Mit dem ALMA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) gelang Astronomen erstmals der Nachweis von Zuckermolekülen, welche sich in der unmittelbaren Umgebung eines jungen, sonnenähnlichen Sterns befinden.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO. Vertont von Peter Rittinger.
Die ursprünglichen Gas- und Staubwolken, aus deren Kollaps sich schließlich neue Sterne entwickeln, sind mit einer durchschnittlichen Temperatur von etwa minus 163 Grad Celsius extrem kalt. Viele der in diesen Wolken enthaltenen Gase lagern sich in Form von Eispartikeln auf den Staubteilchen ab. Dort erfolgt anschließend eine chemische Reaktion, so dass sich auch komplexere Moleküle bilden können. Sobald sich im Inneren einer solchen Wolke aus Gas und Staubpartikeln ein Stern gebildet hat, heizt dieser die inneren Regionen der Wolke auf. Diese Bereiche erreichen dabei eine Temperatur, welche über dem Gefrierpunkt liegt.
Dies wiederum hat zur Folge, dass die zuvor entstandenen komplexen chemischen Verbindungen verdampfen und wieder in den gasförmigen Aggregatzustand übergehen. Die charakteristische Strahlung, welche dabei im Radiobereich ausgesandt wird, kann mit hochempfindlichen Radioteleskopen wie dem von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebenen Verbundteleskop ALMA nachgewiesen werden.
Einem internationalen Astronomenteam, geleitet von dem Astronomen Jes Jørgensen vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen, gelang mit dem ALMA-Teleskop, so die Kurzform für das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, jetzt erstmals der Nachweis von Zuckermolekülen, welche sich in der direkten Umgebung eines jungen, sonnenähnlichen Sterns befinden.
Die Astronomen entdeckten im Rahmen ihren Beobachtungen innerhalb einer Wolke aus Gas- und Staubmolekülen, welche einen jungen Doppelstern umgibt, Glycolaldehyd-Moleküle. Hierbei handelt es sich um eine einfache Form von Zucker. Glycolaldehyd konnte in der Vergangenheit zwar bereits mehrfach im interstellaren Raum nachgewiesen werden – dies ist jedoch das erste Mal, dass solche Moleküle vergleichsweise nahe bei einem sonnenähnlichen Stern gefunden wurden.
Laut den Analysen der Astronomen befinden sich die Zuckermoleküle in einer Entfernung zu dem beobachteten Stern, welche vergleichbar ist mit jener des Planeten Uranus von der Sonne. Die Entdeckung zeigt somit, dass einige der für Leben nötigen chemischen Verbindungen bereits zur Zeit der Planetenentstehung in dem betreffenden System vorhanden sind.
„In der Scheibe aus Gas und Staub, welche diesen neu entstandenen Stern umgibt, konnten wir Glycolaldehyd nachweisen. Hierbei handelt es sich um eine einfache Art von Zucker, welche sich gar nicht so sehr von dem Zucker unterscheidet, den wir auch unserem Kaffee zufügen“, so die Erklärung von Jes Jørgensen. „Dieses Molekül ist eine der bei der Entstehung von RNA benötigten Zutaten, und die wiederum ist – genau wie die mit ihr verwandte DNA – einer der Grundbausteine des Lebens.“
Die erfolgten Messungen wurden während der sogenannten „Science Verification Phase“ des ALMA-Teleskops getätigt, in welcher lediglich ein Teil des Verbundteleskops genutzt wird, um das ALMA-Teleskop anhand wissenschaftlicher Fragestellungen auf seine Funktions- und Leistungsfähigkeit zu testen.
Als entscheidend für die Gewinnung der neuen Ergebnisse stellte sich dabei die hohe Empfindlichkeit heraus, welche das ALMA-Teleskop selbst bei den niedrigsten Wellenlängen seines Messbereichs erreichen kann. Voraussetzungen für die Identifikation des Glycolaldehyd-Moleküls in den ALMA-Beobachtungen waren hochgenaue Messungen der von Glycolaldehyd ausgesandten charakteristischen Radiostrahlung in Laborexperimenten. Zusätzlich zu dem nachgewiesenen Glycolaldehyd enthält die den untersuchten Stern IRAS 16293-2422 umgebende Scheibe noch weitere komplexe organische Moleküle wie zum Beispiel Ethylenglycol, Ameisensäuremethylester und Ethanol.
„Besonders aufregend für uns ist an diesen Ergebnissen, was die ALMA-Beobachtungen über die Bewegungsrichtung der Zuckermoleküle aussagen. Die Moleküle fallen offenbar auf einen der beiden Sterne des Systems zu“, so Cécile Favre von der Universität Aarhus in Dänemark, eine der an den Forschungen beteiligten Wissenschaftlerinnen. „Die Zuckermoleküle befinden sich somit nicht nur am richtigen Ort, um auf einem Planeten zu landen – sie bewegen sich zudem auch in die richtige Richtung!“
„Die entscheidende Frage ist: Wie komplex können diese Moleküle werden, bevor sie letztendlich ein Bestandteil der [in diesem Sternsystem] neu entstandenen Planeten werden? Die Beantwortung dieser Frage verspricht Hinweise darauf, wie Leben auf anderen Planeten entstehen kann – und die Beobachtungen der ALMA-Teleskope werden eine wichtige Rolle dabei spielen, dieses Rätsel zu lösen”, so der abschließende Kommentar von Jes Jørgensen.
Der im Sternbild Schlangenträger (lat. Ophiuchus) gelegene Stern IRAS 16293-2422 präsentiert sich dabei als ein hervorragendes Studienobjekt. Mit einem Abstand von lediglich rund 400 Lichtjahren zu unserem Sonnensystem und einer ähnlichen Masse wie unsere Sonne bietet er den Astronomen optimale Verhältnisse, um die Chemie, die Molekülhäufigkeiten und die Molekülverteilung in der Umgebung eines relativ jungen Sterns zu untersuchen. Mit der neuesten Generation von Radioteleskopen finden die Astronomen und Astrobiologen somit beste Voraussetzungen vor, um die Details der Gas- und Staubwolken zu studieren, aus denen sich Planetensysteme bilden.
Das für die Untersuchungen eingesetzte ALMA-Teleskop ist eine internationale astronomische Forschungseinrichtung, welche von verschiedenen Instituten aus Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Bei der Entwicklung, dem Aufbau und dem Betrieb des Observatoriums ist die ESO zuständig für den europäischen Beitrag, das National Astronomical Observatory of Japan für den Beitrag Ostasiens und das National Radio Astronomy Observatory der USA für den nordamerikanischen Beitrag. Das Joint ALMA Observatory ist für die übergreifende Projektleitung – für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den regulären Beobachtungsbetrieb – von ALMA zuständig.
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