NASA beginnt mit Grundlagenforschung zum E-Sail

Mit Sonnenwind durchs All segeln. Von der Theorie bis zur Anwendung ist es da noch ein weiter Weg. Immerhin hat nun die NASA auf der Suche nach neuen Antrieben für Flüge an den Rand des Sonnensystems das Konzept eines E-Sails in ihr Forschungsprogramm aufgenommen.

Erstellt von Roland Rischer. Quelle: NASA, Raumcon

Das Ausbringen langer Drähte in der Schwerelosigkeit ist nicht trivial. Ob die Realität später mal so perfekt aussehen wird, wie in dieser künstlerischen Impression eines E-Sails Raumflugkörpers, sei dahingestellt.
(Bild: NASA/MSFC)
Das Ausbringen langer Drähte in der Schwerelosigkeit
ist nicht trivial. Ob die Realität später mal so perfekt
aussehen wird, wie in dieser künstlerischen Impression
eines E-Sails Raumflugkörpers, sei dahingestellt.
(Bild: NASA/MSFC)

Im Marshall Space Flight Center (MSFC) in Huntsville, Alabama, hat man mit Versuchen zur E-Sail-Technik im Weltraum begonnen. Überlegungen, die geladenen Plasmateilchen im Sonnenwind zur Fortbewegung im interplanetaren Raum zu nutzen, sind nicht neu. Mit der NASA tritt nun ein Mitspieler an, der zwar auf erheblich größere finanzielle und technische Ressourcen zurückgreifen kann, aber man bleibt zumindest in der Anfangsphase bescheiden – 500.000 US-Dollar sind für erste Laborexperimente budgetiert. Die Tests in einer Plasma-Kammer am MSFC dienen der Modellierung eines Sondenantriebs mit dem Namen „Heliopause Electrostatic Rapid Transit System“ oder kurz HERTS. Der Name ist Programm, das System soll innerhalb der Heliopause, also innerhalb des Wirkungsbereiches des Sonnenwindes, eine schnelle Durchquerung des Sonnensystems durch Nutzung elektrostatischer Kräfte im Sonnenwind ermöglichen.

„Die Sonne verströmt mit dem Sonnenwind unter anderem auch Protonen und Elektronen mit sehr hoher Geschwindigkeit – 400 bis 750 Kilometer pro Sekunde,“ erklärt Bruce Wiegmann, Ingenieur im MSFC-Büro für fortgeschrittene Anwendungen im Weltraum (Advanced Concepts Office) und Leiter des HERTS E-Sail-Projektes. „Das E-Sail würde die Protonen für den Vortrieb einer Sonde nutzen.“ Das Konzept sieht vor, von der Sonde im Mittelpunkt ausgehend zehn bis zwanzig Aluminiumdrähte sternförmig auszubringen. Die Drähte werden elektrisch positiv geladen und stoßen damit die Protonen im Sonnenwind ab. Dadurch entsteht eine Kraftwirkung, die das Raumfahrzeug antreiben soll. Jeder Draht ist einen Millimeter dick und 20 Kilometer lang. Die Sonde soll mit einer Umdrehung pro Stunde rotieren, um so die Drähte durch die Fliehkraft in Position zu bringen und zu halten.

In den jetzt aufgenommenen Versuchen wird die Häufigkeit, mit der Protonen und Elektronen auf den positiv geladenen Draht treffen, untersucht. In einer Plasma-Kammer, in der Bauteile der Umweltsituation in Sonnennähe ausgesetzt werden können, wird ein rostfreier Stahldraht an Stelle eines Aluminiumdrahtes einer Protonen- und Elektronenstrahlung ausgesetzt. Der Stahldraht ist gegenüber dem intensiven Beschuss in der Plasma-Kammer resistenter, lässt aber Rückschlüsse auf die Effizienz der Aluminiumdrähte im Weltraum zu.

Plasmakammer (High Intensity Solar Environment Test System) im Marshall Space Flight Center. Hier werden die theoretischen Überlegungen zum E-Sail zunächst einmal modellhaft überprüft.
(Bild: NASA/MSFC/Emmett Given)
Plasmakammer (High Intensity Solar Environment
Test System) im Marshall Space Flight Center. Hier
werden die theoretischen Überlegungen zum
E-Sail zunächst einmal modellhaft überprüft.
(Bild: NASA/MSFC/Emmett Given)

Die Forscher messen in der Plasma-Kammer die Ablenkung der Protonen durch den geladenen Draht. Mit den Versuchen werden zunächst die Modellergebnisse zum E-Sail-Abstoßungseffekt im kleinen Maßstab kontrolliert und verbessert. Dann wird das Ganze auf eine reale Größenordnung für eine künftige Sonde hochskaliert. Der positiv geladen Draht zieht natürlich auch negativ geladene Elektronen an. Ohne Gegenmaßnahmen würde der Draht nach relativ kurzer Zeit seine positive Ladung verlieren. Die Versuche in der Plasma-Kammer dienen auch dazu, das Ausmaß der Elektroneneinwirkung zu ermitteln und eine ausreichend dimensionierte Elektronenkanone (vermutlich ein Elektronenemitter wie in Kathodenstrahlröhren) zur Entladung zu konzipieren.

