Der Raumfahrtsektor ist schon immer geprägt von großen Plänen und weitreichenden Entscheidungen, die aufgrund von vielen Beteiligten in internationaler Abstimmung mühevoll gestaltet werden. Wie soll sich die europäische Raumfahrt weiterentwickeln? Fragen an den DLR-Chef Prof. J. Wörner.
Ein Beitrag von Thomas Brucksch. Quelle: Raumfahrer.net.
Eine gewisse Dynamik erfuhr in letzter Zeit das Thema, wie die Weiterentwicklung der Ariane 5 zur Ariane 6 aussehen sollte. Frankreich treibt das Thema mit immer neuen Vorschlägen stark voran, eine Dynamik, die man sich auch in anderen Raumfahrt-Bereichen wünschen würde. Andererseits scheint der Ariane 5-Nachfolger immer konventioneller zu werden.
Für uns war das Anlass, Informationen über die Rolle der deutschen Raumfahrt aus erster Hand zu erfragen. DLR-Chef Prof. Wörner stand uns dafür Rede und Antwort.
RN: Herr Wörner, Ariane 5 und ATV-4 haben zuletzt tolle Bilder geliefert. Zum ersten Mal sah man die Stufentrennung der Ariane 5 mit der Erde im Hintergrund ebenso, wie das Aussetzen des ATV. Ist das nicht ein tolles europäisches Projekt und macht das nicht Lust auf mehr?
J. Wörner: Ja, zumal das STEREX-Experiment, bei dem diese Aufnahmen entstanden sind, vom DLR gefördert wurde.
Früher war Raumfahrt vor allem Begeisterung und Nationalstolz. Heute ist Raumfahrt insbesondere durch zwei Bereiche gekennzeichnet: Zum einen ist sie nutzenorientiert, denken Sie an Satelliten-Bilder, die bei Flutkatastrophen helfen, Kommunikation, Navigation, Wetter, usw.
Zum Zweiten ist es die Wissenschaft, viele offen Fragen sind noch zu beantworten, was keineswegs abstrakt ist, sondern auch zu ganz praktischem Nutzen führt, z.B. selbst die Relativitätstheorie, die damals kaum jemand verstand und für relevant hielt, ermöglicht uns heute erst die genaue Positionsbestimmung unter Berücksichtigung von Geschwindigkeit und Zeit.
RN: Ganz aktuell, im deutschen Parlament soll die Entwicklung des Nachfolgesystems von SAR-Lupe beschlossen werden, ein 800-Millionen-Euro-Projekt. Es wurde berichtet, dass die Bundeswehr für den Satellitenstart dann möglicherweise Kunde von SpaceX wird?
J. Wörner: Weltweit werden Trägersysteme kommerziell angeboten, wir haben amerikanische und indische, wir haben chinesische und russische, also alle Möglichkeiten. Die SpaceX-Trägerrakete bedient einen bestimmten Markt, der nutzlastseitig sehr interessant ist. Die Ariane 5 bedient einen anderen Markt, der in der Gewichtsklasse aber deutlich darüber liegt. Klar, der Wettbewerb ist ein weltweiter Wettbewerb. Aber aus deutscher Sicht haben wir auch immer gesagt, dass wir das günstigste Angebot nehmen.
Jedoch müssen wir auch aufpassen, dass wir nicht die Eigenständigkeit verlieren. Denn wenn man diese verliert, ist man dem Markt ausgeliefert. Galileo ist ein gutes Beispiel, dass man mit Eigenständigkeit mehr erreicht und das sollten wir auch bei den Trägerraketen so beibehalten.
RN: Bei der Weiterentwicklung der Ariane 5 sind letztes Jahr in Neapel wichtige Weichenstellungen erfolgt. Im Vorfeld wurden verschiedene Ariane-6-Konzepte diskutiert, zur Konferenz bzw. danach aber nur eine Feststofflösung. War das nicht überraschend?
