Die Vorgänge über und unter der Atmosphäre des Saturnmondes sind weiterhin völlig ungeklärt. Woher kommen die die Atmosphäre speisenden Gase?
Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: NASA.
Titan ist eingehüllt in einem dicken Umhang aus Stickstoff und (gesättigten) Kohlenwasserstoffen, wie beispielsweise Methan, der die Oberfläche des Mondes dauerhaft visuellen Beobachtungen entzieht. Die spezielle Zusammensetzung verleiht der Titanatmosphäre vermutlich eine gewisse Verwandtschaft mit der der frühen Erde, als auch hier bei uns Methan in großen Mengen, und Sauerstoff nur in Spuren in der Atmosphäre vorkamen. Zu einer Zeit also, in der sich das Leben erst noch anschicken sollte, von der Erde endgültig Besitz zu ergreifen.
Auf der Erde lebten bis vor 2,4 Mrd. Jahren ausschließlich primitive Mikroorganismen, die große Mengen Methan in die junge Atmosphäre abgaben. Man glaubt heute zu wissen, dass ein Nickelrückgang die Bakterienpopulationen in den Urozeanen zusammenbrechen ließ, was die Bühne für die Anreicherung von Sauerstoff bereitet haben könnte. Denn methanbildende Bakterien benötigen zur Herstellung dreier lebenswichtiger Enzyme Nickel, Sauerstoffbildner (wie Algen oder Cyanobakterien) verwenden hingegen verschiedene Enzyme, weshalb sie von dem zurückgehenden Nickelgehalt weniger betroffen waren.
Neben der Frage nach der möglicherweise ähnlichen Zusammensetzung der jeweiligen Atmosphären stellt sich verstärkt die Frage, warum der Saturnsatellit seine Atmosphäre nicht schon längst verloren hat. Denn ähnlich wie unser äußerer Nachbar, der Mars, generiert Titan ebenfalls kein ausgeprägtes eigenes Magnetfeld, welches die Atmosphäre davor schützt, vom Sonnenwind fortgeblasen zu werden. Als Sonnenwind bezeichnet man den Strom geladener Teilchen, der von der Sonne ins All abströmt. Durch diese Abgabe von Partikeln verliert die Sonne pro Sekunde etwa eine Million Tonnen ihrer Masse. Er besteht hauptsächlich aus Protonen und Elektronen, sowie aus Heliumkernen und erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 800 km/s, was immerhin fast drei Millionen Kilometern pro Stunde entspricht. Dieser Gewalt hält eine schutzlose Atmosphäre wie die des Titans unter normalen Umständen nicht stand.
Doch wenn man etwas selber nicht besitzt, muss man es sich eben besorgen, so zeigt es nicht nur das wahre Leben, sondern offensichtlich handelt nach dieser Maxime auch Titan. Denn etwa 95% der Zeit eines Orbits befindet er sich im direkten Einflussbereich der Magnetosphäre seines Mutterplaneten; einer Region aus ionisiertem Gas, oder Plasma, welches den Planeten umgibt, und dessen scharfe äußere Begrenzung Magnetopause genannt wird. Die innere Begrenzung zur neutralen Atmosphäre bildet die Ionosphäre. Der Ursprung des Plasmas lässt sich bis zu den Geysiren des Schwestermondes Enceladus zurückverfolgen. Die Partikel werden in der Südpolarregion des Enceladus durch Risse in der eisigen Oberfläche (den Tiger-Stripes) in den Raum geschleudert. Durch den starken Einfluss der Saturnmagnetosphäre auf die Titanatmosphäre ist es bis heute noch nicht eindeutig gelungen, ein eigenes Magnetfeld des Mondes nachzuweisen, bzw. die Stärke eines solchen (sollte es tatsächlich existieren) zu bestimmen. Große Hoffnungen, die anstehenden Fragen zu klären, lagen und liegen daher auf dem fünfprozentigen Zeitfenster, in dem sich der Mond außerhalb der Planetenmagnetosphäre aufhält.
