Bemannte Raumfahrt bei der ESA – Ein Statusbericht

Die bemannte Raumfahrt ist im Wandel. Letztes Jahr stellte die USA ihr Space-Shuttle-Programm ein, der Bau der ISS ist weitgehend abgeschlossen und die Chinesen haben ihre erste Raumstation Tiangong 1 in den Orbit gebracht. In den USA sind kommerzielle Firmen in Begriff, die Frachtversorgung zur ISS zu übernehmen, während die USA mit dem SLS an einem bemannten Explorationsprogramm arbeitet um wieder bemannte Missionen außerhalb des Erdorbits zu ermöglichen. Doch welche Position wird die ESA in der bemannten Raumfahrt in der Zukunft einnehmen?

Ein Beitrag von Ian Benecken. Quelle: ESA, Astrium, NASA, Raumfahrer.Net.

Rückblick auf das europäische Raumfahrtjahr 2011

ESA/NASA
Angekoppeltes ATV an der ISS
(Bild: ESA/NASA)

Einer der wichtigsten Missionen der bemannten Raumfahrt für die ESA im vergangenen Jahr war der zweite Flug eines ATVs zur ISS: ATV 2 Johannes Kepler. Nicht nur weil dies eine Mission war, in die mehrere ESA-Mitgliedsländer involviert waren, sondern auch, weil diese Mission eine internationale Mission war, da sie zur ISS ging. Besonders war hier die Kooperation mit Russland, dockte das ATV doch an den russischen Teil der Station, sowie die Kooperation mit der französischen Raumfahrtagentur CNES welche das ATV-Kontrollzentrum in Toulouse leitete.
Die ESA hatte im Jahr 2011 insgesamt drei Astronauten im All. Zwar flog Roberto Vitori nicht im Auftrag der ESA, sondern der italienischen Raumfahrtagentur ins All, trotzdem ist Roberto Vitori ein ESA-Astronaut. Er flog als letzter nichtamerikanischer Astronaut überhaupt an Bord eines Space Shuttles zur ISS während der Mission STS 134, dem letzten Flug des Space Shuttles Endeavour. Diese Mission hatte zur Aufgabe, den Teilchendetektor AMS 2 zur ISS zu bringen und dort zu installieren.

Daneben flog ein weiterer Italiener, Paolo Nespoli, als Teil einer ISS-Langzeitexpedition im Auftrag der ESA zur Station. Seine Mission überschnitt sich mit der von Roberto Vitori. Damit waren zum ersten Mal zwei Italiener zur gleichen Zeit auf der ISS. Während deren gemeinsamer Zeit an Bord der ISS tätigten diese neben einem Gespräch mit dem italienischen Premierminister auch ein Gespräch mit dem Papst.

Zu guter Letzt flog André Kuipers am 21. Dezember zur ISS, und verweilt dort noch als Teil der ISS-Langzeitexpedition 30/31 bis voraussichtlich Mai diesen Jahres.

Eine weitere wichtige internationale Mission, welche 2011 abgeschlossen wurde, ist die Mars-500-Mission. Diese war eine simulierte Mission zum Mars, bei der sechs Astronauten bzw. Kosmonauten 520 Tage in einer Station im Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme eingeschlossen waren. Dies war eine Kooperationsmission zwischen der ESA, die zwei Astronauten der Crew stellte, Russland, das drei Kosmonauten stellte und China, das einen Taikonauten bei der Mission dabei hatte. Diese Mission wurde am 4. November 2011 erfolgreich beendet. Diese Kooperation zwischen der ESA, Russland und China soll in kommenden Missionen fortgesetzt werden. Hier ist die ESA daran interessiert, mittelfristig bei dem bemannten chinesischen Programm zu kooperieren. Hierfür haben die ESA-Astronauten bereits begonnen chinesisch zu lernen.

Ausblick in die Zukunft
Was das ATV angeht, so wurde bereits die Produktion weiterer ATVs eingestellt. Es wird nur fünf ATVs geben. Zwei sind bereits gestartet, ATV 3 soll am 9. März starten, ATV 4 hoffentlich im März oder April 2013 und ATV 5 soll 2014 starten.
Da das ATV-Programm 2014 ausläuft, sucht man bei der ESA zurzeit nach einer Möglichkeit, das Know How, welches man bei der Entwicklung des ATV gewonnen hat, weiter zu nutzen.

Da das ATV nur bis 2017 den ESA-Kostenanteil am Betrieb der ISS deckt, diskutiert die ESA derzeit mit der NASA, wie und in welcher Form man den Kostenanteil zum Betrieb der ISS von 2017-2020 entrichten kann.

Ein mögliche Option könnte der Bau eines Servicemoduls für das MPCV Orion der NASA sein. Dieses würde dann auf Basis des ATV-Service-Moduls entwickelt werden. Der Plan ist es, hier ein Service-Modul für die Nasa für den ersten SLS-Start zu bauen. Dieser noch unbemannte Testflug mit einer Orion-Kapsel soll eine Mondumrundung beinhalten. Dieses erste Service-Modul würde die ESA in Gegenleistung für den ISS-Support der Nasa noch schenken, jedes weitere Service-Modul müsste die Nasa entweder von der ESA kaufen oder ein eigenes Service-Modul neu entwickeln. Eine andere Möglichkeit wäre eine Kooperation der ESA in Nasas Explorationsprogramm, bei dem die ESA als kooperativen Anteil das Orion-Service-Modul beisteuern könnte.

Eine andere Option, die auf Basis der ATV-Technologie begonnen werden könnte und derzeit in der ESA diskutiert wird, ist die Entwicklung eines sogenannten “Versatile Autonomous Concept” was auf Deutsch so viel wie “Flexibles Autonomes Konzept” heißt. Auch hier würde man auf Basis des ATV-Service-Moduls ein flexibles Service-Modul entwickeln, welches für noch festzulegende Aufgaben entwickelt werden soll. Zur Diskussion stehen der ISS-Resupply, eine unbemannte Forschungsplattform oder ein Service-Satellit.

Die NASA wäre im Fall eines ISS-Resupply nur an einem ATV-ähnlichen VAC interessiert. Bei einer Forschungsplattform käme es wahrscheinlich nur zu einer kleineren, freifliegenden Plattform oder nur zu Kurzmissionen. Mit einem Service-Satelliten könnte ein nicht mehr funktionsfähiger Satellit zum Deorbiten gebracht werden oder ein Satellit mit neuem Treibstoff befüllt werden.

ESA

(Bild: ESA)

Die Optionen werden von der ESA im Weiteren ausgearbeitet und sollen im November auf der ESA-Ministerratskonferenz zur Entscheidung gestellt werden. Diese Treffen finden alle vier Jahre statt, bei denen die vielen Programme und Missionen entschieden werden müssen. So ist auch noch die weitere Finanzierung des ISS-Betriebs von 2013-2020 zu besprechen.

Dabei sollen die Kosten für die ISS-Beteiligung deutlich gesenkt werden, um Mittel für andere Explorationsmissionen frei zu bekommen. Eine weitere Herausforderung hier wird die steigende Anzahl an internationalen Partnern sein, EU-Mitglieder genauso wie andere Raumfahrtagenturen und Industriepartner.

Ziel der ESA ist es, bis 2020 möglichst konkrete bemannte Explorationsmissionen durchzuführen und im Weiteren eine Zukunft nach der ISS zu gestalten.

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