Europas neue Rakete, die Ariane 6, könnte ein großer Reinfall für unsere Raumfahrt werden. Dafür verantwortlich ist vor allem das Beharren auf einen ineffizienten Mechanismus aufgrund von nationalstaatlicher Kirchturmpolitik. Ein Kommentar von Martin Knipfer.
Quelle: ESA, SpaceNews, Airbus Defence & Space, SpaceX, Arianespace
Europa baut eine neue Rakete: Die Ariane 6, die Nachfolgerin der Ariane 5, die momentan im Einsatz ist. Über vier Milliarden Euro sollen für die Entwicklung dieser Rakete ausgegeben werden, bis 2020 soll sie fertig sein. Eine ganze Stange Geld, möchte man denken, aber es ist ja auch nötig, wenn man über ein innovatives Raketensystem verfügen will, das pro Start wesentlich günstiger ist. Es ist tatsächlich nötig, dass Europa eine neue, günstigere Rakete als die Ariane 5 baut, denn der internationale Wettbewerb hat sich verschärft: Vor allem der amerikanischen Firma SpaceX gelingt es, immer günstiger ins All zu fliegen, wodurch einige Startaufträge für Satelliten bereits heute nicht mehr an die europäische Ariane, sondern an den Newcomer aus Kalifornien vergeben wurden. Der jüngste Fehlstart wird die Firma wohl nur kurz aufhalten.
Noch sind Europas Auftragsbücher prall gefüllt, doch auch das wird sich ändern: Nicht nur wird SpaceX seine ohnehin niedrigen Preise in den nächsten Jahren wohl weiter senken, sondern auch bei der amerikanischen ULA, dem russischen Raketenkonstrukteur RKZ Progress, Japans Raumfahrtagentur JAXA und Indiens Raumfahrtagentur ISRO stehen mit der Vulcan, der Sojus-5, der H-III und der GSLV Mk III neue, kostengünstige Raketen in den Startlöchern.
Um diesen Wettbewerbern Paroli bieten zu können, erscheint es da ganz vernünftig, dass die europäische Raumfahrtagentur ESA jede Menge Geld in die Hand nimmt. Um die Preise deutlich zu senken, sind neue, zukunftsträchtige Ideen für die Ariane 6 nötig, und die Entwicklung solcher Systeme ist nun mal nicht gerade günstig.
Doch leider ist die Ariane 6 ärmer an neuen Ideen als Wetten dass… unter Markus Lanz: Es handelt sich bei ihr mehr oder weniger um eine kleinere Ariane 5. Die Hauptstufe und die Oberstufe verbrennen weiterhin flüssigen Wasserstoff und flüssigen Sauerstoff, wohingegen die meisten Konkurrenten statt auf den schwierig zu beherrschenden Wasserstoff inzwischen auf Methan oder Kerosin setzen. Seitlich an der Hauptstufe werden zwei oder vier Feststoffbooster angebracht. Diese „Hilfsraketen“ basieren auf der ersten Stufe der kleinen Trägerrakete Vega. Insgesamt kommt man also auf drei Hauptelemente, die jeweils eine eigene Produktionslinie benötigen, wo sie aufwendig hergestellt und integriert werden. Zum Vergleich: SpaceX benötigt für ihre Falcon 9 gerade einmal eine einzige solche Produktionslinie. Bei einer solchen Komplexität ist es nicht verwunderlich, dass die Kosten hoch sind, um einmal die Ariane 6 zu starten: Ein Preis von 75 Millionen wird angestrebt(!). Euro, wohlgemerkt.
Es ist zwar möglich, mit der stärkeren Version der Ariane 6 für 90 Millionen zwei Satelliten auf einmal zu starten, die meisten Kunden aus der Satellitenindustrie stehen solchen Doppelstarts jedoch skeptisch gegenüber. SpaceX bietet bereits jetzt Satellitenstarts für 61,5 Millionen $ an und es ist anzunehmen, dass dieser Preis bis zum ersten Flug der Ariane 6 weiter fallen wird. Auch die internationale Konkurrenz hat -wie gesagt- in den letzten Jahren wesentlich modernere und kostengünstigere Ideen präsentiert. Aber wieso wird nicht das Design der Ariane 6 geändert? Wieso setzt man nicht auf effizientere und innovativere Technologien?
Der Geo-Return
Um diese Fragen zu beantworten, muss man das Prinzip verstehen, wie die europäische Raumfahrtagentur ihre Raketen finanziert. Dieses Prinzip nennt sich Geo-Return, es ist bereits seit mehreren Jahrzehnten üblich. Es funktioniert derart, dass der Geldbetrag, den ein Land für die Entwicklung der Rakete ausgibt, zu mindestens 90 % wieder in Form von Aufträgen an Firmen zurückfließt, die dort ansässig sind. Investiert etwa beispielsweise Schweden einen bestimmten Betrag für die Entwicklung einer Rakete, erhalten schwedische Firmen Aufträge von der ESA in dieser Höhe. Im Gegenzug entwickeln oder bauen sie zum Beispiel die Düse des Raketentriebwerks.
Das hört sich zunächst nach einem gerechten und sinnvollen System an. Arbeitsplätze werden erhalten, die heimische Wirtschaft gestärkt. Doch es ist auch sehr ineffizient: Nehmen wir bei unserem Beispiel einmal an, dass etwa eine französische Firma die gleiche Triebwerksdüse günstiger entwickeln könnte als die schwedische. Obwohl so auch der Gesamtpreis der Rakete gesenkt werden könnte, ist das nicht gestattet, weil nun der Geo-Return verletzt ist: Schwedische Firmen erhalten nun nicht mehr den gleichen Betrag, den die schwedische Regierung vorher in das Projekt investiert hat.
Durch solche „ungenutzten Einsparungen“ steigen die Entwicklungskosten für das Projekt in die Höhe. Um diese Kosten dann vertretbar zu halten, verzichtet die ESA bei der Ariane 6 auf neue, bessere Technologien, die vorher teuer entwickelt werden müssten. Deshalb ist es nicht möglich, auf ein innovativeres Design zu setzen.
Bei diesem Szenario handelt es sich nicht nur um ein reines Gedankenspiel: Bei der Entwicklung der Ariane 6 gibt es ähnliche Probleme. Ursprünglich sollte der Geo-Return bei dieser Rakete abgeschafft werden, um über ein konkurrenzfähiges Produkt zu verfügen und es effizient entwickeln zu können.
Wegen massiver Kritik vor Allem vonseiten Deutschlands wurde aber nach unzähligen langen Verhandlungen dieses Prinzip letztendlich doch beibehalten. Von einer Erhöhung der Effizienz ist nicht mehr viel zu spüren, wie dieses Beispiel zeigt: Da Deutschland einen zu geringen Geo-Return erhalten hätte, wurde beschlossen, eine zweite Produktionslinie für die CfK-Gehäuse der Feststoffbooster in Augsburg zu errichten. Eine solche Produktionslinie existiert jedoch bereits schon in Italien. Nicht nur die Entwicklungskosten steigen so aufgrund des Geo-Returns, sondern auch die Kosten pro Start. Doch was genau wäre eigentlich das Problem, wenn ein Start der Ariane 6 mehr als bei der Konkurrenz kostet?
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