Sojus-MS 10 – Fehlstart mit Folgen?

Am 11. Oktober 2018 scheiterte der Transport von zwei Raumfahrern auf einer Sojus-FG-Rakete ins All. Statt an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) fanden sich Alexej Owtschinin und Nick Hague wohlbehalten in der kasachischen Steppe wieder. Was war passiert? Was bedeutet das für kommende Flüge zur ISS?

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: ESA, NASA, Roskosmos.

Start mit Sojus-MS 10 am 11. Oktober 2018
(Bild: NASA / Bill Ingalls)
Start mit Sojus-MS 10 am 11. Oktober 2018
(Bild: NASA / Bill Ingalls)

Eine unmittelbar nach dem Fehlschlag konstituierte Untersuchungskommission unter der Leitung des Roskosmos-Generaldirektors Dimitri Rogosin hat keine schlechten Arbeitsgrundlagen. Der Landeapparat des Raumschiffs Sojus-MS 10 erreichte mit dem Russen Alexej Owtschinin und dem US-Amerikaner Nick Hague nach einem Flugweg über dem Boden von rund 400 Kilometern einen Aufsetzpunkt 20 bis 30 Kilometer östlich der Stadt Schesqasghan in Kasachstan. Teile der Trägerrakete, insbesondere die Außenblocks, gingen in den dafür üblicherweise vorgesehenen Gebieten nieder. Aufzeichnungen der von der Trägerrakete im Flug gesendeten Telemetrie sind vorhanden.

Sojus-Stufentrennung mit ungeplantem Ausgang am 11. Oktober 2018
(Bild: NASA / Bill Ingalls)
Sojus-Stufentrennung mit ungeplantem Ausgang am 11. Oktober 2018
(Bild: NASA / Bill Ingalls)

Vom Start existieren zahlreiche Photos und Videoaufzeichnungen, auch solche einer Außenbordkamera. Offensichtlich ist, dass Alexej Owtschinin und Nick Hague zu einem für einen nominellen Flugverlauf unüblichen Zeitpunkt ordentlich durchgeschüttelt wurden. Außerdem war gut zu sehen, dass der Trennvorgang der vier Seitenblöcke der Trägerrakete, die zusammen als erste Stufe oder Flüssigkeitsbooster bezeichnet werden, nicht wie schon x-fach beobachtet ablief.

Das Abheben der Rakete von der Rampe Nr. 1 in Baikonur erfolgte am 11. Oktober 2018 um 11:40 Uhr und 15 Sekunden Moskauer Zeit, bzw. 8:40 Uhr und 15 Sekunden Weltzeit (UTC). In der Flugsekunde 114 wurde der bis dahin an der Spitze der Rakete befindliche Rettungsraketenturm des Flugabbruchsystems SAS (Sistema Avariynogo Spaseniyam Система Аварийного Спасения) mit seinem DU SAS genannten Feststoffantrieb planmäßig abgeworfen – für seinen eventuellen Einsatz bestand nach diesem Zeitpunkt keine Erfordernis mehr. 119 Sekunden nach dem Abheben stand in einer Flughöhe von rund 45 Kilometern die Abtrennung der vier Seitenblöcke an. Sie erfolgte offenbar nicht wie geplant.

Rettungsraketen- bzw. Fluchtturm vor der Montage auf der Rakete mit Sojus-MS 10
(Bild: Roskosmos)
Rettungsraketen- bzw. Fluchtturm vor der Montage auf der Rakete mit Sojus-MS 10
(Bild: Roskosmos)

Flucht ohne Fluchtturm
Nach einer erheblichen Flugbahnabweichung kam es 123 Sekunden nach dem Abheben zur Aktivierung des Flugabbruchsystems SAS: Ein Kommando zur Abschaltung der Triebwerke des Zentralblock wurde gegeben, und das Oberteil des Sojus-Raumschiffs mit Landeapparat und Orbitalmodul sowie der umgebenden Verkleidung mit angebauten, ausklappbaren Stabilisierungsflächen, sogenannten Gridfins, wurde wie für einen solchen Fall vorgesehen von kleinen, oben in der Verkleidung montierten Trennraketen rund 124 Sekunden nach dem Abheben von der versagenden Trägerrakete weggezogen. Diese Trennraketen werden RDG (РДГ) genannt und sind auf Bildern startbereiter, bemannter Sojus-Raketen und solchen von dem Zusammenbau der Raketen unmittelbar unterhalb des Kegelsegments der Verkleidung des Sojus-Raumschiffs zu erkennen.