Doch es scheint, als machte man die Rechnung ohne den Wirt, dann nach zwischenzeitlich mehr als 31 nahen Vorbeiflügen, tauchte Cassini Mitte 2007 in die oberen Atmosphärenschichten des Mondes ein, nachdem sich dieser außerhalb des Einflussbereiches der Saturnmagnetosphäre befand. Die Datenauswertungen zogen sich über 15 Monate hin und brachten eine Überraschung mit sich: Offenbar verfügt Titans Atmosphäre über ein „Gedächtnis“! Mehr als drei Stunden, nachdem der Mond die Magnetosphäre des Saturns verlassen hatte, konnte noch immer eine starke Restmagnetisierung – eine Art Memory-Effekt – der Mondatmosphäre nachgewiesen werden. Diese temporäre Magnetisierung verursacht die Bildung einer Reihe von Magnetfeldlinien, die die Atmosphäre für die Dauer, in der sich der Mond außerhalb der Magnetosphäre befindet, vor substanziellen Verlusten durch den Sonnenwindeinfluss schützen. Ein weiterer Anlauf, dem inneren Magnetfeld des Mondes genauer auf die Spur zu kommen, soll Mitte diesen Jahres unternommen werden. Da zu Zeiten des Äquinoktikums der Sonnenwind in einem anderen Winkel auf den Planeten treffen wird, verändert dies auch die Ausrichtung des durch Saturns Magnetosphäre induzierten magnetischen Feldes in der Atmosphäre des Titan. Durch Vergleich der bisherigen mit den zu erwartenden Daten erhofft man sich, die Stärke eines ggf. vorhandenen Mondmagnetfeldes ermitteln zu können.
Überhaupt weiß man noch immer ausnehmend wenig von den Vorgängen, die sich dicht unter der krustigen -178°C (95 K) kalten Mondoberfläche abspielen. Und solange dem so ist, hat auch die Diskussionsgrundlage eines unterirdischen Ozeans auf Titan – der sich aus Messungen der Spin-Rate des Mondes ableiten ließe – durchaus noch seine Daseinsberechtigung, so ungewöhnlich sich diese Idee zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht auch ausnehmen mag. Als ein weiteres Indiz für das Vorhandensein eines solchen Ozeans wird die Aufzeichnung rätselhafter Radiosignale durch Huygens während ihres Abstieges zur Mondoberfläche gewertet. Nun könnte man durchaus zu Recht einwenden, dass die Herstellung einer Verbindung von „rätselhaften Signalen“ zu einem unterirdischen Ozean an sich schon ein rätselhaftes, wenn nicht sogar höchst fragwürdiges Vorgehen darstellt, jedoch vermögen die Befürworter dieser Sichtweise ihre These mit einigem Substanziellem zu unterfüttern. Die Signale konnten nur in einem extrem engen, niederfrequenten Bandbereich um 36 Hertz aufgezeichnet werden. Seit 2005 nun zerbricht man sich über ihre Natur die Köpfe. Der derzeit wohl beste Erklärungsansatz kann relativ leicht auf der Erde nachempfunden werden, setzt aber zugleich auch einiges voraus. Blitze produzieren auf der Erde ein ähnliches Niederfrequenzsignal, die Radiowellen werden in die oberen Atmosphärenschichten und von dort wieder zurück reflektiert. Dieser Echoeffekt verstärkt einige Frequenzen und überlagert andere, mit dem Ergebnis, dass sich Signale in präzise definierten Frequenzen beobachten lassen, sehr ähnlich zu dem, was 2005 durch Huygens aufgezeichnet wurde. Titans Äußeres ist ein sehr schlechter Reflektor solcher Radiowellen. Es muss also ein sehr viel besserer Reflektor existieren, um den beobachteten Effekt zu erklären. Ein Ozean flüssigen Wassers unterhalb der Oberfläche wäre ideal dazu geeignet, wie Modellrechnungen zeigten. Die gesamte Annahme steht und fällt natürlich mit dem Auslöser der Frequenzsignale, den Blitzen.
Ganz besonders erschwerend muss in diesem Zusammenhang natürlich erwähnt werden, dass ein Blitzereignis auf Titan bisher nicht dokumentiert wurde, man also nicht sicher sein kann, ob es auf dem Mond auch tatsächlich zu solchen Energieentladungen kommt. Dazu weist das aufgezeichnete Titansignal einen 10-mal höheren Wert auf, als er durch diese Art Echoeffekt jemals auf der Erde beobachtet werden konnte. Immerhin konnte durch Laborexperimente an einem 1:1-Modell zwischenzeitlich die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Signal um durch Interferenzen mit anderen Sondenteilen verursachte Störungen handelt. Und so verhelfen die derzeitigen Diskussionen einer im Jahre 2000 von Andrew Fortes veröffentlichten Studie, wonach durchaus Leben in einem unterirdischen Ozean auf dem gigantischen Mond existieren könnte, unverhofft zu neuem Auftrieb.
Raumcon