Wissenschaftler haben auf den Aufnahmen der Raumsonde Rosetta von der Oberfläche des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko 120 nur metergroße Bereiche identifiziert, bei denen es sich offenbar um Ablagerungen von gefrorenem Wasser handelt. Dieser Fund stützt die Theorie, dass sich das Wassereis des Kometen 67P in erster Linie unter einer dunklen Staubschicht verbirgt. Außerdem wurde die Rosetta-Mission inzwischen von der ESA um weitere neun Monate bis zum September 2016 verlängert.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESA. Vertont von Peter Rittinger
Nach einem mehr als zehn Jahre andauernden Flug erreichte die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta am 6. August 2014 das Ziel ihrer Reise – den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt). Seitdem ‚begleitet‘ Rosetta diesen Kometen auf seinem weiteren Weg in das innere Sonnensystem und untersucht dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei intensiv mit elf wissenschaftlichen Instrumenten.
Die Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems
Die Sonne – das Zentralgestirn unseres Sonnensystems – entwickelte sich vor etwa 4,6 Milliarden Jahren aus einer interstellaren Gas- und Staubwolke – der so genannten Urwolke – welche schließlich durch gravitative Einflüsse kollabierte. Hierbei bildete sich im Inneren dieser Wolke eine dichte und sehr heiße Materiekonzentration, welche sich letztendlich im Rahmen einer stellaren Kernfusion entzündete und im Rahmen dieses Prozesses zu einem ’neu geborenen‘ Stern wurde. Das bei dieser Sternentstehung nicht verbrauchte Material konzentrierte sich zunächst in einer die Sonne umgebenden protoplanetaren Scheibe und war das Ausgangsmaterial für die sich im Verlauf eines komplexen Entstehungsprozesses innerhalb unseres Sternsystems bildenden Kometen, Asteroiden und Planeten.
Die Kometen bewegen sich auf stark elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne. Den Großteil ihrer Existenz fristen diese auch als ’schmutzige Schneebälle‘ bezeichneten Objekte dabei fernab der Sonne als kalte, nahezu unveränderliche Brocken, welche im Wesentlichen aus Wassereis, Staub- und Gesteinspartikeln sowie verschiedenen gefrorenen Gasen wie zum Beispiel Kohlenstoffdioxid, Methan und Ammoniak bestehen. Die Kometen sind wahrscheinlich die ältesten und weitgehend unverändert gebliebenen Überreste der protoplanetaren Scheibe. In den Kometen ist die Materie aus der Entstehungszeit unseres Sonnensystems dabei bis in die Gegenwart wie in einer ‚kosmischen Tiefkühltruhe‘ konserviert.
Das Hauptziel der Rosetta-Mission, so die beteiligten Wissenschaftler, besteht darin, durch die Untersuchung der zu ermittelnden chemischen und physikalischen Eigenschaften des Kometen 67P ein noch besseres Verständnis über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte unseres Sonnensystems zu erlangen.
Wassereis direkt auf der Oberfläche von 67P?
Dabei zeigte sich bereits in der Frühphase der Erforschung des Kometen 67P durch die Raumsonde Rosetta, dass dessen Oberfläche extrem dunkel ist – es werden nur wenige Prozent des Sonnenlichts reflektiert – und dass dort zudem Temperaturen auftreten, welche das großflächige Vorhandensein von Wassereis ausschließen (Raumfahrer.net berichtete). Die Kometenforscher vermuten deshalb, dass sich das auf dem Kometen konzentrierte Wassereis unter der Oberfläche befindet und von einer dunklen Staubschicht bedeckt ist. In Einklang mit dieser Annahme wurden bereits im März 2015 erstmals Hinweise darauf gefunden, dass sich in der Region „Hapi“ offenbar Wassereis direkt auf beziehungsweise unmittelbar unterhalb der Oberfläche befindet (Raumfahrer.net berichtete ebenfalls).
