Es liegen vier von fünf „Go“ vor. Mit der ersten sanften Landung auf einem Kometen wird die europäische Raumfahrt am 12. November 2014, wenn es denn gelingt, einen Höhepunkt in ihrer Geschichte markieren. Die Mission der Raumsonde Rosetta, von der aus die Landeeinheit Philae im Laufe des Tages abgesetzt wird, ist jetzt schon reich an Superlativen und nüchtern betrachtet auch ohne den Lander ein enormer Gewinn für die Kometenforschung. Aber erst mit der gelungenen Landung von Philae und seinen Experimenten bekommt die Mission ihre Krönung.
Erstellt von Roland Rischer. Quelle: ESA, DLR, Raumcon
Wenn man bedenkt, dass von Kennedys Mondlande-Rede 1961 bis zur bemannten Mondlandung mit Apollo 11 nur acht Jahre vergingen, merkt man, was politischer Rückhalt bewirken kann. Davon konnte man seit der Zeit danach in den USA nur träumen – und schon immer in Europa. Folge knapper Budgets sind meist erheblich längere Projektplanungszeiten. Die Rosetta-Mission gibt ein Beispiel davon. 1984 wurde ein Kometen-Projekt in die langfristige Planung „Horizon 2000“ der Europäischen Raumfahrtagentur ESA aufgenommen. 30 Jahre später steuert es nun auf seinen Höhepunkt zu: die sanfte Landung auf einem Kometen. Die Anfänge waren nicht einfach. Von deutscher und französisch/US-amerikanischer Seite wurden zunächst getrennt zwei Teilprojekte für ein von Rosetta zu tragendes Kometen-Landegerät vorangetrieben: RoLand (für Rosetta Lander) und Champollion (französischer Ägyptologe, der u.a. mit Hilfe des Steins von Rosetta die Hieroglyphen entzifferte). Ab Mitte der neunziger Jahre mutierten diese Lander-Projekte zu einem gemeinsamen internationalen Projekt mit Namen Philae (Tempel-Insel im Nil). Am 02. März 2004 wurde Rosetta mit Philae auf einer Ariane 5G+ auf den Weg gebracht. Weitere zehn Jahre später, im August 2014, erreichte Rosetta ihr Ziel.
Allein bei Betrachtung der Zeitspanne bekommt man einen Eindruck von der Aufgabe, vor der die treibenden Kräfte u.a. im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und beim damaligen Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau (MPAe, heute MPS Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen) standen. Für eine Mission mit denkbar vielen Unbekannten ein langfristig erfolgversprechendes Konzept zu entwickeln, ist nicht ganz trivial. Wer dabei als Verantwortlicher ein gutes Dutzend Raumfahrtnationen mit ihren großen Ambitionen und meist etwas begrenzten Budgets unter einen Hut bringen muss, wird sicher kaum um seine Aufgabe beneidet. Und wer über einen so langen Zeitraum plant, muss nicht nur die Funktionsfähigkeit der Technik nach Jahren in der Weltraumkälte, davon knapp drei Jahre im Tiefschlaf, bedenken. Er muss sich beispielsweise auch Gedanken machen, wie das Spezialwissen ausscheidender Mitarbeiter dokumentiert und wiederauffindbar archiviert werden kann.
An Überraschungen sollte es im Rosetta-Projekt nicht fehlen. Der Ariane-5-Fehlstart vom Dezember 2002 machte den geplanten Rosetta-Start im Januar 2003 zu Makulatur. Den ursprünglichen Zielkometen 46P/Wirtanen musste man vorbeifliegen lassen. Als neues Ziel wurde der Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko ausgewählt. Und der hat zur Überraschung aller Beteiligten eine recht eigenwillige Form, wie sich erst bei der Annäherung Mitte dieses Jahres herausstellte. Statt einem vermuteten kartoffelförmigen Gebilde besteht 67P/Tschurjumow-Gerasimenko aus zwei ungleich großen Teilen, „Kopf“ und „Körper“, die über einen „Hals“ verbunden sind. Die an eine Gummiente erinnernde Form macht das Landevorhaben nicht einfacher.
Wie sieht nun die Planung für den Landetag aus? Vorweg muss festgestellt werden, dass die Entscheidung zur Trennung Philaes von Rosetta in der Nacht vom 11. Auf den 12. November wenige Stunden vor den geplanten Zeitpunkt getroffen wird. Rosetta wird vorher durch komplexe Flugmanöver in die optimale Ausgangsposition für die Philae-Landung gebracht. Wenn dieses gelungen ist und alle weiteren Entscheidungsparameter wie zum Beispiel die korrekte Ausrichtung von Rosetta für eine Landung sprechen, erfolgt die Abtrennung um 09:35 Uhr MEZ in etwa 22,5 Kilometern Entfernung vom Kometen. Die Signallaufzeit zur Erde beträgt 28 Minuten und 20 Sekunden, das entspricht einer Entfernung zur Erde von 510 Millionen Kilometern. Etwa um 10:03 Uhr sollte daher Klarheit über eine gelungene Abkopplung bestehen.