J. Wörner: Nein, ich war sehr intensiv in diesem Prozess eingebunden, habe auch die meisten Diskussionen im Vorfeld der ESA-Ministerratskonferenz entweder selber geführt oder auf der Konferenz mit dem deutschen Delegationsleiter Peter Hintze.
Die Diskussion um die Ariane 5 und deren Weiterentwicklung – die heißt dann „Ariane 5 ME – midlife evolution“ – oder die Frage einer Ariane 6, die begann bereits ein Jahr vorher. Und man muss erst einmal sehen, dass beide Positionen – die deutsche, wie die französische durchaus begründet sind. Unsere französischen Kollegen sagen, wir können mit einem etwas kleineren und flexibleren Launcher den Markt besser bedienen und besser im Wettbewerb sein als z.B. SpaceX und andere. Und unsere Argumentation war, dass erstens die Ariane 5 in der jetzigen Form sehr, sehr gut ist, auch für den Transport großer Lasten und mit der Erweiterung zur Ariane 5 ME glauben wir, dass wir dort in der Wettbewerbsfähigkeit große Vorteile haben können.
Vor allem wissen wir, dass die Entwicklung der Ariane 5 ME um Faktoren günstiger ist, als eine komplette Neuentwicklung. Der Beschluss in Neapel, und das haben wir auch entsprechend vorbereitet, hat beide Themen miteinander verbunden – wir verfolgen die Ariane 5 ME weiter, um sie 2017/2018 zum Erstflug zu bringen. Parallel denken wir intensiv darüber nach – was könnte eine Ariane 6 sein und 2014 soll dann eine weitere Entscheidung fallen.
Und wir haben, damit es weitergeht, Gemeinsamkeiten gesucht, die Gemeinsamkeiten zwischen Ariane 5 ME und Ariane 6 betragen 600 Mio €. Geld, das man sparen kann, wenn technische Entwicklungen für die Ariane 5ME in die Ariane 6 einfließen.
Deshalb war die ESA-Ministerratskonferenz wegweisend für die Zukunft, die versucht, verschiedene Systeme auch immer zusammenzubringen – wir machen jetzt die Ariane 5 ME weiter und wir werden sehen, wie viel Finanzkraft Europa aufbringt und auch wann, unter welchen Randbedingungen, um dann ggf. eine Ariane 6 zu entwickeln. Aber das werden wir im nächsten Jahr entscheiden.
RN: Wird eine Ariane 5 auch in Zukunft genügend Nutzlasten erhalten, das ATV fällt ja dann weg? All-Electric Satelliten sollen evtl. kleiner sein als der klassische Satellit mit chemischen Antrieben.
J. Wörner: Im Moment sehen wir eher, dass die Satelliten immer größer werden. So ist der Alphasat, der im Juli mit einer Ariane 5 starten soll, der größte Kommunikationssatellit, der je gebaut wurde. Er verfügt über Solarpanele mit einer Spannweite von ca. 40 m, damit ist er größer als ein Airbus 320. Der Markt will aber Wettbewerb und Satelliten-Betreiber/Hersteller achten darauf, dass mindestens zwei Trägersysteme in der Lage sind, die Satelliten zu transportieren, um eine zu große Abhängigkeit zu vermeiden.
Ariane 5 war auch auf bemannte Raumfahrt ausgelegt und das derzeitige Konzept der Ariane 6 verzichtet auf diese Möglichkeit. Es bräuchte unglaubliche Investitionen, zudem wäre die Flexibilität für große Nutzlasten nicht mehr gegeben. Deswegen hat sich Deutschland bisher ganz klar aus finanziellen wie auch aus technischen Gründen für die Ariane 5 ME ausgesprochen.
RN: Deutschland investiert mit ca. 40% den größten europäischen Anteil an der ISS-Beteiligung. Müssten dann nicht öfter deutsche Astronauten fliegen dürfen?
