Ende der letzten Woche veröffentlichte Aufnahmen der von der ESA betriebenen Raumsonde Mars Express zeigen die Auswirkungen einer gewaltige Hangrutschung im 9.000 Meter tiefen Talkessel des Melas Chasma auf dem Mars.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: DLR, FU Berlin, ESA.
Eines der auffälligsten Merkmale unseres äußeren Nachbarplaneten ist ein weitläufiges Grabensystem, welches sich östlich der Tharsis-Vulkanregion längs des Äquators erstreckt. Mit einer Länge von etwa 4.000 Kilometern, einer Breite von bis zu 700 Kilometern und einer Tiefe von über sieben Kilometern sind die Valles Marineris das größte Canyon-System in unserem Sonnensystem. Über weite Strecken verlaufen sie dabei in Form dreier fast paralleler und bis zu 200 Kilometer breiter Canyons, von denen jeder in seiner Ausdehnung den Grand Canyon um ein Vielfaches übertrifft.
Seit ihrer Entdeckung auf Aufnahmen der amerikanischen Raumsonde Mariner 9 im Jahr 1972 entwickelten die Marsforscher verschiedenen Theorien zur Entstehung der Valles Marineris. Die gegenwärtig favorisierte Hypothese sieht dabei eine Verbindung mit der benachbarten Tharsis-Vulkanregion. Zeitgleich mit der Entstehung der Tharsis-Region kam es demnach zu einem Aufwölben der Planetenkruste, was zu erheblichen Oberflächenspannungen führte. Die anschließende zusätzliche Belastung der Planetenoberfläche durch die sich immer höher auftürmenden Lavamassen der Tharsis-Vulkane führte letztendlich zu einem teilweisen Abbau dieser Spannungen, indem die Kruste am Ostrand der Tharsis aufbrach. Dabei bildete sich ein weitläufiges und verzweigtes Grabensystem.
Als zweiter Schritt, so diese Theorie, kam es zu einer verstärkten vulkanischen Aktivität, wobei sich auch das Ursprungsgebiet der Vulkanausbrüche langsam verschob. In der Folge verstärkte sich dabei das Ungleichgewicht der Krustenspannungen noch weiter, so dass die Kruste vollends aufriss und dabei das heutige Valles Marineris erzeugte. Dieses wurde anschließend mehrfach durch Wassererosion noch weiter ausgespült und umgeformt.
Am 6. Juli 2006 überflog die von der europäischen Weltraumbehörde ESA betriebene Sonde Mars Express die Valles Marineris während ihres Orbits Nummer 3.195 entlang des 290. östlichen Längengrades. Die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebene High Resolution Stereo Camera (HRSC) bildete dabei ein als Melas Chasma benanntes Gebiet aus einer Höhe von etwa 470 Kilometern ab. Die Talsohle dieser im zentralen südlichen Bereich der Valles Marineris befindlichen Region ist eine der am tiefsten gelegenen auf der Marsoberfläche. Hier bricht die Ebene des Marshochlandes plötzlich ab, wobei sich auf einer Entfernung von 30 Kilometern ein Höhenunterschied von bis zu 9.000 Metern ergibt. Die tiefsten Stellen des Melas Chasma liegen bei minus 5.000 Metern, das umgebende Plateau erreicht dagegen eine Höhe von etwa plus 4.000 Metern.
Mangels eines Meeresspiegels, welcher auf der Erde als Bezugsniveau für Höhenangaben dient, beziehen sich die Höhenangaben auf dem Mars auf einen Referenzkörper, den sogenannten Areoid. Hierbei handelt es sich um einen imaginären dreidimensionalen Körper, dessen Mittelpunkt mit dem Zentrum des Mars identisch ist und dessen Oberfläche sich in einer Entfernung von 3.396 Kilometern von diesem Zentrum befindet. Diese Grenze wird durch einen Wert konstanter Schwerkraft, dem sogenannten Schwerepotential, definiert. Der Begriff Areoid leitet sich von Ares ab, dem Gott des Krieges in der griechischen Mythologie.