SAS mit Fluchtturm und vier RDGs unter aerodynamischen Hauben an der Verkleidung um Sojus-MS 10
(Bild: Roskosmos)
SAS mit Fluchtturm und vier RDGs unter aerodynamischen Hauben an der Verkleidung um Sojus-MS 10
(Bild: Roskosmos)

Aus der abgetrennten Kombination aus Raumschiffbestandteilen, Verkleidung und aerodynamischen Stabilisierungsflächen fiel die Besatzungskabine – also der Landeapparat – schließlich nach rund 160 Sekunden Gesamtflugzeit unten heraus. Sie stürzte auf einer ballistischen Kurve ein Stück des Weges zur Erde – bei etwa 165 Sekunden Gesamtflugzeit meldete die Besatzung einen Zustand von Schwerelosigkeit. Der Landeapparat wurde dann von Pilot- und Hauptfallschirm abgebremst und unmittelbar vor dem Aufsetzten noch durch Bremsraketen verzögert – ganz ähnlich, wie es auch bei einer planmäßigen Landung geschehen wäre. Die dabei aufgetretene maximale Beschleunigungsbelastung wird sich im Bereich zwischen dem sechs- und siebenfachen der Erdbeschleunigung (~ 6 bis 7 g) bewegt haben.

Der Einsatz des Rettungssystems war ein Erfolg. Und ein Beweis dafür, dass ein Vertrauen in das russische Rettungssystem absolut angebracht ist. Das System hat so funktioniert wie geplant, und genau das getan, was von ihm zu erwarten war. Als zusätzlicher Glücksfall für die Besatzung erwies sich der Zeitpunkt für das Eingreifen des Systems nach dem Abwurf des Rettungsraketenturms. Seine Verwendung bei einem Abbruch würde zu einer weit größeren Beschleunigungs- bzw. Verzögerungsbelastung der Besatzung führen.

Alexej Owtschinin und Nick Hague begrüßen Familienmitglieder am Flughafen Krayniy
(Bild: NASA / Bill Ingalls)
Alexej Owtschinin und Nick Hague begrüßen Familienmitglieder am Flughafen Krayniy
(Bild: NASA / Bill Ingalls)

Alexej Owtschinin und Nick Hague waren nach der Landung in guter Verfassung, berichteten verschiedene Vertreter der beteiligten Raumfahrtagenturen aus Russland (Roskosmos) und den USA (NASA). Die beiden Männer gelangten von der Landestelle via Hubschrauber zunächst zum Flughafen Schesqasghan. Dort wurden sie von einem Flugzeug abgeholt, das sie zum Flughafen Krayniy in Baikonur (BXY bzw. UAOL) brachte. Nach einigen medizinischen Untersuchungen ging es dann am nächsten Tag, dem 12. Oktober 2018, weiter ins sogenannten Sternstädtchen, das russische Trainingszentrum für die bemannte Raumfahrt (Kosmonautenausbildungzentrum (ZKP) Juri Gagarin) in der Nähe von Moskau.

Trennvorgang als Trigger
Der Leiter des bemannten russischen Raumfahrtprogramms, der Kosmonaut Sergej Krikaljow, berichtete gegenüber Medienvertretern, dass es nach vorläufiger Begutachtung der Geschehnisse zu einer Kollision eines der Außenblöcke mit dem Zentralblock gekommen sei. Der Block sei nicht sauber abgetrennt worden. Es habe eine Flugwegabweichung gegeben, und Beschädigungen am unteren Ende des Zentralblocks, welcher sich schließlich zerlegt habe. Dann habe das Rettungssystem eingegriffen. Die Kollision könnte Folge eines fehlerhaften Trennvorgangs sein. Die Außenblöcke übertragen während ihrer Brennphase ihren Vortrieb über kugelförmige Elemente an ihren oberen Enden auf entsprechende, am Zentralblock montierte Aufnahmen.

