Das erst kürzlich außer Betrieb gegangene europäische Weltraumteleskop Herschel hat, in Kombination mit Beobachtungen des US-amerikanisch geführten South Pole Telescope (SPT) in der Antarktis, eine potentielle neue Möglichkeit zur Vermessung extrem früher Zustände des Universums erfolgreich erprobt.
Ein Beitrag von Michael Clormann. Quelle: ESA, pole.uchicago.edu.
Das ESA-Teleskop Herschel war erst im Juni diesen Jahres, nach vierjähriger Missionsdauer, von seiner Position im Lagrange-Punkt 2 in eine Friedhofsbahn um die Sonne eingeschossen worden, nachdem im April die mitgeführten Vorräte an Kühlmittel für die hochempfindlichen Instrumente endgültig zur Neige gegangen waren.
Die Auswertung der bis dahin gesammelten und zur Erde übertragenen Daten hat, wie Anfang dieser Woche bekannt wurde, erneut ein ungewöhnlich faszinierendes Resultat erbracht: Die Möglichkeit zur Betrachtung des Universums in einem Zustand noch vor dem ersten Sichtbarwerden elektromagnetischer Strahlung.
Die bisherige Grenze empirischer astronomischer Erkenntnis über die Frühzeit des Universums stellte ein Zeitpunkt etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall dar. Ab diesem Moment, in kosmischen Maßstäben nur einen Wimpernschlag nach ihrer eigentlichen Entstehung, war die kosmische „Ursuppe“ bereits so weit abgekühlt, dass sie für die dann schon vorhandene Strahlung durchlässig wurde. Dieses erste Aufleuchten des entstehenden Universums kennen wir heute als schwache kosmische Hintergrundstrahlung (CMB) mit einer Temperatur von etwas mehr als 2,7 Kelvin. Die ebenfalls europäische Teleskopmission Planck hatte im März 2013 die bis dato genauste Gesamtkartierung der Hintergrundstrahlung und ihrer örtlich minimal ungleich verteilten Intensität abgeschlossen. Das für die jüngste Forschung zusätzlich eingesetzte, erdgestützte South Pole Telescope (SPT), betrieben von einem Verbund amerikanischer Universitäten und der National Science Foundation, ist ebenfalls explizit auf die umfassende Kartierung des CMB im (Sub-)Millimeterspektrum spezialisiert.
Um Informationen über die Zustände in der Phase der sogenannten „Inflation“, also jener sehr aktiven Zeitspanne vor der ausreichenden Abkühlung und damit direkten Sichtbarkeit des Kosmos, zu erlangen, hatte man sich nun unter Astronomen für dieses Forschungsprojekt einen besonderen Kniff einfallen lassen: Es wurden erstmalig großflächige Aufnahmen des CMB durch das SPT mit Herschel-Daten im Infrarotspektrum über die Gravitationsverteilung des bekannten Universums zusammengeführt. Das antarktische 10-Meter Teleskop zeichnete dabei insbesondere bestimmte polarisierte Anteile der Hintergrundstrahlung (B-modes) mit seinem Instrument SPTpol auf. Von diesen B-modes ist bekannt, dass sie etwa durch den Einfluss von Gravitationslinsen auf den CMB im post-inflationären Zustand des Universums entstehen konnten. Polarisierte Anteile diesen Ursprungs wurden nun vom SPT erfasst und für die gerade vorgelegten Ergebnisse mit Hilfe von Herschels Daten über mögliche Quellen des Gravitationslinsen-Effekts ausgewertet. Mit diesem Verfahren gelingt offenbar nicht nur das effiziente Aufspüren von B-modes, sondern in umgekehrter Weise auch die Lokalisation sonst nicht auszumachender Gravitationsquellen wie Dunkler Materie.
Für den Blick noch weiter zurück in die Vergangenheit des Kosmos werden allerdings B-modes mit anderer Herkunft, sogenannte „primordiale B-modes“ relevant. Sie sind von noch während der Inflation entstandenen Gravitationseffekten, die Astrophysiker sprechen von „Gravitationswellen“, beeinflusst und damit Träger von Informationen aus einer bisher unerreichbar geglaubten Vergangenheit. Obwohl diese „Subspezies“ von B-modes der Hintergrundstrahlung nochmals schwerer fassbar ist als jene mit post-inflationärem Ursprung, haben Herschel und das SPT mit ihrer Beobachtung des letzteren Typs nachgewiesen, dass eine sensorische Erfassung der polarisierten Anteile des CMB grundsätzlich möglich ist.
Bereits im kommenden Jahr soll Planck gewissermaßen posthum, das Teleskop ist inzwischen auch inaktiv, mit der Veröffentlichung neuen Materials in dieser Frage nachlegen können, so hoffen die Forscher.
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