Wissenschaft auf 67P/Tschurjumov-Gerasimenko – Update

Nach einer erstaunlichen Landung auf dem Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko und einem etwas ungünstigen Landeplatz des Lander Philae gibt es nun Daten der Instrumente. In einem Hangout am Freitagnachmittag gab die ESA neue Informationen bekannt. Arno Hecker war für uns wieder am ESOC. – Update: Philae sendet Daten bis zum Schluss und schließt die Primärmission erfolgreich ab.

Erstellt von Oliver Karger. Quelle: Arno Hecker / Raumfahrer.net / ESA

Eine Animation von Philae während des Abstiegs zur Kometenoberfläche, aufgenommen von OSIRIS.
(Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA)

Es weiß zwar nach wie vor niemand, wo sich Philae auf der Kometenoberfläche genau befindet, doch die Lage und Ausrichtung ist momentan auch ohne Verankerung stabil. Über die Nacht zum Freitag hinweg hat Philae jede Menge Daten der verschiedenen Experimente geliefert. Eine wahre Flut von Daten von ÇIVA, CONSERT, COSAC, ROLIS, ROMAP und SESAME traf auf der Erde im Missionskontrollzentrum ESOC in Darmstadt und im Landerkontrollzentrum am DLR in Köln ein. Gegen Ende des Kommunikationsfenster wurden APXS (Alpha X-ray spectrometer) aktiviert und MUPUS (Multi-Purpose Sensors for Surface and Subsurface Science) und SD2 (Sample and Distribution Device) ausgefahren, um ein erstes Loch zu bohren. „Da alle anderen Experimente erfolgreich mindestens einmal Messen konnten, versuchen wir nun Materialproben aus einer Tiefe von einigen cm unterhalb der Oberfläche zu erhalten“, erklärt Stephan Ulamec, Projektverantwortlicher des Philaelanders beim DLR. Bis zum geplanten Kontaktverlust hatte sich der Bohrer bis 25 cm unter die Basisplatte von Philae geschraubt, aber noch nicht die Oberfläche erreicht. Der Bohrvorgang war allerdings noch in vollem Gang, als die Funkverbindung zusammenbrach. Ulamec sieht jedoch keinen Hinderungsgrund, dass die Bohrung nicht weiterlief. Geplant ist eine Probenentnahme und das Abliefern der Probe in COSAC. Die Ergebnisdeutung ist aber bei Gaschromatographen langwierig und wird daher einige Zeit in Anspruch nehmen.

Valentina Lommats vom Lander Control Center am DLR berichtet von der Nacht, dass „alles so gelaufen ist wie erwartet, wir sind alle etwas müde, aber ansonsten war es bisher perfekt! Vom operationellen Standpunkt sind wir sehr zufrieden, jedes Instrument ohne mechanische Bewegung hatte bisher Gelegenheit Messungen vorzunehmen. Alle Systeme an Bord von Philae laufen so, wie sie laufen sollten.“

Zur Positionsbestimmung von Philae gibt es bisher keine Neuigkeiten. Es gibt zwei Fotos, eines vor der ersten Landung und eines danach, an denen eindeutig die Position zu erkennen ist, wo Philae aufgesetzt hat und dass die Abweichung vom durch die Flugdynamiker berechneten Aufsetzpunkt minimal ist. Holger Sierks erläutert, dass momentan die Übertragung der wissenschaftlichen Daten von Philae oberste Priorität hat, und daher momentan keine hochauflösenden Bilder mit OSIRIS angefertigt werden können. Es ist jedoch eine Serie von 18 Bildern mit der besten Auflösung geplant, welche in einem 1×1 km bzw. 2×2 km Raster westlich des ersten Landegebiets Aufnahmen erstellen sollen. Durch einen Vergleich mit bereits getätigten Aufnahmen will man versuchen, den aus dieser Entfernung nur 3 mal 3 Pixel messenden Lander zu finden. „Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit dem NavCam-Team, CONSERT und dem LCC-Team den Landeort bald bestimmt haben“, gibt er sich überzeugt. Matt Taylor, Rosettas Projektwissenschaftler der ESA, ergänzt, dass sich eventuell aus den Magnetfelddaten die Trajektorie von Philae rekonstruieren lässt. Weiter sagt er, dass „die vergangene Nacht großartig war und die Erwartungen nach der so nicht geplanten Landung doch übertroffen hat.”

Die nächste Kontaktaufnahme wird ab etwa 24:00 Uhr MEZ in der Nacht zum Samstag erwartet. Dann sollte das Ergebnis der Bohrung und der Messung von COSAC dabei sein. Allerdings sieht die Stromversorgungslage nicht rosig aus: Benötigt werden bis zur Übertragung 80 bis 90 Wh. In der Primärbatterie waren vor Ende des letzten Kontakts noch etwa 110 Wh vorhanden. „Daher gehen wir momentan davon aus, dass sich Philae wieder melden wird. Aber ob die 110 Wh tatsächliche 110 Wh sind, nach dem die die Batterie 10 Jahre in der Kälte des Alls verbracht hat, ist schwer vorauszusagen“, geben sowohl Stephan Ulamec wie auch Valentina Lommats zu bedenken.

