl wurden weltweit Netzwerke von Messstationen eingerichtet, um die Radioaktivität und Ortsdosisleistung in der Umwelt flächendeckend zu überwachen. Heute sind allein in Europa mehr als 5500 solcher Messstationen nationaler Frühwarnsysteme im Einsatz, die mit hochempfindlichen Dosimetern die Ortsdosisleistung überwachen und ihre Messdaten rund um die Uhr, im Stundentakt, an das Joint Research Center (JRC) der EU-Kommission nach Ispra (Italien) melden. Ein Großteil dieser Dosimeter wurde im Laufe der Jahre im Untertagelaboratorium für Dosimetrie und Spektrometrie (UDO) der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) untersucht und kalibriert. Die Bedeutung der Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt wurde 2011 durch die Reaktorunfälle in Fukushima Daiichi, mit massiven Freisetzungen von radioaktiven Stoffen und großflächigen Kontaminationen, noch einmal verdeutlicht. Das UDO-Labor, das inzwischen seit 30 Jahren besteht, bietet mit einem der weltweit niedrigsten Strahlungspegel in einem Messraum überhaupt beste Bedingungen für die Bestimmung der Eigenschaften von Dosimetern und Spektrometern, die heutzutage nicht nur für die Überwachung der Umweltradioaktivität und Ortsdosisleistung, sondern auch zunehmend für grundlegende Beobachtungen der Umwelt wie des Klimawandels und des Stoffkreislaufs von zentraler Bedeutung sind.
Wer ein empfindliches Dosimeter oder Spektrometer überprüfen will, braucht dazu eine Umgebung mit möglichst wenig natürlicher Strahlung (d. h. eine niedrige Ortsdosisleistung der Umgebungsstrahlung). Die bietet sich, wenn man möglichst weit in die Tiefe geht, weil die natürliche Höhenstrahlung tief untertage stark abgeschwächt ist. Und sie bietet sich insbesondere in einer Umgebung aus reinem Steinsalz (NaCl, Kochsalz), das extrem geringe natürliche Radioaktivitätskonzentrationen aufweist; sie sind mehr als hundertmal niedriger als in typischen Baumaterialien wie etwa Mauerziegeln. Aus diesen Gründen errichtete die PTB ihr Untertagelaboratorium für Dosimetrie und Spektrometrie (UDO) in 925 Metern Tiefe im Bergwerk Asse II. Am 30. April 1991 wurde es vom damaligen PTB-Präsidenten Dieter Kind zusammen mit Kollegen der Gesellschaft für Strahlenschutz (GSF), dem damaligen Betreiber des Bergwerks, dort offiziell eingeweiht. Im Jahr 2004 musste UDO wegen der zunehmenden Verfüllung der Asse allerdings auf die 490-Meter-Sohle umziehen. Und schließlich, nach Schließung des Bergwerks Asse II, fand die PTB im Jahr 2011 einen neuen Standort für ihr Labor: im Salzbergwerk Braunschweig-Lüneburg, das von der European salt company (esco) betrieben wird, in Grasleben nahe Helmstedt, in 430 Metern Tiefe. Mit einer Ortsdosisleistung von lediglich (1,4 ± 0,2) nSv/h (das entspricht ca. 2 % der mittleren Ortsdosisleistung in Deutschland über Tage) und einer sehr geringen Radon-Aktivitätskonzentration in der Luft herrschen hier ähnlich gute Bedingungen wie vormals im „UDO-Labor der Asse“. Der Betrieb von UDO II, wie das Labor seither heißt, startete im Herbst 2012 mit einem großen Messvergleich von Dosimetern aus europäischen Frühwarnsystemen.
