Als Joe Melko vor 4 Jahren die Entwicklung der sechsrädigen Rover begann, hätte er nie geglaubt, einen von ihnen einmal wie ein 6-Personen-Floß steuern zu müssen.
Autor: Axel Orth
Aber fünfeinhalb Monate nach der Landung der Roboter auf dem Mars war es genau das, was er und ein Team von Ingenieuren tun mussten. Denn nachdem nun das rechte Vorderrad des Rovers Spirit Anzeichen von Verschleiß zeigt, haben Melko und sein Team einen Ersatzrover im Jet Propulsion Laboratory der NASA getestet, um zu sehen, wie viel er mit fünf Rädern noch vollbringen kann. Keine Frage, dass der Rover auf dem Mars jetzt schon das Sechsfache dessen zurück gelegt hat, wofür er ursprünglich entworfen wurde. Aber die Wissenschaftler haben noch zahlreiche Stellen von zutage tretendem Muttergestein, die sie untersuchen wollen. Und dieses Team will den Rover so lange in Bewegung halten wie nur irgend möglich.
Um die Leistung des Rovers auf fünf Rädern zu testen, schalten sie das sechste Rad ab. Anstelle aber einfach nur mitzurollen, muss dieses sechste, nun blockierte Rad regelrecht mitgeschleppt werden, wodurch das gesamte Gefährt nach rechts ausschert.
“Dies entspricht sechs Ruderern auf einem Floß”, erklärt Melko, “drei auf einer Seite, drei auf der anderen. Fünf von ihnen rudern, aber dieser eine Ruderer vorne rechts hält nur das Paddel ins Wasser und hat auch noch das größte Paddel.”
“Die anderen beiden rechts müssen schneller rudern als die drei links, sonst driftet das Floß nach rechts ab. Außerdem muss der Ruderer links vorne ein wenig nach rechts rudern und der Ruderer links hinten muss ein wenig nach links rudern, um das Floß davon abzuhalten, sich im Kreis zu drehen.”
Die Situation auf dem Mars ist ähnlich. Die Ingenieure veranlassen den Rover, seine Räder nach links zu drehen, um ihn vom Abdriften nach rechts abzuhalten. Sie gaukeln ihm vor, seine Räder seien geradeaus eingestellt, obwohl sie es nicht sind, um das Autonavigationssystem des Rovers daran zu hindern, die Räder von sich aus wieder geradeaus zu stellen. Denn wenn es dies tun würde, würde der Rover erneut nach rechts abdriften. Dann setzen sich Ingenieure mit Softwareexperten zusammen und entwerfen neue Befehle, um den Rover dazu zu bringen, all dies von sich aus zu tun. Dies muss sein, da die Erdlinge dieser Mission nur einmal am Tag neue Anweisungen zum Mars schicken können.
Dies klingt kompliziert. Ist es auch. Und es wird noch komplizierter, wenn der Rover sich an einem Hang befindet. Oder wenn das blockierte Rad auf einen Fels trifft. Denn das Rad wurde gerade für die Haftung auf Fels optimiert. Dies ist großartig, um Hänge zu erklettern, aber wenn das Rad blockiert statt zu rollen, dann bleibt der Rover an jedem Felsen hängen. Im “außerweltlichen” JPL-In-Situ-Laboratorium, wo es ziemlich ähnlich aussieht wie auf dem Mars, testen Melko und sein Team dies, indem sie sich flach auf den Boden legen und dem Testrover einzelne Felsen in den Weg legen, um zu sehen, ob das Rad darüber hinweg gezogen werden kann. Außerdem testen sie Befehlsfolgen, mit denen der Rover zum Befreien des Rades angemessen reagieren soll. Selbst ein kerngesunder Rover mit sechs funktionierenden Rädern bleibt auf einer sandbedecktem Steigung von 20 Grad stecken. Um den Widerstand zu minimieren, fahren die Ingenieure den Rover rückwärts, ziehen dadurch das blockierte Rad nach, anstelle es bei Vorwärtsfahrt durch den Boden graben zu lassen. Selbst so zieht das blockierte Rad eine allmählich tiefer werdende Furche und verlangsamt den Rover auf Schneckentempo. An diesem Punkt schalten sie das rechte Vorderrad kurz wieder ein, um den Rover aus der Furche zu bekommen.