Aufnahmen des primären Landeplatzes kurz vor und nach dem Touchdown von Philae. Die grüne Markierung gibt die von den Flugdynamikern berechnete Landestelle an.
(Bild: ESA/Rosetta/NAVCAM – CC BY-SA IGO 3.0)

Wenn der Kontakt zustande kommt soll daher auf jeden Fall eine neue Kommandosequenz hochgeladen werden, um alle vorhandenen Ressourcen auszunutzen. Falls genügend Energie vorhanden ist, soll als letztes Experiment PTOLEMY durchgeführt werden, mit dem die Isotopenverhältnisse leichter Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff gemessen werden sollen. Dass die Entscheidung für einen früheren Einsatz zugunsten von COSAC gegenüber PTOLEMY getroffen wurde, hat zweierlei Gründe: der primäre Grund liegt im technischen Argument begründet, dass COSAC weniger Energie braucht und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit für positive Resultate und eine Rückmeldung von Philae höher ist. Der sekundären Grund ist, dass die möglichen Ergebnisse von PTOLEMY auch von Rosettas ALICE UV-Spektrometer erzielt werden können.

Sollte für weitere Aktivitäten noch genügend Energie zur Verfügung stehen, sind heute zwei mögliche Optionen diskutiert worden. Der Landerkörper kann etwas gedreht werden, um das größere Solarpanel besser zur Sonne auszurichten. Man kann auch das Drallrad kurz anlaufen lassen, um Philae – dann allerdings unkontrolliert – in Bewegung zu versetzen. Im Laufe des Abends sollte hier eine Entscheidung getroffen werden.

Man hat heute bereits versucht, Philae in einen Niedrigenergiemodus zu versetzen, bei dem 2 W weniger verbraucht worden wären. Die Umsetzung des Kommandos war allerdings nicht erfolgreich. „Daher wäre eine Rotation des Bodies hilfreich“, so Lommats, „damit auch Solarpanel 2 etwas mehr Sonne abbekommt. Momentan wird nur Panel 1 teilweise beschienen.“ Damit erhält Philae pro Tag für etwa 1:20 Stunde Licht, die anderen beiden Panel werden für gut 20 bis 30 Minuten beschienen.

Sollte kein Kontakt mehr hergestellt werden können, bedeutet das nicht automatisch, dass die bis dato erzielten wissenschaftlichen Daten verloren sind. Entweder wurden sie bereits zu Rosetta übertragen und können von dort abgerufen werden oder sie werden an Bord von Philae zwischengespeichert.

Wenn die Solargeneratoren von Philae keinen oder zu wenig Strom produzieren, wird er in einen Tiefschlaf verfallen. Das Design des Landers ist derart ausgelegt, dass keine Schäden durch die Auskühlung auftreten sollten. Wenn bei der Annäherung von 67P ans Perihelion später mehr Licht zur Verfügung steht, kann Philae wieder erwachen. „Die Hoffnung stirbt jedenfalls zuletzt. […] Zunächst wird die Sekundärbatterie geheizt bis eine Temperatur größer 0°C erreicht wird“, gibt Valentina Lommats einen Einblick in die mögliche Aufwachprozedur von Philae. Dann wird die Sekundärbatterie geladen. Zum Booten des Computers werden 5,1 W benötigt, ist mehr Energie vorhanden wird automatisch ein Radiolink aktiv der versucht, mit Rosetta Kontakt herzustellen. „Auch wenn die Energie während des heutigen Bohrvorgangs erschöpft worden ist, kann sich Philae wieder in den Grundzustand bringen, sobald genug Energie vorhanden ist.“ Auch ein Direktbetrieb ohne das Laden der Batterie ist möglich. Denkbar wäre dies im Bereich des Perihelions ab einem Abstand von etwa 1,5 Astronomischen Einheiten zur Sonne.

