Marsforschung und die Jagd nach Gletschern [Update]

Mit dem Projekt AMASE wird in arktischer Umgebung Analogforschung betrieben: Unter lebensfeindlichen und technisch erschwerten Bedingungen werden wissenschaftliche Daten gesammelt. Damit soll die zukünftige Erforschung des Sonnensystems optimiert werden.

Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: AMASE 2009, Spaceref.

Update: Wir haben einige Bilder von AMASE 2009 nachgereicht, die Sie weiter unten finden können.

Openstreetmap, CC BY-SA
Svalbard liegt mitten im Nordpolarmeer und ist rund 850 km von der norwegischen Küste entfernt
(Bild: Openstreetmap, CC BY-SA)

Mit modernen Methoden gelingt es heute, ein immer detailliertes Bild davon zu erlangen, wie Atmosphäre, Biosphäre mit den Ozeanen und der Geosphäre zusammenspielen. Die Planetologie hat sich von einer rein deskriptiven zu einer quantitativen Wissenschaft gewandelt. Wir verstehen immer besser, wie dynamische Prozesse auf der Erde ineinander greifen – und beginnen damit, dieses Wissen auch auf andere Körper des Sonnensystems zu übertragen.

Juan Diego Rodriguez-Blanco ist Mitglied des AMASE 2009-Teams, der diesjährigen Arctic Mars Analog Svalbard Expedition auf der Inselgruppe Svalbard. Ihr Ziel ist es, in einer lebensfeindlichen Umwelt unter widrigen Umständen wissenschaftliche Forschung zu betreiben und so etwas für den optimalen Betrieb von menschgemachten Erkundern zu lernen – auf dem Mars und anderswo im Sonnensystem. Manchmal geht es aber auch um rein menschliche Unzulänglichkeiten.

“Das Jagen von Eisbergen gehört hier zu den lustigsten Aktivitäten: Natürlich machen wir das aus streng wissenschaftlichen Gründen. Wir suchen Eisberge, in denen noch Sedimente eingeschlossen sind. Immerhin sind wir mitten in der Arktis und völlig umgeben von massiven Eiskappen. Wir sehen täglich dutzende Eisberge wobei die meisten von ihnen nur aus Blaueis bestehen. Manchmal treffen wir aber auf Exemplare mit eingeschlossenen Sedimentschichten – und die sehen wir uns genauer an.” Eisberge gehören zu den wichtigen Nährstofflieferanten mariner Hochseehabitate. Welche Zutaten sie zum Menü der Meeresbewohner beitragen, möchte sein Team herausfinden.

Blaues, schmutziges Eis

Karl Urban
Blaues, durch Sedimente “dreckiges” Eis treibt vom Gletscher Vatnajökull in Island aufs Meer.
(Bild: Karl Urban)

Blaueis entsteht, wenn frischer Schnee, der auf einen Gletscher fällt, durch die Auflast jüngerer Niederschläge allmählich zusammengedrückt wird. Dabei steigt der Druck an und das Eis bildet größere Kristalle aus, die neue physikalische Eigenschaften besitzen. Rote und gelbe Wellenlängen werden nun stärker absorbiert, wodurch das Eis für uns blau erscheint. Ein blauer Eisberg ist also ein Stück eines kalbenden Gletschers und entstand nicht aus kürzlich gefrorenem Meerwasser, wie viele andere Schollen im Nordpolarmeer. Damit ist er für Rodriguez-Blancos Gruppe interessant und wert, näher in Augenschein genommen zu werden.

Auf Gletschern landet nicht nur Schnee. Von den Hängen des Gletschertals rutschen Gerölllawinen hinab und verteilen ihre Fracht auf der vormals weißen Eisfläche. Im Sommer taut ein Teil der Oberfläche und legt ältere Sedimentlagen frei. So akkumuliert in regelmäßigen Abständen feinkörnige Gesteinsfracht im Gletschereis. Dort verbleibt sie vorerst, doch Eis ist immer in Bewegung. Eine durchschnittliche Gletscherzunge speit erst nach hunderten bis tausenden Jahren die Eispakete wieder aus, die einmal aus frischem Schnee entstanden. Endet der Gletscher im Meer – wie auf Svalbard, in Norwegen oder Alaska – driften die schmutzigen blauen Eisberge hinaus ins arktische Meer und geraten hier in die Hände von Juan Diego Rodriguez-Blanco.