Ständig am Ruder bleiben
Melko ist ein zurückhaltender, freundlicher, hoch konzentrierter Mann mit breiten Schultern, sandfarbenem Haar und Geheimratsecken. Er ist einer von der geduldigen Sorte. Geduld ist eine wichtige Tugend für jemanden, der Wochen mit Hunderten von Tests mit einem hinkenden Vehikel verbracht hat, um auszuknobeln, wie sich ein ähnliches Vehikel 240 Millionen Meilen entfernt wohl verhalten wird. Und der während dieser Tests noch etliche Anrufe von den Missionsplanern erhält, die ihn fragen, was sie als Nächstes tun sollen.
Allerdings hat Melko jede Menge Unterstützung. Ingenieurskollegen und selbst Studenten sind mit von der Partie. Jessica Brooks von der University of Michigan und Sarah Hornbeck von der Georgia Tech, beide Studentinnen der Luft- und Raumfahrt, hantieren mit Lasermessgeräten, Videomonitoren und Computerprogrammen, die die Testdaten aufzeichnen. Wenn Melko anderweitig gebraucht wird, springt Chris Voorhees ein, um die Tests am Laufen zu halten. Eric Aguilar, ein Luftfahrtelektronik-Entwicklungsingenieur des JPL, führt Aufzeichnungen über das Verhalten des Rovers und geht Melko zur Hand, um den Rover an einer Stelle zu halten oder ihn anzuheben und zu bewegen, wenn nötig. Die Maschinenbauingenieure Rich Petras und Lee Magnone helfen mit einem Theodoliten aus, einem hochempfindlichen Präzisionsortungsgerät. Die Navigationsexperten Mark Maimone und Jeff Biesadecki übersetzen das Fünf-Rad-Fahrverhalten in mathematische Logik, die die Bordcomputer des Rovers verstehen können.
In der Zwischenzeit stellt Melko sicher, dass das Team genügend Tests aller relevanten numerischen Variationen von Entfernung, Steilheit, Fahrtrichtung und Oberflächenbeschaffenheit durchführt, um zuverlässige Kennziffern zu ermitteln, wie der Rover auf dem Mars sich verhalten wird. Eine Änderung auch nur eines dieser Parameter bedeutet, dass die Roverfahrer das Maß des Gegensteuerns ändern müssen, mit dem sie des Rovers Tendenz zum seitlichen Abdriften kompensieren. Wenn sie nur mit fünf Rädern fahren, dann ist die Rückwärtsfahrt einen Hang hinunter die einfachste Aufgabe. Hangaufwärts fahren gestaltet sich ausgesprochen zäh. Fahren auf flachem, glattem Fels ist einfacher als Fahren auf Sand. Quertraversieren an einem Hang stellt eine besondere Herausforderung dar, da das Fahrzeug dazu tendiert, leicht seitlich hangabwärts zu rutschen, während es sich in einer relativ geraden Line bewegt.
Jede einzelne dieser Bedingungen erfordert einen eigenen Befehlssatz. Die Befehle sind im Wesentlichen “if-then”-Anweisungen in Computerlogik – wenn dies deine Position ist, dann tue dies; wenn dies nicht deine Position ist, dann tue etwas anderes.
Marsmechanik aus Millionen von Meilen Entfernung
“Sein Motor braucht mehr als zweieinhalb mal so viel Energie, dieses Rad zu drehen,” erklärt Melko. “Und das sagt uns, dass da etwas grundsätzlich schief läuft. Der Mehrbedarf an Energie an sich ist kein Problem. Der Rover hat genug Energie, um damit klar zu kommen. Es ist mehr so, wie wenn Sie beim Fahren ein merkwürdiges Geräusch an Ihrem Auto hören und denken ‘Wie lange kann ich damit noch warten, bis ich zur Werkstatt fahren muss?’ Aber in diesem Fall gibt es keine Werkstatt.”
