„The Space Report 2013“ liefert auf 160 Seiten einen Überblick über die weltweiten Raumfahrtaktivitäten des Jahres 2012. Der Report ist Ergebnis einer mit wissenschaftlicher Akribie geführten Quellenarbeit, die selbst kleinsten Raumfahrtnationen Platz einräumt. Eine Buchbesprechung.
Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: The Space Report 2013.
Einem abgewandelten Bonmot unter Statistikern zufolge könnte man sagen, wir wissen – amtlich statistisch gesichert – in Deutschland mehr über die Eier-Produktion als über die Leistungen der Raumfahrtindustrie. Immerhin hat Geflügel eine eigene Fachserie beim Statistischen Bundesamt. Die Raumfahrtbranche fristet dort hingegen ein kümmerliches Dasein. Ihre Umsätze und sonstige Strukturdaten gehen in der Rubrik „Luft- und Raumfahrzeugbau“ mehr oder weniger unter. Rund drei Viertel davon ist eben Luftfahrzeugbau.
Die Unzulänglichkeiten in der statistischen Ausgangsbasis stellen sich in anderen Ländern kaum besser dar. Sie lassen daher auch viel Spielraum für Industrieverbände oder Beratungsunternehmen. Die durch sie ermittelten Branchendaten müssen als Abbild der Realität genommen werden. Dessen muss man sich auch bei der jährlich von der US-amerikanischen Space Foundation herausgegebenen Publikation „The Space Report 2013“ bewusst sein. Die Macher unter Leitung von Chef-Researcher Micah Walter-Range von der Space-Foundation wissen um dieses Manko. Sozusagen als vertrauensbildende Maßnahme erklären sie daher ganz offen die Vorgehensweise in Bereichen, wo man von der amtlichen Statistik schnell im Stich gelassen wird: die Auswertung einer Vielzahl inoffizieller Quellen sowie Expertenschätzungen. Insbesondere für die weitgehend geheim gehaltenen Zahlen des militärischen Teils der Raumfahrt und zu Staaten wie der Volksrepublik China bleibt kaum etwas anderes übrig. Wenn für letzteres eine nachvollziehbare und über die Zeit konsistente Herangehensweise gewährleistet ist, kann das als ein durchaus akzeptables Verfahren angesehen werden. Für Außenstehende ist das schwer zu beurteilen. Aber weil man mit dem Space Report jedoch einen kritischen Adressatenkreis von Entscheidern in Politik und Wirtschaft sowie Multiplikatoren in den Medien anspricht, ist eine solide Arbeit essentiell.
Statistische Herausforderungen
Mit diesen leichten Einschränkungen, die anderswo auch gemacht werden müssen, kann „The Space Report“ als Standardwerk für global vergleichbar gemachte Zahlen über die Raumfahrtbranche angesehen werden. Der Erscheinungstermin Anfang April ist dabei angesichts eines zeitlichen Nachlaufes von zwei Monaten in der amtlichen Statistik und einer in der Regel im März beginnenden Bilanzberichtssaison der Unternehmen ambitioniert. Indikationen gibt es zwar schon vorher, testierte Zahlen liegen aber erst dann vor. Das führt auch zu dem einen oder anderen Kompromiss durch Rückgriff auf Prognosen, Planbudgets oder Zahlen aus dem Jahr 2011. Warum man aber in einer Tabelle die Bruttoinlandsprodukte 2011 mit den Raumfahrtausgaben 2012 der jeweiligen Länder in Beziehung setzt, bleibt schleierhaft.
Zum Pflichtprogramm gehört der Überblick über sämtliche Raumfahrtaktivitäten des Berichtsjahres 2012 und der Ausblick auf die mittlere Zukunft. Das leisten auch andere gedruckt oder online verfügbare Publikationen, auch das Raumfahrer.net. Im „Space Report 2013“ bekommt man es ausführlich und in einheitlich strukturierter Form für alle relevanten Länder und Organisationen geboten.
Besonderes Augenmerk legt man auf das Thema Technologietransfer, ein Lieblingsthema der NASA. Für die Space Foundation ist die medienwirksame Herausarbeitung von Spinoffs im Grunde die Kernaufgabe. Raumfahrt und die damit zusammenhängende Forschung und Entwicklung ist teuer. Der Nutzen der Raumfahrt erschließt sich für den Bürger nicht immer so leicht wie beispielsweise beim Navigationsgerät. Weil das so ist, verwendet der „Space Report 2013“ viel Platz darauf, diesen Nutzen zu verdeutlichen. Die Space Foundation selbst würdigt herausragende Transferleistungen in einer „Space Technology Hall of Fame“. Zu den Preisträgern zählt unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) zusammen mit IQ Wireless. 2012 wurde ihr System zur Brandüberwachung großer (Wald-)Flächen gewürdigt. Bis zu 260 Quadratkilometer werden von einer Kamera auf Rauch hin überwacht. Zum Einsatz kommen Sensoren, die ursprünglich für die Analyse von Gasen und Partikeln im All entwickelt wurden.
Eine Lücke füllt der Space Report durch die Analyse der Raumfahrtambitionen von Ländern aus Lateinamerika, Afrika oder Asien mit eher kleinen Budgets. Wer schnell mal nachlesen möchte, wie Nigeria oder Bolivien zu eigenen Satelliten gekommen sind, kann es hier – Lösung: mit chinesischer Hilfe.