Rosetta wird derweil wie in der Anfangsphase an 67P/Tschurjumov-Gerasimenko aktiv auf einem hyperbolischen, nicht gebundenen Orbit in der Terminatorebene gehalten. „Die zunehmende Aktivität mit ausströmendem Gas macht einen stabilen Orbit nahezu unmöglich“, erklärt Andrea Accomazzo, Rosettas Flugdirektor. Durch ein bereits lange vor der Ankunft bei 67P festgestelltes Leck im Treibstoffsystem geht allerdings etwas vom dem Gas verloren, das den Treibstoff unter Druck setzen soll. Dadurch erzeugen die Triebwerke etwas weniger Schub bei gleichem nominellem Treibstoffdurchsatz. Es ist aber noch mehr Treibstoff übrig als zu dieser Missionsphase erwartet worden war, da weniger Kurskorrekturen notwendig waren. Eine verkürzte Missionsdauer durch die Leckage ist also nicht notwendig. Befragt, was sich Accomazzo wünschen würde, was passieren soll, wenn Rosettas Mission sich dem Ende zuneigt, gibt er an, Rosetta gern auf 67P landen lassen zu wollen. „Man könnte Philae suchen und dort landen oder noch spektakuläre Fotos gewinnen, indem man über den Kometenhals fliegt und dabei dort hängen bleibt.“ Doch bis dahin ist noch etwas Zeit und Rosetta wird noch einige Orbits um 67P/Tschurjumov-Gerasimenko ziehen.

Update vom Samstag, 15.11.2014

Nachdem Freitagabend über nicht sicher war, ob sich Philae nochmal meldet, begann die Nacht mit einer gewissen Vorsicht. Und es sollte eine spannende Nacht werden. Gegen 23:00 Uhr MEZ gab es dann die Verbindung zu Philae. Und was für eine – wissenschaftliche Daten von COSAC sprudelten herein. Da die Telemetrie immer wieder aussetzte, wurde versucht den Landerbody zu rotieren. Ein Telecommand wurde über Rosetta an Philae gesendet, um eine Drehung um 35° zu erzielen. Dies sollte eine bessere Ausleuchtung der Solarpanele bewirken.
Währenddessen konnte bestätigt werden, dass der Bohrer SD2 komplett herunter und wieder zurückgefahren wurde. Es ist aktuell anzunehmen, dass dabei auch Material aus einer Tiefe von gut 20 cm zur weiteren Analyse geborgen werden konnte.

Kurz darauf gab es die Bestätigung, dass die Drehung erfolgreich war, dass alle COSAC-Daten heruntergeladen wurden und auch PTOLMEY mit Bohrmaterial bestückt werden soll.
Stephan Ulamec bestätigt: “Wir haben die Landebeine um etwa 4 cm angehoben, sie gedreht und wieder abgesetzt. Vielleicht bekommen wir so mehr Licht und damit Energie in der nächsten Zeit. Weiterhin wurde das PTOLMEY-Karussel gedreht und es misst aktuell!”

Gegen 24:00 Uhr MEZ begann dann allerdings die Batteriespannung stark zu sinken. Die vorprogrammierte Sequenz lieferte jedoch weiterhin hervorragende Daten. Ein weiteres ROLIS-Bild wurde von der neuen Position übertragen, sodass nun insgesamt drei hochauflösende Bodenaufnahmen vorliegen.
Endlich kamen auch die für das PTOLEMY-Team erlösenden Messergebnisse an. Weiterhin sendete CONSERT einen laufenden Strom an wichtigen Daten, mit denen zum einen das Innere des Kometen untersucht werden kann, und, da die komplette Messung durchgeführt werden konnte, auch nun per Triangulation die Position von Philae bestimmt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt ist Stephan Ulamec sehr zufrieden: “Wir sind sehr glücklich und ein bisschen traurig. Wir können zuschauen, wie Philae einschläft und dadurch eine Menge lernen.”

Um 01:48 Uhr MEZ bestätigte Flight Director Elsa Montagnon dann das erwartet LOS – loss of signal, nachdem die Verbindung über mehrere Minuten immer schwächer geworden war.

Damit ist Philaes Primärmission beendet. Ob es eine Missionserweiterung gibt und sich der Lander von der Oberfläche des Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko nochmal melden wird, hängt vom Ladezustand der Sekundärbatterie ab. Die Sonne wird heute um 07:00 Uhr MEZ wieder über Philae aufgehen. Theoretisch ist es möglich, dass er dann wieder aufwacht. Der nächste Kommunikationslink könnte dann gegen 11:00 Uhr möglich sein. Elsa Montagnon gibt an, dass Rosettas Empfänger aktiv bleiben und nach Philae lauschen wird. Aber auch wenn Philae sich heute nicht melden sollte, kann die Batterie über einen längeren Zeitraum geladen werden, sodass sich Philae später meldet. Genau dafür wurde er designed. Aufgrund der Lichtverhältnisse am aktuellen Standort kann dies jedoch länger dauern als zunächst angenommen.

Emily Lakdawalla, die die Nacht unmittelbar am Main Control Room im ESOC verfolgen konnte, erinnert, dass diese Woche mit Philae sehr aufregend war. Doch auch Rosetta wird im nächsten Jahr noch spektakuläre Entdeckungen machen und vielleicht meldet sich auch Philae nochmal wieder.

Schließen möchte ich mit einem kleinen Gedicht, dass über Twitter heute Nacht die Runde machte:

Now Philae down to sleep
We pray a sunbeam soon to sweep
And if the hibernation break
We have more science yet to make

Gute Nacht, Philae!

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