Die Arbeiten im UDO waren durchwegs eine Erfolgsgeschichte. Hier gibt es eine auf Primärnormale rückführbare Kalibriereinrichtung für Photonenstrahlungsfelder für den Dosisleistungsbereich der natürlichen Umgebungsstrahlung (50 nSv/h bis 200 nSv/h); lange Zeit war sie weltweit die einzige Einrichtung dieser Art. Von 1998 bis 2011 verfügte UDO zudem über drei der empfindlichsten Gamma-Spektrometriesysteme in Europa, mit denen zahlreiche Proben auf deren radioaktive Nuklide (Radionuklid-Metrologie und Umweltradioaktivität) untersucht wurden. Die kleinste dabei gemessene Aktivität war die einer Vanadium-50-Probe mit etwa drei radioaktiven Zerfällen pro Tag (nachgewiesen durch ein Ereignis pro Tag im Photo-peak des Gammastrahlung-Spektrometers!). Solch eine Messung ist überhaupt nur in einer Umgebung mit sehr geringer Strahlung möglich. Nach einer Messzeit von 120 Tagen konnte die Halbwertszeit dieses Nuklides mit T½ = (2,29 ± 0,25) 1017 Jahren (10 Millionen-mal länger als das heutige Alter des Universums) genauer als jemals zuvor bestimmt werden. Die Kenntnis dieser Halbwertszeit ist wichtig für Doppel-Betazerfalls-Experimente und damit die Untersuchung der fundamentalen Eigenschaften der schwachen Wechselwirkung. Messungen zur Aktivierung durch Neutronen wurden u. a. für Stahlproben aus Hiroshima, aktiviert durch den Atombombenabwurf 1945, und Tokaymura, Japan (wo 1999 ein nuklear-technischer Unfall passiert war) durchgeführt. Mit diesen Spektrometern wurde auch das Plasma des JET-Fusionsreaktors mittels Aktivierung untersucht; es waren die ersten direkten Messungen geladener Teilchen im Fusions-Plasma überhaupt. Daneben wurde die Radioaktivität von Meteoriten hochpräzise gemessen, und es gab zahlreiche zum Teil interdisziplinäre Forschungsvorhaben und Kooperationen mit Partnern aus ganz Europa.
Der Reaktorunfall in Fukushima machte deutlich, dass die Überwachung der Umgebung auf Radioaktivität und ionisierende Strahlung auch Jahrzehnte nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl keinen verzichtbaren Luxus darstellt. Im Gegenteil: Die Verbreitung von dosimetrischen und spektrometrischen Frühwarnsystemen hat weiter zugenommen, und auch private Initiativen („citizen science initiatives“) haben weltweit vernetzt damit begonnen, die ionisierende Strahlung in der Umwelt zu beobachten. Die Bereitstellung von rückführbaren und verlässlichen Kalibrierungen bei sehr geringen Dosisleistungen ist ein wesentliches Element der PTB mit dem Ziel der Harmonisierung der nationalen Frühwarnsysteme, der Unterstützung des radiologischen Notfallschutzes und der Weiterentwicklung der Metrologie für die Strahlenschutzgesetzgebung in Europa. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Messungen kann nur erreicht werden, wenn die nationalen Ortsdosisleistung-Werte an Ländergrenzen keine nennenswerten „Sprünge“ aufweisen. Nur in einer Messumgebung mit vernachlässigbarer Strahlung lässt sich hochempfindliche Strahlungsmesstechnik genau untersuchen und kalibrieren und können Elektronik- und radioaktivitätsbedingte „Eigennull-Effekte“ präzise bestimmt werden. Die PTB sorgt mit dem Betrieb dieser einzigartigen Einrichtung dafür, dass Menschen und Organisationen den staatlichen Messungen vertrauen können.
In den letzten Jahren hat die PTB mehrere europäische Forschungsprojekte mit bis zu 20 Partnerinstitutionen geleitet, bei denen die Mess- und Kalibriermöglichkeiten des UDO-Labors eine zentrale Rolle spielten. Auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird Europa ohne eine Einrichtung wie UDO im Bereich der Umweltüberwachung auf Radioaktivität (Strahlenschutzmetrologie in der Umwelt) sowie der Beobachtung des Klimawandels und seiner bestimmenden Parameter nicht auskommen.