Aus zehn ursprünglich in die engere Wahl genommenen Landeplätzen wurde das Zielgebiet J auf dem „Kopf“, inzwischen nach einer weiteren Nil-Insel Agilkia benannt, zunächst als erste Wahl bestimmt und letztendlich auch bestätigt. Alternativ zu J oder Agilkia wurde noch Landeplatz C auf dem Hauptkörper von 67P/Tschurjumow-Gerasimenko in den Planungen seit Mitte September 2014 mitgeführt. Dieser wäre für eine Landung am 12. November aber nur in Erwägung gezogen worden, wenn sich bis zur endgültigen Landeplatzentscheidung am 15. Oktober grundlegende Erkenntnisse ergeben hätten, die gegen Agilkia sprechen. Kurzfristig wird man nicht auf C umschwenken. Dafür sind die notwendigen Flugmanöver von Rosetta zu komplex. Die Vorbereitung eines zweiten Landeversuchs nimmt zwei bis drei Wochen in Anspruch. Hätte man C ausgewählt, wäre die Trennung des Landers um 14:04 Uhr MEZ aus 12,5 Kilometern Entfernung erfolgt. Der Landeanflug hätte dann nur vier Stunden gedauert.
Anders bei Agilkia, der Abstieg zum Kometen dauert etwa sieben Stunden. Spätestens kurz nach 17 Uhr sollte also Klarheit über Erfolg oder Misserfolg bestehen. Unterstützt wird der Abstieg gegebenfalls durch ein kleines Kaltgastriebwerk, das bis zur Fixierung durch mindestens einen von zwei Harpunenankern und den Eisschrauben an den drei Füßen auch für den nötigen Andruck auf dem Kometen sorgen soll. Auf Eis wird Philae nach zwischenzeitlichen Erkenntnissen nicht treffen. Das war vor zwei Jahrzehnten noch ein ziemlich wahrscheinliches Szenario.
Ein Landepunkt kann mangels entsprechender Triebswerksausstattung, das wäre zu schwer geworden, nicht exakt angesteuert werden. Die Orientierung des Landers wird durch ein Drallrad gewährleistet. Störungen dieser Orientierung können beim Abstoßen von Rosetta, beim Ausfahren der Landebeine und durch die Kometenaktivität auftreten. Auf einem akzeptablen Signifikanzniveau (95 Prozent) kann man selbst bei „ruhigen“ Flugbedingungen lediglich eine Landefläche mit 500 Metern Durchmesser bestimmen. Die Landeregion Agilkia hatte deshalb erste Priorität und bekam den endgültigen Zuschlag, weil sie große ebene Flächen mit geringer Neigung und wenigen großen Felsbrocken bietet. Außerdem verspricht man sich dort ausreichend Sonneneinstrahlung zum Wiederaufladen der Batterien von Philae über die Solarzellen.
Während des Abstiegs sind die Landegestellentfaltung, Steuerbefehle an das Kaltgastriebwerk zur Beschleunigung des vertikalen Abstiegs, das Einschalten einiger Nutzlasten und die Entsicherung der Harpunen wichtige Vorgänge. Die Zeitpunkte der jeweiligen Vorgänge werden vor Abtrennung von Rosetta festgelegt. Im Landeanflug werden neben den Kamerasystemen CIVA (seitlicher Rundumblick) und ROLIS (Abstiegs-, später Oberflächenbilder) bereits die wissenschaftlichen Experimentnutzlasten CONSERT („Durchleuchtung“ des Kometenkerns), ROMAP (Magnetfeldmessung) und SESAME (in der Flugphase Staub- und Gasanalyse) Messungen vornehmen. Die Instrumente arbeiten auch nach der Landung weiter. Hinzu kommen dann aber zusätzlich die Experimentiereinheiten COSAC & PTOLEMY (Gaschromatograf und Massenspektrometer) in Verbindung mit einem Bohrer, APX (Messung der Elementzusammensetzung des Bodens), MUPUS (u.a. Untersuchung der Bodenfestigkeit) und SESAME (am Boden Analyse der elektrischen und mechanischen Eigenschaften der Kometenoberfläche).
Nur auf den Primar-Akku gestützt, wäre nach maximal 65 Stunden Schluss mit den wissenschaftlichen Experimenten. Jüngst gestellte neue Anforderungen an eine Datenverbindung während des Abstiegs verkürzen die Akkuleistung jedoch. Momentan ist 67P/Tschurjumow-Gerasimenko rund 450 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Unter optimalen Bedingungen zur Stromversorgung, das heißt ausreichender Sonneneinstrahlung und geringem Verschmutzungsgrad der Solarzellen, könnte Philae bis März 2015 arbeiten. Danach droht ein schleichender Hitzetod.
Update 08:40 Uhr
Das „final go“ liegt vor.
Update 13:10 Uhr
DLR-Vorstand Prof. Dr. Dittus erwähnt eine große Erleichterung im Lander-Control-Team. Probleme mit der Primärbatterie und der Kaltgasdüse hatten es nochmal spannend gemacht.
