Raumfahrt: Wäre Indien weiter?

S. Nambi Narayanan ist sich sicher: Wäre das indische Raumfahrtprogramm nicht aktiv behindert worden, wäre es heute deutlich weiter. Verantwortlich für die Behinderungen macht Nambi Narayanan indische und ausländische Behörden und Geheimdienste.

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: IANS, ISRO, Sify

Vikas-Motor am Heck der 2. Stufe für eine PSLV-Rakete
(Bild: ISRO)
Vikas-Motor am Heck der 2. Stufe für
eine PSLV-Rakete
(Bild: ISRO)

S. Nambi Narayanan war als Projekt-Direktor zur Entwicklung von Flüssigkeitstriebwerken bei der indischen Weltraumforschungsorganisation (Indian Space Research Organisation, ISRO) beschäftigt. In den 1980er Jahren kümmerte er sich um die Einführung der entsprechenden Technologie in Indien.

Die Raketenmotore vom Typ Vikas, die in den indischen Raketen der Reihen PSLV und GSLV regelmäßig zum Einsatz kommen, sind Ergebnis der Arbeit von Nambi Narayanan, bei der er und seine Mitarbeiter maßgebliche Unterstürzung aus Frankreich erhielten. Die Vikas-Triebwerke sind Varianten der europäischerseits früher in Ariane-Raketen verwendeten Viking-Motore.

Für den Einsatz in Raketen vom Typ GSLV hatte die ISRO außerdem den Einsatz kryogener, also flüssigen Wasserstoff mit flüssigem Sauerstoff verbrennender Triebwerke vorgesehen. Der Entwicklung entsprechender Raketenmotore nahm sich Nambi Narayanan ebenfalls an. 1991 vereinbarte er im Auftrag der ISRO mit dem russischen Staatsunternehmen Glawkosmos, das für internationale Projekte im Raumfahrtbereich zuständig ist, einen russisch-indischen Technologietransfer.

Der Transfer von Wissen um den Bau kryogener Triebwerke verlief dann aber nicht so wie erwartet. 1993 gab Glawkosmos Druck aus den Vereinigten Staaten von Amerika nach und lehnte die Erfüllung des verabredeten Vertrags endgültig ab. Eine als Alternative organisierte Produktion russischer Triebwerke bei einem Industrieunternehmen in Indien ohne unmittelbare Beteiligung durch die ISRO kam ebenfalls nicht zu Stande.

Zwischenzeitlich war es Nambi Narayanan laut eigener Auskunft aber gelungen, in den Besitz von Material und Dokumenten aus Russland zu gelangen. Seinen Angaben zufolge gab es vier Lufttransporte aus Russland an Indien, die von einer privaten Fluglinie mit dem Namen Ural Aviation abgewickelt worden seien.

GSLV MkIII vor erstem Testflug am 18. Dezember 2014 mit inaktiver kryogener Oberstufe
(Bild: ISRO)
GSLV MkIII vor erstem Testflug am
18. Dezember 2014 mit inaktiver kryogener
Oberstufe
(Bild: ISRO)

Im November 1994 wurde Nambi Narayanan verhaftet. Man warf im vor, Geheimnisse zur indischen Raketenentwicklung an Pakistan verraten zu haben. Dazu habe er sich angeblich zweier vermeintlicher Spioninnen von den Malediven (Fauzia Hassan und Mariam Rasheeda) bedient. In der Folge kam die Entwicklung kryogener Antriebstechnologie in Indien faktisch kaum noch voran.

Einem Korrespondenten berichtete Nambi Narayanan einer Meldung des indischen Informations- und Kommunikationstechnik-Anbieters Sify zufolge, eine Annullierung des Vertrags mit Glawkosmos und seine Verhaftung seien Punkte einer US-amerikanischen Agenda gewesen, und mit Hilfe offizieller Stellen aus Indien, dem IB für Intelligence Bureau genannten indischen Geheimdienst und der Polizei des indischen Bundesstaats Kerala, umgesetzt worden.

Als Beweis für die erforderliche Verschwörung betrachtet Nambi Narayanan die 1996 erfolgte Suspendierung eines IB-Geheimdienstlers mit Direktoren-Rang, dem enge Verbindungen zum US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA nachgesagt worden seien.

1996 war auch das Jahr, in dem die indische Bundespolizeibehörde namens Central Bureau of Investigations (CBI) im Rahmen einer Untersuchung des vermeintlichen ISRO-Spionagefalls zum Schluss kam, dass ein solcher in Wirklichkeit nie existierte und ausschließlich auf Erfindungen von IB und Polizei aus Kerala zurückzuführen sei.

1998 schlossen sich der oberste Gerichtshof Indiens und die Ende 1993 gegründete nationale indische Kommission für Menschenrechte (National Human Rights Commission, NHRC) der Einschätzung der CBI an.

Die NHRC beschied der Regierung des indischen Bundesstaates Kerala außerdem, neben der Anwendung physischer und psychischer Gewalt gegen Nambi Narayanan und seine Familie die Kariere von Nambi Narayanan im Raumfahrtsektor nachhaltig zerstört zu haben.

Der indisch-asiatischen Nachrichtenagentur (Indo-Asian News Service, IANS) erklärte Nambi Narayanan, Indien habe wegen der Verschwörung einen Einnahmeausfall von mehreren Milliarden Dollar wegen nicht möglicher Raketenstarts für kommerzielle Kunden zu verkraften und sei wegen der Verschwörung mindestens zwölf Jahre hinter dem zurück, was man eigentlich hätte erreichen können.

CE-20 kurz nach der Zündung im Test am 19. Februar 2016
(Bild: ISRO)
CE-20 kurz nach der Zündung im Test
am 19. Februar 2016
(Bild: ISRO)

Die Verzögerungen beim Transport von Nutzlasten jenseits einer Startmasse um 2 Tonnen sind augenfällig. Beispielsweise liegen zahlreiche Projekte für größere indische geostationäre Kommunikationssatelliten deutlich hinter den ursprünglichen Planungen zurück. Verschiedentlich sah die ISRO sich veranlasst, Starts im Ausland zu buchen. Dabei konnte sie insbesondere auf gute Beziehungen zum europäischen Startanbieter Arianespace zurückgreifen.

Enttäuscht zeigte sich Nambi Narayanan, dass sich niemand mit den Motiven der Verschwörer beschäftige und Beteiligte, die ihre Dienstpostionen offensichtlich missbraucht hätten, nicht bestraft worden seien. Nambi Narayanan fordert von der Regierung Indiens die Bildung einer speziellen Untersuchungskommission zur völligen Aufklärung des vermeintlichen ISRO-Spionagefalls.

Der mittlerweile 75 jährige Raketentechniker hatte vor über 20 Jahren den Grundstein für Entwicklungsfortschritte gelegt, die die ISRO – zuletzt mit einem erfolgreichen Test eines kryogenen Triebwerks vom Typ CE-20 mit einem projektierten Schub von 186 Kilonewton für die Rakete GSLV MkIII – zeigte.

Jetzt verbringt Nambi Narayanan einen großen Teil seiner Zeit mit dem Durchfechten von Gerichtsverfahren. Die Regierung von Bundesstaat und Nation hat er auf Ersatz erlittenen Schadens verklagt. Gegen Polizeibeamte, die gegen ihn und seine Angehörigen vorgingen, will er ebenfalls Verfahren anstrengen.

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