Bei so viel Dokumentationsfreude selbst für Randbereiche vermisst man ein eigenes Kapitel zum Thema Weltraumschrott. Da sollte die Space Foundation nochmal in sich gehen und das Thema proaktiv aufnehmen.
Rund 304 Milliarden US-Dollar ausgegeben
Die Stärke des Space Report liegt sicherlich in der statistischen Aufarbeitung der Themen. Dabei liefert man keinen Zahlenfriedhof. Auffällig, weil viel Platz beanspruchend, ist ein intensiver Quellennachweis. Die Dominanz des US-amerikanischen Raumfahrtbudgets und hier wiederum des US-Verteidigungsministeriums wird in vernünftig visualisierten Übersichten sofort ersichtlich. Die Erkenntnis ist sicherlich keine Überraschung, ebenso wie jene, dass die kommerzielle Raumfahrt im Wesentlichen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung von TV-Übertragungskapazitäten geprägt ist. Weitere Kommunikationsdienstleistungen folgen mit einigem Abstand.
Insgesamt wurden laut „The Space Report 2013“ im Jahr 2012 in der Raumfahrt rund 304 Mrd. US-Dollar (USD) ausgegeben, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Davon entfallen 116 Mrd. USD auf privatwirtschaftliche Weltraumdienstleistungen wie Rundfunk (93 Mrd. USD), Kommunikation (21 Mrd. USD) oder Erdbeobachtung (2 Mrd. USD). Rund 110 Mrd. USD wurden privatwirtschaftlich hauptsächlich in Bodenstationen, deren Ausrüstung, Satelliten-Produktionskapazitäten und Startanlagen investiert.
Die verbleibenden 78 Mrd. USD entfallen auf staatliche Budgets. Rund 48 Mrd. USD investierte Washington in Weltraumaktivitäten, davon knapp 18 Mrd. USD über die NASA und 27 Mrd. USD über das US-Verteidigungsministerium. Staatliche Raumfahrtbudgets außerhalb der USA summierten sich auf 30 Mrd. USD. Davon entfielen auf ESA und Russland jeweils ca. 5 Mrd. USD. Die Größenordnung der außerhalb der USA getätigten Weltraumausgaben für militärische Zwecke belief sich laut „Space Report 2013“ auf knapp 9 Mrd. USD.
Das Weltraumbudget der USA blieb trotz einer Zunahme von lediglich 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr das mit Abstand größte. Kräftige Zuwächse der staatlichen Raumfahrtausgaben gab es in Brasilien (plus 27 Prozent auf umgerechnet 219 Mio. USD), Russland (plus 30 Prozent auf die bereits genannten knapp 5 Mrd. USD) und Indien (plus 51 Prozent auf 1,2 Mrd. USD). Das ESA-Budget stieg um 0,7 Prozent.
Erstmals mit Beschäftigungsdaten
Hinsichtlich der Beschäftigung in der US-Raumfahrtindustrie lagen dem „Space Report 2013“ nur Zahlen bis Anfang 2012 vor. Die Kernbelegschaft belief sich Ende des ersten Quartals 2012 auf 237.300 Personen. Damit setzte sich der Negativtrend seit dem Hoch mit 266.700 Beschäftigten im Jahr 2006 fort. Allein die Einstellung des Shuttle-Programms im Jahr 2011 kostete in Florida rund 7.000 Arbeitsplätze. Immerhin, wer auf der Gehaltsliste der US-Raumfahrtindustrie steht, kann sich über ein gegenüber dem Durchschnitt in der US-Privatwirtschaft rund doppelt so hohes Gehalt freuen. Und bei der NASA bietet die Altersstruktur gute Chancen für Hochschulabsolventen. Wir werden sehen, ob diese Aussage im Space Report des kommenden Jahres angesichts der Budgetkürzungen aufrecht erhalten werden kann.
Außerhalb der USA steigt dagegen die Beschäftigung in der Raumfahrtindustrie. Teilweise ist dies ein Ausgleich für frühere Rückgänge. In Europa wurde 2011 mit knapp 35.600 Arbeitnehmern wieder der Beschäftigungsstand von 2001 erreicht. Auf Deutschland entfielen davon 5.700 Arbeitnehmer, auf Frankreich 12.900. In der japanischen Raumfahrtindustrie wurde 2011 mit 7.400 Personen der höchste Beschäftigungsstand seit zehn Jahren erreicht, obwohl bei der staatlichen Raumfahrtagentur JAXA Personalabbau angesagt war.
Die Arbeitsmarktzahlen zur Raumfahrtbranche wurden im „Space Report 2013“ erstmalig zusammengestellt. Laut Space Foundation wurde die 2013er Ausgabe insgesamt intensiv überarbeitet. Beschreibung und Analyse würden nun mehr denn je in die Tiefe gehen. Dem Rezensenten fehlt der Vergleich zu den Ausgaben der Vorjahre, aber hinsichtlich seines umfassenden Ansatzes und der Professionalität setzt „The Space Report 2013“ hohe Maßstäbe – genauso wie der Preis.
Die Space Foundation wurde 1983 gegründet. Hinter ihr stehen unter anderem Unternehmen der US-Raumfahrtindustrie und Veteranen des US-Raumfahrtprogramms.
„The Space Report 2013 – The Authoritative Guide to Global Space Activity“. Hrsg. v. The Space Foundation, Colorado Springs, Colorado, USA, April 2013. ISBN-13: 978-0-9789993-6-0. Englisch, 160 S., geb. oder pdf, 399,- US-Dollar.