Das E-Sail-Konzept wurde von Dr. Pekka Janhunen vom Meterologischen Institut in Finnland entwickelt. Die bisherigen Versuche bewegten sich auf einem niedrigen technologischen Anspruchsniveau. Wenn die Ergebnisse aus der Plasma-Kammer, der Modellhochrechnungen und auch die Entwicklung eines zuverlässigen Abspulmechanismus zur Ausbringung der Drähte nach der jetzt für zwei Jahre angesetzten Versuchsreihe positiv ausfallen, bleibt nach Aussagen der NASA noch Entwicklungsarbeit für mindesten ein Jahrzehnt, bevor das Antriebskonzept tatsächlich umgesetzt werden kann.

In den USA wiesen Sonnensystemforscher bereits 2012 darauf hin, dass neue, fortschrittliche Antriebskonzepte für die weitere Erforschung des Sonnensystems bis in seine Randbereiche erforderlich sind. Die HERTS-Versuche sind eine Antwort darauf. Im Unterschied zu einem Sonnensegel, dessen Vortriebskraft auf dem Photonendruck beruht, soll ein E-Sail erheblich weitere Reisen im Sonnensystem ermöglichen. Auch wenn der Photonendruck um den Faktor 500 größer ist als der Protonendruck, wird ein Sonnensegel am Asteroidengürtel, also fünf Astronomische Einheiten (ein AU gleich Abstand Erde-Sonne, also rd. 149 Mio. km) von der Sonne entfernt,seine beschleunigende Wirkung verlieren. Ein E-Sail, glaubt Wiegmann, kann auch dort noch an Geschwindigkeit zulegen: „Mit dem beständigen Protonenfluss und entsprechender Fläche kann ein E-Sail bis in 16 bis 20 AU Entfernung von der Sonne kontinuierlich beschleunigen. Das ist dreimal weiter entfernt als bei einem Sonnensegel.“

Die Elektronenkanone (rot) ist essentiell zur Aufrechterhaltung der positiven Ladung im E-Sail.
(Bild: NASA)
Die Elektronenkanone (rot) ist essentiell zur Aufrechterhaltung der
positiven Ladung im E-Sail.
(Bild: NASA)

Es wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber die Ausführungen legen den Schluss nahe, dass die radialen E-Sail-Drähte langsam ausgefahren werden. In Erdnähe (1 AU) würde eine effektive Fläche von rund 600 Quadratkilometer, entspricht einer Drahtlänge von knapp 14 Kilometern, ausreichen. Bis zum Asteroidengürtel werden die Drähte dann auf 20 Kilometer verlängert, dies entspricht einer Verdoppelung der Fläche auf etwas über 1.200 Quadratkilometer. Die längere kontinuierliche Beschleunigung führt zu erheblich höheren Geschwindigkeiten gegenüber allen anderen bekannten Antrieben. Zum Vergleich, die 1977 gestartete Sonde Voyager 1 benötigte 35 Jahre, um die Grenze der Heliopause in 121 AU Entfernung zu erreichen. Ein E-Sail könnte die Reisezeit auf unter ein Drittel senken. Wiegmann: „Das würde den wissenschaftlichen Nutzen solcher Missionen vervielfachen.“

Die Konzeptstudien der NASA zum E-Sail laufen auf ein sehr flexibles Design hinaus. Die Länge wie auch die Zahl der Drähte und die anliegende Spannung können an das Missionsvorhaben (innere Planeten, äußere Planeten oder darüber hinaus) leicht angepasst werden. Die Steuerung kann über unterschiedliche Feldstärken an einzelnen Drähten oder ganzen Segmenten der Kreisfläche erfolgen, die den Anstellwinkel im Protonenstrom verändern.

Aktuell gab beziehungsweise gibt es zwei E-Sail-Experimente. Der 2013 gestartete estnische Minisatellit ESTCube-1 hatte einen zehn Meter langen Draht für den Nachweis des Protoneneffekts auf ein “E-Sail” an Bord. Der Abspulmechanismus für den Draht scheint jedoch nicht wie geplant funktioniert zu haben. Ein Defekt im Antriebssystem oder im Abspulmechanismus sowie eine nicht gelöste Sicherheitsarretierung sind mögliche Ursachen.

Im Mai 2016 ist nach mehreren Verschiebungen der Start des finnischen 3er-Cubesats Aalto-1 auf einer Falcon 9 von SpaceX vorgesehen. Aalto-1 führt einen erheblich längeren Draht mit sich und soll die Nutzung des E-Sail-Effekts für ein Deorbiting demonstrieren.

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