Update 13:20 Uhr
Barbara Cozzoni vom Missionteam LCC erklärt, dass nach erfolgreicher Landung der Stress bei ihr erst losgeht. Sie haben einen sonnigen Platz ausgesucht und Barbara ist überzeugt, dass alles gut geht und viel wissenschaftliche Arbeit vor ihr liegt. Ich komme mir vor wie bei Paolo Ferri. Die Italiener können Weltraum einfach gut verkaufen.
Update 13:50 Uhr
Svetlana Gerasimenko ist vor Ort und begrüßt die Medienvertreter.
Die LCC-Mitarbeiter werden hier auf die Bühne geholt. Letzte Auskunft: Der Lander ist in guter Verfassung. Auch das dritte Landebein scheint ordentlich ausgeklappt. Die leichte Drehung war erwartet worden und stellt kein Problem dar.
Update 13:55 Uhr
Michael Maibaum erläutert die Wärmeisolierung bei Philae. Nachfrage, warum man sich mit fünf Monaten Lebensdauer bis zum Wärmetod zufrieden gegeben hat. Man hätte einen Shutter gebraucht, der war auch entwickelt, hätte aber in einer start- und flugtauglichen Version zuviel Gewicht zu Lasten der Nutzlast an Bord gebracht.
Update 14:15 Uhr
Swetlana Gerassimenko hier, Ranga Yogeshwar sitzt vor mir, netter Typ, ganz wie im Fernsehen, fehlt nur noch, dass Alexander Gerst reinschaut. Leute, werdet Portalredakteure beim Raumfahrer.net, dann könnt ihr was erleben.
Update 14:20 Uhr
Ranga Yogeshwar fragt nach den Farewell-Bildern. Anwort: „Es gibt Diskussionen über die Daten.“ Wir fragen uns, was das wohl heißen soll?
Update 14:45 Uhr
Dr. Rüdiger Gerndt von Airbus Defence & Space spricht zu den teilweise völlig neuen Problemstellungen der Rosetta/Philae-Mission und ihren technischen Lösungen: Hochleistungs-Solarzellen, das heißt, wir haben einen „grünen“ Satelliten; Sternensensoren, die sich vom Streulicht der Staubpartikel in der Nähe des Kometen nicht irritieren lassen; schwierige Flugbahn; hohe thermische Schwankungen; lange Tiefschlafphase; Harpune, die in Granit eindringen kann, aber auch in lockerem Boden Widerstand findet.
Update 14:55 Uhr
H.J. Jung, auch Airbus, bestätigt, dass die Landesysteme von Philae, Landebeine und Stoßdämpfer, korrekt arbeiten. Der Kaltgasantrieb macht noch sorgen.
Update 15:20 Uhr
Die ersten Philae-Civa-Bilder sind da. Ich muss da mal auf die Kollegen vom Raumfahrer.net im ESOC verweisen (Live aus dem ESOC). Die sind mit dem Hochladen von Bildern schneller.
Update 15:35 Uhr
Jetzt habe ich es auch, das Abschiedsfoto der Civa-Kamera auf Philae von Rosetta:
Update 16:20 Uhr
Und hier das Gegenfoto der Osiris-Kamera auf Rosetta von Philae:
Update 17:05 Uhr
Jubel beim Missionsteam im ESOC. Ein Signal ist da. Das ist schon mal ein gutes Zeichen.
Update 17:10 Uhr
Beim LCC im DLR bleiben sie ruhig. Zu früh gefreut? Immerhin bestätigt Darmstadt eine gelungene Landung.
Update 17:14 Uhr
Jetzt gibt es auch Jubel im LCC.
Update 17:45 Uhr
Das LCC bestätigt eine sanfte Landung. Allerdings hätten die Harpunenanker nicht gezündet. Ohne diese sei die Stabilität für einige Experimente, gemeint sind wohl die Bohrungen, nicht hundertprozentig gewährleistet. Man prüfe einen neuen Zündbefehl.
Update 18:10 Uhr
Koen Geurts vom LCC ist vor der Presse. Touch down signal war da. Die Kaltgasdüse hat nicht gearbeitet. Es soll bis auf weiteres nicht versucht werden, die Harpunen zu zünden. Schwankungen in der Signalstärke machen Sorgen. Philae stehe eventuell nicht stabil. Deshalb sei die Freude gebremst. Die ersten Fotos sollen mehr Aufschluss geben.
Update 18:40 Uhr
Das erste Bild der von Philae nach unten blickenden Rolis-Kamera, aufgenommen um 15:38 Uhr MEZ etwa drei Kilometer über dem Kometen. Der Landeplatz befindet sich in der Mitte. Die Datenübertragung fand wahrscheinlich noch während des Landeanflugs statt.
Update 20:15 Uhr
Dordain bestätigt die sanfte Landung, den wissenschaftlichen und Betriebsdatenfluss und definiert die Landung als Erfolg. Stephan Ulamec erläutert den vermuteten Hüpfer von Philae mangels Verankerung: „Wir landeten heute vielleicht zweimal.“
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Das Pressezentrum im DLR schließt. Damit enden auch die Aktualisierungen in diesem Artikel. Besten Dank an die DLR-Organisatoren. Das war eine wirklich produktive Arbeitsatmosphäre mit interessanten Gesprächspartnern hier in Köln.
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