Mittlerweile konnten die an der Mission beteiligten Wissenschaftler auf den Aufnahmen der OSIRIS-Kamera – der unter der Leitung von Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen entwickelten und betriebenen Hauptkamera an Bord von Rosetta – rund 120 auffallend helle, lediglich wenige Meter große Bereiche auf der Oberfläche des Kometen 67P identifizieren. Die optischen Eigenschaften dieser ‚hellen Flecken‘ deuten darauf hin, dass es sich hierbei um gefrorenes Wasser handelt. Sie reflektieren bis zu 60 Prozent des einfallenden Sonnenlichtes, was ein typischer Wert für Wassereis ist. Zudem erscheinen diese Flecken in Falschfarbenaufnahmen leicht bläulich, was ebenfalls auf Wassereis hindeutet.
Ein weiterer entscheidender Hinweis auf Wassereis: Innerhalb des Beobachtungszeitraums – die entsprechenden Aufnahmen wurden bereits zwischen dem August und dem November 2014 angefertigt – haben sich diese Bereiche offenbar nur minimal verändert. Gefrorenes Kohlenstoffdioxid und -monoxid, welches die Kometenforscher ebenfalls auf der Oberfläche von 67P erwarten, sollte sich in diesem Zeitraum rasch verflüchtigt haben, was zu deutlich erkennbaren Oberflächenveränderungen geführt hätte.
„Keine der früheren Kometenmissionen hat räumliche Auflösungen im Bereich einiger Meter erreicht“, so Dr. Holger Sierks vom MPS, der wissenschaftliche Leiter des OSIRIS-Kameraexperiments. „Wir sehen Strukturen dieser Art deshalb zum ersten Mal.“
Mit der hohen Auflösung der OSIRIS-Kamera betrachtet entpuppen sich die meisten der beobachteten ‚hellen Flecken‘ als einzelne ‚Brocken‘. Einige dieser Objekte treten jedoch auch in Gruppen auf. Diese Ansammlungen finden sich typischerweise in Geröllfeldern an der Basis von Klippen und Steilhängen. Sie könnten durch das Zusammenbrechen der Klippen an die Kometenoberfläche gelangt sein. Im Gegensatz dazu stechen die vereinzelten Objekte, welche sich sowohl auf ‚freiem Feld‘ als auch in schattigen Regionen befinden, deutlich aus ihrer Umgebung hervor.
Laborexperimente
Zwecks der Klärung der Frage, wie es zu dieser Verteilung der vermutlichen Wassereisablagerungen kommen konnte, führten die Kometenforscher verschiedene Laborexperimente durch und untersuchten dabei, wie sich eine Mischung aus Wassereis und verschiedenen Mineralien unter Sonneneinstrahlung verhält. Ihr Ergebnis: Bereits nach wenigen Stunden bildet sich ein dunkler Staubmantel von einigen Millimetern Dicke aus, welcher das darunter liegende Eis verbirgt. Gelegentlich konnte das verdampfende Wasser in diesen Experimenten jedoch größere Staubkörner oder sogar größere Brocken mit sich reißen und so helle Bereiche freilegen, wo das Wassereis frei zutage liegt.
Das von Antoine Pommerol von der Universität Bern geleitete Team hält es für möglich, dass die jetzt beobachteten ‚eisigen Stellen‘ bereits vor sechseinhalb Jahren entstanden sind, als sich der Komet 67P das letzte Mal der Sonne näherte. Dabei könnten auch einige wassereishaltige Brocken in Gebiete geschleudert worden sein, welche in der Folgezeit permanent im Schatten lagen, so dass diese die folgenden Jahre überdauerten. Einer anderen Theorie zur Folge könnte für diesen Materialtransport aber auch die zwischenzeitlich erfolgte Emission von Kohlenstoffdioxid und -monoxid verantwortlich sein, welche auch in größerer Entfernung zur Sonne erfolgt.
