Lauter kleine Punkte, ein Muster ist nicht zu erkennen: Was für Laien lediglich weißgraue Fotos mit versprengten Krümeln sind, lässt Astronomenherzen höherschlagen. Die Rede ist von historischen Fotoplatten, die den Sternenhimmel als Negativ zeigen. Zusammen mit dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam sowie den Universitäten Hamburg und Tartu (Estland) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) die astronomischen Aufnahmen digitalisiert und online veröffentlicht – nach zehn Jahren wurde das Projekt dank der finanziellen Unterstützung durch die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nun erfolgreich abgeschlossen. Eine Pressemitteilung der FAU.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) 4. Juli 2022.
4. Juli 2022 – Auch wenn die ältesten Aufnahmen „nur“ 129 Jahre alt sind – im Vergleich zu Maßstäben, die ansonsten in der Astronomie gelten, wahrlich ein winziger Augenblick –, sind sie von historischem Wert und bergen sie wissenschaftliche Schätze. Denn nur mit solchen Aufnahmen können heutige Astronominnen und Astronomen gleich über mehrere Jahrzehnte hinweg untersuchen, wie sich Sterne bewegen oder wie sich ihre Helligkeit verändert. So lassen sich neue Forschungsfragen beantworten und Abermillionen Sterne genauer und objektiver in Augenschein nehmen.
In mehreren Schritten hat das Forschungsteam seit 2012 in der Datenbank APPLAUSE – kurz für Archives of Photographic Plates for Astronomical USE – die Aufnahmen aus den Archiven der Partnerinstitute aus den Jahren 1893 bis 1998 digitalisiert und in einem Katalog mit Details zur Aufnahme wie Datum, Himmelsabschnitt und Aufnahmeort erfasst. Darüber hinaus entwickelte der Forschungsverbund eine Software, die künstliche Intelligenz nutzt, um Fehler auf den Platten wie Kratzer oder Staub zu beseitigen und die Aufnahmen zu kalibrieren und damit erst wissenschaftlich vergleichbar zu machen. Weltweit stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nunmehr 4,5 Milliarden Messungen von Himmels-Lichtquellen für ihre Forschung zur Verfügung.
Insgesamt über 94.000 Fotoplatten digitalisiert
Einen bedeutenden Anteil der insgesamt 94.090 erfassten Fotoplatten sind die rund 40.000 Aufnahmen der Dr. Karl-Remeis-Sternwarte Bamberg – Astronomisches Institut der FAU. Denn darunter finden sich Fotografien, die fränkische Forscherinnen und Forscher zwischen 1963 und 1976 an Observatorien auf der Südhalbkugel aufgenommen haben. Diese zeigen den Südhimmel – weltweit eine Besonderheit, da in dieser Zeit kein einziges weiteres astronomisches Projekt diesen Teil des Firmaments dokumentierte. Neu hinzugekommen sind seit der letzten Veröffentlichung vor vier Jahren nun noch die Fotoplatten, die zwischen 1912 und 1968 in Bamberg entstanden sind und den Nordhimmel zeigen. Diese 17.600 Aufnahmen stellen die wichtigste Ergänzung im jetzt finalen Daten-Update dar.
Doch das ist nicht alles: Dank einer wissenschaftlichen Konferenz in Bamberg wurden weitere Sternwarten auf das Projekt aufmerksam. Wie zum Beispiel die Thüringer Landessternwarte Tautenburg. Sie stellte dem Forschungsverbund das Archiv des Karl-Schwarzschild-Observatoriums – die ehemalige Sternwarte der Akademie der Wissenschaften der DDR – aus den Jahren 1960 bis 1998 zur Verfügung. Oder das astronomische Observatorium des Vatikanstaats in Castel Gandolfo, deren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich ebenfalls meldeten, um ihr Archiv in die Datenbank einpflegen zu lassen und so der weltweiten Forschungsgemeinde zu öffnen.
Neue Erkenntnisse dank langfristiger Aufnahmen
Doch welche Erkenntnisse lassen sich aus den historischen Fotoplatten heute noch gewinnen? Die Bamberger Sternwarte hatte mit ihren Durchmusterungen des Nord- und Südhimmels im vergangenen Jahrhundert zum Ziel, Sterne zu untersuchen, deren Helligkeit schwankt. Bei manchen Objekten ist ihre physikalische Beschaffenheit nicht bekannt, also aus welchen Gasen sie genau bestehen. So ist der Stern „HD49798“ ein besonders interessantes Beispiel. Seine unstetigen Lichtschwankungen wurden in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren auf den Bamberger Fotoplatten registriert, konnten aber erst im vergangenen Jahr ausgewertet werden. Sie zeigen nämlich, dass der Stern in den Jahren 1964/65 immer heller leuchtete, um danach bis 1974 wieder schwächer zu leuchten. Hinzu kamen schnelle Lichtveränderungen innerhalb weniger Tage. Im Jahr 1999 wurde durch Satellitenmessungen schließlich entdeckt, dass von dem Stern Röntgenstrahlung ausgeht. Heute ist die Annahme, dass sie von einem unsichtbaren, sehr kompakten Begleiter, möglicherweise einem Neutronenstern, herrührt. Die langfristigen Helligkeitsvariationen waren bisher nicht bekannt, weil keine Messungen über einen so langen Zeitraum – zehn Jahre – existierten. Die historischen Daten der Fotoplatten liefern also bedeutende Hinweise für die Astronomie, die in den kommenden Jahren von Forscherinnen und Forschern noch auszuwerten sind. Das Sternenduo ist übrigens weiterhin einzigartig, denn bislang wurde keine andere Konstellation dieser Art im Weltall entdeckt.
Zugang zu den publizierten Daten von APPLAUSE: https://www.plate-archive.org/cms/
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