“Die Aufgabe klingt einfach: Finde einen frisch gekalbten Eisberg, entscheide, ob es sicher ist, sich ihm zu nähern, nimm Proben, schmilz das Eis und separiere so Sedimentlage für Sedimentlage. Zurück im Labor nutzen wir verschiedene Techniken wie Mikroskopie, Röntgendiffraktometrie oder Infrarotspektroskopie, je nach spezifischer Fragestellung an die vorkommenden Eisenminerale”, schreibt Rodriguez-Blanco.

Die schwimmenden Eisschollen sind gefährliche Gebilde. Abhängig von Größe und Form kann selbst der geringste Auflastdruck dazu führen, dass er sich plötzlich komplett umdreht. Da sich das AMASE-Team auf Schlauchbooten nähert, gilt die Gefährdung für die gesamte Besatzung. Weil 90% der Masse eines Eisbergs unter Wasser liegt, ist es oft nicht leicht, seine Form und Masse zu bestimmen. “Erst wenn wir schmutziges blaues Eis sehen und uns sicher sind, dass keine Gefahr besteht, schicken wir eine Person, die vom Schlauchboot aus gesichert wird. Die muss mit ihrer Eisaxt schnell arbeiten, denn nach maximal fünf Minuten sollte sie zurückkehren”, so Juan Diego Rodriguez-Blanco.

Die gesammelten Proben werden zur weiteren Untersuchung ins Labor der Universität Leeds in England geschickt. Im Mittelpunkt der Forschung steht die Frage, in welchem Maße eisenreiche Sedimente zum Eisenbudget des arktischen Ozeans heute im Vergleich zur letzten Eiszeit beitragen. Eisen ist ein wichtiges Spurenelement und limitierender Faktor für die Bioproduktion mariner Habitate.

Mars an Erde
Ein Grundproblem stellt die Natur robotischer Missionen dar. Wie entscheidet ein Rover, welchen Stein er untersuchen soll? Fahrzeuge wie Spirit oder Opportunity können täglich hundert Meter zurücklegen. Aufnahmen ihrer Umgebung reisen ein bis zwei Stunden durchs Sonnensystem, bevor Wissenschaftler auf der Erde entscheiden können, welche Anweisungen sie zurückschicken. Ein Ziel von AMASE ist die Simulation solcher Situationen, um zukünftige Rovermissionen wie Exomars der ESA oder Sample Return-Missionen der NASA effizienter zu machen.
Svalbard eignet sich auch besonders gut für die Aufgabe, die spezielle Situation robotischer Planetenerkunder zu simulieren: Karge Hügel bilden eine lebensfeindliche Umgebung, die marsianischen Landschaften recht nahe kommt, mit einem Unterschied: Es ist wegen wild lebender Eisbären immer gut, ein Gewehr dabei zu haben.

Die Science Operation Work Group innerhalb des AMASE-Teams besteht aus zwei Teams. Während eine Gruppe im Feld unterwegs ist und Daten sammelt, befindet sich die andere im Basislager, um dort wissenschaftliche Fragestellungen zu diskutieren und daraus Anweisungen abzuleiten. Die Möglichkeiten des Basisteams sind begrenzt, denn sie können nur auf Fotos der Feldgruppe zurückgreifen und dürfen nicht direkt mit ihren Kollegen sprechen. Die Kommunikation ist – wie zwischen Erde und Mars – auf elementare Handlungsanweisungen begrenzt, die mit einiger Verzögerung zugestellt werden.

Mehr Berichte von AMASE 2009 gibt es in deren Blog bei der Planetary Society.

Juan Diego Rodriguez-Blanco
Impressionen der AMASE 2009-Mission auf Svalbard
(Bild: Juan Diego Rodriguez-Blanco)
Paulo Younse, NASA/JPL
Computergesteuerte Probennahme mit dem Testrover Athena
(Bild: Paulo Younse, NASA/JPL)
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