Im Juli versuchten die Ingenieure zunächst, das Problem durch Erhitzen des Schmiermittel im Getriebe zu lösen, wodurch es sich auf alle Zahnräder verteilen und sie neu schmieren sollte. Dies ergab aber nur eine kleine Verbesserung. Es ist nämlich so, dass es auf dem Markt nur eine Art von Schmiermittel gibt, das für diese Mission verwendet werden konnte. Dieses Schmiermittel kann sowohl auf über 100 Grad Celsius erhitzt werden, wie es nötig war, um vor der Marslandung sämtliche Verunreinigungen zu entfernen, als auch die marsianische Kälte ertragen. Es ist nicht gerade unser typisches 10W-40 Motoröl. Bei Temperaturen um -50 Grad Celsius wird dieses Schmiermittel, das unter dem Namen “Bray Oil” bekannt ist, allerdings sehr klebrig. So brachten die Ingenieure bewusst nur eine sehr dünne Schicht des Schmiermittels auf de Teile des Rades auf, gerade genug, um eine glatte Oberfläche zu erzielen, aber nicht so dick, dass es erstarren und den Antrieb behindern könnte.
Das bedeutet aber, dass im Antrieb nur wenig Schmiermittel vorhanden ist. Es ist möglich, dass während Spirits Fahrt über die Marsoberfläche Gerölltrümmer durch die Dichtungen in den Antrieb geraten sind. Es ist möglich, dass die Zahnräder selbst Ablagerungen produzierten, als sie anfingen, mürbe zu werden. Es ist möglich, dass der Antrieb Schmiermittel verliert. Die Ingenieure können nicht sagen, was genau der Grund für das Problem mit dem Rad ist, ohne es zu öffnen und nachzusehen. Jedenfalls deuten alle Anzeichen darauf hin, dass der Antrieb nun schlicht und einfach verschlissen ist.
“Als wir die Radantriebe entwickelten, wussten wir, dass sie nicht unbedingt enorm lange halten mussten”, erklärt Melko. “Andere Kriterien, wie Funktion in großer Kälte, geringer Platzbedarf, geringes Gewicht, Fertigstellung in knapp bemessener Zeit, Verwendung bereits verfügbarer Antriebe, all dies musste gegeneinander abgewogen werden.”
Die anderen fünf Radantriebe zeigen keine Schwächen. “Es ist ähnlich wie mit Autos”, fügt er hinzu. “Viele Autos halten 200.000 Kilometer. Andere fallen nach 100.000 Kilometern auseinander. Und einige halten sogar 300.000 Kilometer. Und dieses eine Rad an diesem einen Rover hat sich entschieden, sich als der Ausreißer zu erweisen. Die gute Nachricht ist, dass dieses Rad den Rover sechsmal so weit gebracht hat wie garantiert worden war, und immer noch etwas Reserve übrig hat.
Spirit auf der Langstrecke helfen
Melko schätzt nun, dass das angeschlagene rechte Vorderrad noch weitere 200 Meter bis 1.700 Meter funktionieren wird. Um die Lebensdauer des Rades zu erhöhen, wird das Team den Rover mit fünf Rädern fahren, wann immer es möglich ist, und das sechste Rad nur für Manöver einsetzen, die ohne es nicht möglich sind, wie etwa für Fahrten hangaufwärts und zur präzisen Platzierung des Instrumentenhalters über ein Untersuchungsziel.
Die Ingenieure werden ihr Bestes tun, um den Rover so lange wie möglich in Gang zu halten. Dieses Bestreben hat ihre Karrieren während der letzten paar Jahre bestimmt und ist ihr spezieller Beitrag zu einer Mission, die die Geschichte der Erforschung des Mars’ verändert hat. Als der Rover Spirit Anfang Januar auf dem Mars landete und sich erstmals umsah, waren alle von Ehrfurcht ergriffen.
“Es war großartig”, sagt Melko. “Als wir landeten, sahen wir die Hügel im Hintergrund, und trommelten alle zusammen. Als wir da saßen, kam Steve Squyres (der Chefwissenschaftler) herüber und sagte: ‘Seht ihr diese Hügel da drüben ? Das ist es, wo ich hin möchte.'”
“Wir hatten schon ausgerechnet, dass die Hügel ungefähr 3 Kilometer entfernt waren. Also sagten wir: ‘Gut, lasst uns ein paar Daten sammeln und dann lassen wir es auf einen Versuch ankommen.’ Wir freuen uns, dass wir ihn dorthin gebracht haben, und denken, dass immer noch ein guter Rest von Leben in diesem Rad übrig ist. Und selbst wenn es endgültig ausfällt, können wir immer noch Wissenschaft betreiben, nur halt nicht mehr an steilen Hängen.”
Quelle: NASA/JPL
Ins Deutsche übersetzt von Axel Orth
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