„Die beste Strategie, diese Fragen zu klären, ist abzuwarten“, so Dr. Sierks. „In den kommenden Monaten werden wir 67P weiter beobachten und so hoffentlich diese Prozesse aus nächster Nähe miterleben.“ Erst am 13. August 2015 wird der Komet 67P – auch weiterhin von Rosetta begleitet – in einer Entfernung von etwa 186 Millionen Kilometern zur Sonne das Perihel – den Punkt der dichtesten Annäherung an das Zentralgestirn unseres Sonnensystems – durchlaufen.
„Während sich der Komet weiter seinem Perihelion nähert nimmt auch die Intensität der Sonneneinstrahlung zu. Dabei werden auch die hellen Flecken, welche bisher noch im Schatten liegen, der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt, was zu entsprechenden Veränderungen führen sollte“, so Matt Taylor, der für die Rosetta-Mission zuständige Projektwissenschaftler der ESA. „Eventuell werden dabei auch noch weitere und zudem größere eishaltige Bereiche freigelegt.“
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse zu den Eisablagerungen auf der Oberfläche des Kometen 67P wurden von Antoine Pommerol et al. kürzlich unter dem Titel „OSIRIS observations of meter-sized exposures of H2O ice at the surface of 67P/Churyumov-Gerasimenko and interpretation using lasboratory experiments“ in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics publiziert.
Missionsverlängerung bis September 2016
Ursprünglich war von der ESA vorgesehen, dass die Raumsonde Rosetta die Untersuchung des Kometen 67P lediglich bis Ende Dezember 2015 fortsetzen soll. Aufgrund der Vielzahl der bisher erzielten wissenschaftlichen Ergebnisse und des guten Allgemeinzustandes der Raumsonde wurde jedoch bereits seit längeren allgemein davon ausgegangen, dass die Mission wohl verlängert werden wird (Raumfahrer.net berichtete). Dies wurde jetzt auch offiziell bestätigt. Am 23. Juni gab die ESA bekannt, dass das Science Programme Committee der europäischen Weltraumagentur die formelle Zustimmung zu einer Verlängerung der Mission um weitere neun Monate erteilt hat. Die Fortsetzung der Untersuchungen des Kometen in den 12 Monaten nach dessen Perihelpassage wird den Wissenschaftlern ein vollständigeres Bild von der zu- und abnehmenden Kometenaktivität im Verlauf seines Orbits vermitteln – so die wissenschaftliche Begründung dieser Missionsverlängerung bis zum September 2016.
„Dies sind fantastische Neuigkeiten für die Wissenschaft“, so Matt Taylor. „Wir werden in der Lage sein, die abnehmende Aktivität des Kometen zu beobachten, während er sich wieder von der Sonne entfernt. Durch den Vergleich detaillierter Vorher- und Nachher-Daten können wir besser verstehen, wie sich Kometen im Laufe ihrer Lebenszeit entwickeln.“ Wenn die Kometenaktivität nach dem Perihel wieder abnimmt, sollte es möglich sein, den Orbiter wieder deutlich näher an den Kometenkern zu manövrieren und so die Veränderungen der Kometeneigenschaften während und unmittelbar nach dessen kurzen ‚Sommers‘ genauer zu untersuchen.
Die zusätzlichen Beobachtungsdaten, welche Rosetta in diesem Zeitraum sammeln wird, können zudem auch einen weiteren Kontext für ergänzende erdbasierte Beobachtungen des Kometen 67P bilden. Aktuell befindet sich der Komet von der Erde aus betrachtet nahe der Sonne, wodurch sich erdbasierte Beobachtungen derzeit überaus schwierig gestalten.
Wo befindet sich Philae?
Des weiteren könnte im Rahmen dieser verlängerten Mission die Chance bestehen, bei einer erneuten signifikanten Annäherung von Rosetta an die Kometenoberfläche eine definitive visuelle Identifizierung des Kometenlanders Philae vorzunehmen, dessen endgültiger Standort bisher immer noch nicht zweifelsfrei bestimmt werden konnte (Raumfahrer.net berichtete). Auf den im Rahmen der bisherigen Suchkampagnen aus bis zu etwa 18 Kilometern Entfernung angefertigten Fotos waren zwar mehrere Kandidaten erkennbar, doch könnten Aufnahmen aus lediglich zehn oder noch weniger Kilometern Distanz die sicherste mögliche optische Bestätigung liefern.
