Der Raumsonde Rosetta ist bei der Untersuchungen des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko eine weitere Entdeckung gelungen. Die an der Mission beteiligten Wissenschaftler konnten jetzt den Prozess offen legen, der den rapiden Zerfall von Wasser- und Kohlenstoffdioxidmolekülen auslöst, welche von der Kometenoberfläche entweichen.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESA, JPL, Astronomy & Astrophysics.Vertont von Peter Rittinger.
Nach einem mehr als zehn Jahre andauernden Flug durch unser Sonnensystem erreichte die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta am 6. August 2014 das Ziel ihrer Reise – den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt). Seitdem ‚begleitet‘ Rosetta diesen Kometen auf seinem weiteren Weg in das innere Sonnensystem und untersucht dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei intensiv mit elf wissenschaftlichen Instrumenten aus Entfernungen zwischen acht bis hin zu einigen hundert Kilometern.
Bei einem der dabei zum Einsatz kommenden Instrumente handelt es sich um ein abbildendes Spektrometer namens „ALICE“, welches in erster Linie die chemische Zusammensetzung der Koma des Kometen 67P im ultravioletten Wellenlängenbereich analysieren soll. Dies beinhaltet unter anderem Messungen zur Bestimmung der Häufigkeit der Edelgase Helium, Neon, Argon, Krypton und Xenon. Aus den relativen Häufigkeiten dieser Gase lassen sich Informationen über die Umgebungstemperatur zum Zeitpunkt der Kometenentstehung ableiten. Des weiteren sucht ALICE in der Kometenkoma nach atomarem oder ionisiertem Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff sowie nach signifikanten Molekülverbindungen wie Wasser, Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid. Eine ausführlichere Beschreibung des ALICE-Spektrometers finden Sie auf dieser Internetseite der ESA in englischer Sprache.
Zweistufige Aufspaltung der Gasmoleküle in der Koma
Ein von Paul D. Feldman, Professor für Physik und Astronomie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland, geleitetes Team hat jetzt die Prozesse untersucht, welche zu dem rapiden Zerfall von Wasser- und Kohlenstoffdioxidmolekülen in der Koma des Kometen 67P führen. Hierfür analysierte das Team die Daten, welche von dem ALICE-Instrument zwischen August und November 2014 gewonnen wurden. In diesem Zeitraum umkreiste die Raumsonde Rosetta den Kometen 67P in Entfernungen zwischen lediglich acht bis hin zu etwa 80 Kilometern zu dessen Oberfläche.
Mit dieser Studie analysierten die beteiligten Wissenschaftler somit realtiv ’nahe am Kometenkern‘ die Emissionen von Wasserstoff- und Sauerstoffatomen, welche durch die Aufspaltung von Wassermolekülen freigesetzt werden. Ebenfalls untersucht wurden die ursprünglich in Kohlenstoffdioxidmolekülen enthaltenen Kohlenstoffatome. Dabei stellte sich heraus, dass die zugrunde liegenden Moleküle in einem zweistufigen Prozess aufgebrochen werden. Letztendlich werden die von dem Kometen 67P abgegebenen Gasmoleküle jedoch durch Elektronen und nicht – wie es bislang allgemein angenommen wurde – durch solare Photonen aufgespalten.
Zunächst trifft laut dieser Studie ein von der Sonne ausgehendes Photon ein in der Kometenkoma befindliches Wassermolekül und ionisiert dieses. Im Rahmen dieses Vorganges löst das Photon ein Elektron aus dem ‚getroffenen‘ Molekül heraus. Erst diese freigesetzten Elektronen treffen anschließend auf weitere Wassermoleküle in der Koma. Durch die dabei erfolgende Energieübertrag werden die Moleküle in einzelne Molekülbruchstücke oder gänzlich in jeweils zwei Wasserstoff- sowie ein Sauerstoffatom aufgespalten. Alle so freigesetzten Molekülbruchstücke und Atome befinden sich jetzt in einem angeregten Zustand und geben ihre überschüssigen Energien dabei in Form von ultravioletter Strahlung ab, deren charakteristische Wellenlängen von dem ALICE-Instrument registriert werden können. Gleichermaßen führt der Aufprall eines Elektrons auf ein Kohlenstoffdioxidmolekül zu dessen Aufspaltung in einzelne Atome, was die ebenfalls von ALICE beobachteten Kohlenstoffemissionen verursacht.
„Durch die Analyse der relativen Intensitäten der von uns beobachteten atomaren Emissionen konnten wir feststellen, dass wir tatsächlich die ursprünglichen Moleküle beobachten, die von Elektronen in der unmittelbaren Nähe des Kometenkerns – lediglich etwa einen Kilometer von diesem entfernt – aufgebrochen werden“, so Prof. Paul Feldman.
Die größte Aktivität fand bisher in der ‚Halsregion‘ statt
„Durch die Analyse der Emissionen von Wasserstoff- und Sauerstoffatomen, die von den Wassermolekülen abgespalten werden, können wir außerdem die Position und die Struktur der Wasserschwaden, die aus der Kometenoberfläche heraustreten, bestimmen“, so Joel Parker vom Southwest Research Institute (SwRI) in Boulder im US-Bundesstaat Colorado und einer der an dieser Studie beteiligten Forscher.
Hierbei zeigte sich, dass zum Zeitpunkt der zugrunde liegenden ALICE-Messungen in erster Linie der schmale ‚Halsbereich‘, welcher die beiden Hauptkörper des Kometenkerns miteinander verbindet, Wasserdampf freisetzte. Diese Beobachtung konnte durch die Aufnahmen der an Bord von Rosetta befindlichen Kamerasysteme sowie mit den Instrumenten MIRO, ROSINA, VIRTIS und RPC-IES bestätigt werden. Die Freisetzung von Wasserdampf erfolgt laut den Messergebnissen anscheinend kontinuierlich und weist keine größeren Schwankungen auf. Die Freisetzungsraten von Kohlenstoffdioxid variiert dagegen zeitlich.
„Diese frühen Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, einen Kometen in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen und mit unterschiedlichen Technologien zu untersuchen, um so verschiedene Aspekte der Kometenumwelt zu erforschen“, so Matt Taylor, der für die Rosetta-Mission zuständige Projektwissenschaftler der ESA. „Wir verfolgen derzeit, wie sich der Komet entwickelt, während er auf seinem Orbit der Sonne immer näher kommt, bis er im August sein Perihel erreicht. Wir sehen, wie die Schwaden wegen der zunehmenden Sonnenwärme immer aktiver werden und untersuchen die Auswirkungen der Interaktion des Kometen mit dem Sonnenwind.“
Während der vergangenen Monate konnten die an der Rosetta-Mission beteiligten Wissenschaftler eine durch die fortschreitende Annäherung an die Sonne bedingte kontinuierlich zunehmende Aktivität des Kometen 67P beobachten. Obwohl es noch etwa zwei Monate dauern wird, bis 67P auf seiner Umlaufbahn um die Sonne am 13. August 2015 in einer Entfernung von etwa 186 Millionen Kilometern zur Sonne das Perihel – den Punkt der dichtesten Annäherung an das Zentralgestirn unseres Sonnensystems – durchlaufen wird, ist der Komet bereits jetzt von einer deutlich erkennbaren Koma aus Gas und Staubpartikeln umgeben.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse über die Molekülaufspaltung in der Koma des Kometen 67P wurden von Prof. Paul Feldman et al. am 2. Juni 2015 in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics unter dem Titel „Mesaurements of the near-nucleus coma of Comet 67/P Churyumov-Gerasimenko with the Alice far-ultraviolet spectrograph on Rosetta“ publiziert.
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