Außenblocktrennung nach einem Sojus-Start von Kourou
(Bilder: Arianesapce Webcast)
Außenblocktrennung nach einem Sojus-Start von Kourou
(Bilder: Arianesapce Webcast)

Am Heck der Sojus-Rakete sind die Außenblöcke mit jeweils zwei Streben befestigt. Mit deren Trennung beginnt ihre planmäßige Abtrennung. Der Restschub ihrer Triebwerke bewirkt eine Auslenkung der Außenblöcke mit ihren Hinterteilen weg vom Zentralblock, was gleichzeitig für eine Lösung der Arretierungen der kugelförmigen Lastübertragungselemente in ihren Aufnahmen sorgt. Währenddessen sorgt der mit Nominalschub weiterfliegende Zentralblock automatisch für die Herstellung eines gewissen Abstands. Um das Freikommen der Zentralstufe sicherzustellen, gibt es an den oberen Enden der Außenblöcke Ventile, die zum richtigen Zeitpunkt pyrotechnisch geöffnet den Spitzen der Außenblöcke Schubser weg vom Zentralblock geben sollen. Bei diesen Schubsern entsteht die Rotation der zurückfallenden Außenblöcke, die in Filmaufnahmen von Sojus-Trägerrakten in der Vergangenheit immer wieder gut zu beobachten war.

Ventilfehler diskutiert
Dass das Ventil an den Spitze des Außenblocks mit der Bezeichnung D nicht oder nicht richtig funktioniert hat, wird diskutiert. Warum es nicht funktioniert hat gilt es zu untersuchen. Erste Ergebnisse erwartet die russische Untersuchungskommission nach dem 20. Oktober 2018.

Roskosmos gab zwischenzeitlich bekannt, die Vorbereitungen für den nächsten Start einer Sojus-Rakete zu beschleunigen, um so schnell wie möglich bereit zu sein, wenn ein angepasster Flugplan festgelegt worden ist. Vor dem Fehlstart mit Sojus-MS 10 sah der Flugplan den Start eines unbemannten Progress-Transporters am 31. Oktober 2018 und den Start der nächsten ISS-Besatzungsmitglieder mit Sojus-MS 11 am 20. Dezember 2018 vor. Für beide Flüge waren Sojus-Raketen vorgesehen.

Bis zur Ermittlung der Ursache des Fehlstarts sind Flüge von Sojus-Raketen mit bemannten Raumschiffen ausgesetzt. Die Absicht, Startvorbereitungen beschleunigt abzuwickeln, könnte ein Hinweis darauf sein, dass man schnell zu einem Ergebnis zu kommen glaubt und die Planung der Flüge zur ISS nicht schwerwiegend beeinflusst wird.

Der NASA-Administrator Jim Bridenstine sagte am 12. Oktober 2018 in Moskau, er sehe keinen Grund anzunehmen, dass der ursprünglich für Dezember vorgesehene Besatzungstransport ins All dann nicht auch stattfinden werde.

Aktuell befinden sich drei Besatzungsmitglieder an Bord der ISS. Unter dem Kommando des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst arbeiten die US-amerikanische Flugingenieurin Serena Auñón-Chancellor und der russische Kosmonaut Sergej Prokopjew. Diese Gruppe sollte die ISS am 13. Dezember 2018 mit der zur Zeit an die ISS gekoppelten Sojus-MS 09 verlassen. Owtschinin wäre bei seinem zweiten Raumflug zusammen mit dem Neuling Hague auf der Station verblieben. Sie hätten später im Monat Dezember den Russen Oleg Kononenko, Anne McClain aus den USA und David Saint-Jacques aus Kanada in Empfang genommen.

Treibstoff mit beschränkter Haltbarkeit
Sojus-MS 09 hat eine Auslegungsbetriebsdauer für einen Nutzung im Weltraum von rund 200 Tagen, deshalb ist eine Rückführung zur Erde nicht zwangsläufig im Dezember 2018 erforderlich, sondern könnte auch noch im Januar 2019 erfolgen, ohne dass irgendwelche Garantiefristen verletzt würden. Wesentliche technische Einschränkung ist das Wasserstoffperoxid (H2O2) für die Fluglageregelung beim Wiedereintritt. Der klassische Raketentreibstoff, der im Englischen auch als HTP (High Test Peroxide) bezeichnet wird, hat die unangenehme Eigenschaft, sich mit der Zeit zu zersetzen.

Theoretisch ließe sich die ISS auch über einen gewissen Zeitraum ohne Besatzung an Bord kontrollieren. Der Aufwand für eine Konservierung der Raumstation und für eine spätere Wiederaufnahme des bemannten Betriebs ist jedoch erheblich. Man würde ihn also gerne vermeiden. Als wahrscheinlich angesehen werden kann, dass der nächste bemannte Flug auf jeden Fall wieder mit einem russischen Raumfahrzeug erfolgen wird. Die in der Entwicklung befindlichen US-amerikanischen Raumfahrzeuge von Boeing (Starliner) und SpaceX (Crew Dragon) sind noch nicht soweit. Ihre Erstflüge werden nicht vor Sommer 2019 stattfinden.

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