Das nebenstehende Bild der HRSC-Kamera zeigt den nördlichen Bereich des Melas Chasma und die 9.000 Meter hohe Geländekante zum Marshochland. Die Größe des abgebildeten Geländeausschnittes beträgt 200 mal 100 Kilometer. Die Bildauflösung erreicht einen Wert von etwa 23 Metern pro Pixel. Besonders auffallend in dieser Aufnahme ist eine riesige Hangrutschung von fast 50 Kilometern Breite (Ausschnitt 1 im nebenstehenden Übersichtsbild), welche sich an der nördlichen, oberen Kante des Grabens befindet. Dabei brachen Tausende Kubikkilometer Gesteinsmaterial aus dem Hang und wurden bis zu 50 Kilometer weit in den Talgrund von Melas Chasma geschoben, wo sich die Gesteinstrümmer als Schuttfächer ablagerten.
Es ist denkbar, so die Interpretation der Wissenschaftler, dass Störungszonen in diesem Gebiet zur Instabilität der Hänge des Melas Chasma beigetragen haben und diese dann kollabiert sind. Die Oberflächenstruktur des rauen Fächermaterials unterscheidet sich deutlich von der eher glatten Oberfläche des weiter südlich im Becken abgelagerten Materials. Fließstrukturen auf der Oberfläche des weit in die Talmitte geschobenen Materials deuten darauf hin, dass hier eventuell Wasser als eine Art „Schmiermittel“ in den abgerutschten Gesteinsmassen diente (Bildausschnitt 2).
Auf dem Hochplateau im Nordosten (Bildausschnitt 3), sowie im Becken von Melas Chasma selbst sind vereinzelt die Überreste von Talsystemen zu erkennen. Diese wurden allerdings im Laufe der Zeit durch Material, das wahrscheinlich vom Wind dorthin verfrachtet wurde, fast bis an ihren Rand aufgefüllt. Die Orientierung des größeren Talverlaufs parallel zur Abbruchkante lässt vermuten, dass dieser ursprünglich einer tektonischen Störung folgte, deren Hauptrichtung parallel zu den großen Störungszonen liegt, die einstmals auch die Valles Marineris und das Melas Chasma aufbrechen ließen.
Im Becken von Melas Chasma und an verschiedenen höher gelegenen Stellen des Hanges sind helle, geschichtete Ablagerungen zu erkennen (Bildausschnitt 4). Das OMEGA-Spektrometer, eines der wissenschaftlichen Instrumente an Bord von Mars Express, identifizierte diese Ablagerung als Sulfatminerale wie zum Beispiel Gips oder Kieserit. Hierbei handelt es sich um Minerale, welche sich nur unter der Einwirkung von Wasser bilden können. Man geht deshalb davon aus, dass dieser Bereich der Marsoberfläche einst über einen längeren Zeitraum von einem See bedeckt war. Die Höhenlage der Sulfatablagerungen würde damit sehr wahrscheinlich die Mindesthöhe dieses ehemaligen Sees widerspiegeln.
Bei dem dunklen Material etwas südlich der Sulfatschichten handelt es sich um Sicheldünen, deren Material vom Wind transportiert und später an diesen Orten deponiert wurde. Die Abbruchkante könnte dabei als eine Art Windfang gedient haben. Der dunkle Farbton der Dünen deutet darauf hin, dass diese möglicherweise aus Vulkanasche bestehen. Da der See zum Zeitpunkt der Bildung der Sicheldünen bereits verschwunden gewesen sein muss, müssen die Dünen jünger als die Sulfatablagerungen sein.
Die Farbansichten der hier gezeigten Bilder wurden aus dem senkrecht auf die Oberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- und rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die nebenstehende Schrägansicht wurde aus Bildern der Stereokanäle der HRSC berechnet. Bei dem Schwarzweißbild handelt es sich um eine Nadiraufnahme, welche von allen gewonnenen Aufnahmen die höchste Auflösung erreicht. Die höhenkodierte Bildkarte wurde aus dem digitalen Geländemodell abgeleitet, welches aus den Nadir- und Stereokanälen errechnet wurde.
Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Sonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin geleitet. Dieser hat auch die technische Konzeption dieser hochauflösenden Stereokamera entworfen. Das Wissenschaftsteam besteht aus 45 Co-Investigatoren von 32 Institutionen aus zehn Ländern. Die HRSC-Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung des PI Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Daten erfolgt am DLR. Die Darstellungen wurden vom Institut für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung erstellt.
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