J. Wörner: Für Deutschland steht die Wissenschaft im Vordergrund. Sonst hätten wir schon bei der Auswahl auf eine entsprechende Quote geachtet. Das haben wir nicht getan. Natürlich freuen wir uns, wenn ein deutscher Astronaut an Bord der ISS ist. Wir setzen uns auch bei der ESA dafür ein, möglichst viele Fluggelegenheiten zu bekommen. Das wichtigere ist aber, dass wir deutsche Experimente über die ESA zu ISS bringen, unsere gemeinsame Europäische Weltraumagentur. Für mich ist Alexander Gerst ein europäischer Astronaut deutscher Nationalität. So sehe ich das auch im Fall eines britischen ESA-Astronauten.
Der britische Beitrag zur ISS ist sehr gering. Das kann man eher ansprechen, als zu sagen, bei einem hohen Beitrag müssen auch mehr Fluggelegenheiten herausspringen. Ich sag eher, es würde mich freuen, wenn die Briten mehr Finanzmittel in die Raumfahrt einbringen.
Die ISS ist nun mal eine Internationale Raumstation, die uns die Möglichkeit zu Experimenten in der Schwerelosigkeit gibt, mit Astronauten, die wir sonst nicht haben. Das ist eine tolle Infrastruktur – ein großes, vielseitiges Labor und das sollte im Verhältnis zu den früheren Investitionskosten auch genutzt werden. Und ich fordere in der ESA immer auf, dass wir diesen Beitrag solidarisch gemeinsam tragen sollten.
RN: Herr Wörner, vielen Dank für das Interview und Ihre Erläuterungen zu unseren Fragen.
Weitere Fragen des Interviews fasse ich hier inhaltlich zusammen:
1. Europa – ESA / EU-Kommission
Hr. Wörner betonte, dass ESA und EU eng zusammenarbeiten sollten, zumal die meisten Länder sowohl in der EU als auch ESA vertreten sind. Vor dem Wahljahr 2014 wird man, zumindest politisch, noch einiges abarbeiten wollen, da danach ja die EU-Direktorate wieder neu besetzt werden. Mein Eindruck war, dass er aus deutscher Sicht das EU-Copernicus-Programm (Erdbeobachtung) als umfassendes Datensystem (Satelliten+Bodensysteme) verstanden wissen will.
2. Galileo
Die Frage war, ob hier der gewünschte Nutzen erzielt wird. Das EU-Programm hat sich um viele Jahre verschoben und das Vorhaben wird weitaus teurer als geplant. Dennoch verspricht man sich weiterhin neue Möglichkeiten und Nutzen durch das sichere Signal, dass z.B. lärmmindernde Flugzeuglandeanflüge verbessern könnte.
3. Militärische Nutzung
Militärische Nutzung scheint die zivile Nutzung in den Hintergrund zu drängen. Die Diskussion sollte sich in diesem Zusammenhang um Sicherheit drehen, sowohl zivile als auch militärische. Jeder möchte in Sicherheit leben. Auch können militärische Programme in den zivilen Bereich übertragen und genutzt werden, wie das Beispiel GPS zeigt. Als ESA-Ratsvorsitzender betont er stets die zivile Rolle der ESA.
4. Internationale Zusammenarbeit
Im deutschen RN-Forum sind sowohl die amerikanische als auch russische Raumfahrt gleichermaßen vertreten. Chinas Raumfahrt ist durch die spektakulären bemannten Flüge ebenso in der Diskussion.
Für das DLR gilt primär natürlich zunächst die nationale Sicht. Danach kommen Europa, die USA und weitere Länder wie Japan und Russland. China ist ein Sonderfall, man will wissenschaftlich zusammenarbeiten und muss sich auf technologischer Ebene eher zurückhalten.
Beim MPCV-ESM Projekt hofft das DLR auf eine gute und langjährige Zusammenarbeit mit den USA.
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