Während der erweiterten Mission wird das für die Steuerung der Raumsonde verantwortliche Team dank der Erfahrungen, die es bereits bisher bei dem Betrieb von Rosetta in dem schwierigen Kometenumfeld gewonnen hat, einige neue und möglicherweise auch riskantere Manöver der Raumsonde durchführen können. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um bisher nur angedachte Flüge über die Nachtseite des Kometen, um Plasma-, Staub- und Gas-Interaktionen in dieser Region zu beobachten. Des weiteren könnten im Rahmen dieser Manöver Proben des Kometenstaubs gesammelt werden, welcher in Form von Jets von der Kometenoberfläche entweicht und in der unmittelbaren Nähe des Kerns von Rosetta direkt untersucht werden könnte.
Definitives Missionsende
Aber irgendwann einmal gehen auch selbst die erfolgreichsten Weltraummissionen ihrem Ende entgegen. Im Fall der Rosetta-Mission ist dieses absehbare Ende dadurch bedingt, dass sich der Komet 67P bereits bald wieder von der Sonne entfernen und erneut in die ‚Tiefen‘ des Sonnensystems entschwinden wird. Dies hat zur Folge, dass die ausschließlich mit Sonnenenergie betriebene Raumsonde ab dem September 2016 nicht mehr genügend Sonnenlicht empfangen wird, um auch weiterhin effizient und kontinuierlich arbeiten zu können. Dies entspricht in etwa der Situation vom Juni 2011, als Rosetta für 31 Monate in einen ‚Winterschlaf‘ versetzt wurde, während sie die längste Etappe ihrer Reise in Richtung des Jupiter-Orbits zurücklegte (Raumfahrer.net berichtete).
Neben dem dann gegebenen ‚Energiemangel‘ kommt erschwerend hinzu, dass sich Rosetta und der Komet 67P ab dem Oktober 2016 von der Erde aus betrachtet wieder in der unmittelbaren Nähe der Sonne befinden werden – eine Konstellation, welche den Betrieb der Raumsonde sehr kompliziert. Da Rosetta bis dahin zudem auch den für weitere Bahnkorrekturmanöver benötigten Treibstoff aufgebraucht haben wird ist es auch nicht sinnvoll, die Raumsonde in einen erneuten Hibernationsmodus zu versetzen. Stattdessen gehen die derzeitigen Überlegungen dahin, dass Rosetta die Mission auf der Oberfläche des Kometen 67P beenden soll.
Sofern dieses angestrebte Szenario in die Praxis umsetzbar sein sollte, würde die Raumsonde über einen Zeitraum von etwa drei Monaten einen spiralförmig verlaufenden Sinkflug durchführen und schließlich auf der Oberfläche von 67P aufsetzen. Die an der Mission beteiligten Wissenschaftler erwarten, dass Rosetta in diesem Zeitraum die wissenschaftlichen Untersuchungen fortsetzen kann. Eventuell wäre es so möglich, einzigartige Daten aus bisher nie erreichter Nähe zu gewinnen. Allerdings ist es extrem unwahrscheinlich, dass diese Untersuchungen auch nach der erfolgten Landung, für die Rosetta definitiv nicht konstruiert wurde, fortgesetzt werden können. Sehr wahrscheinlich wird dieses Experiment mit einer ‚Bruchlandung‘ enden.
„Doch es gibt noch viel zu tun, um herauszufinden, ob dieses Missionsende tatsächlich möglich ist. Zunächst müssen wir den Zustand der Raumsonde nach dem Perihel untersuchen und sehen, wie gut sie in der Nähe des Kometen funktioniert. Später werden wir versuchen zu entscheiden, wo auf dem Kometen Rosetta abgesetzt werden könnte“, so Patrick Martin, der Missionsmanager des Rosetta-Teams.
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