Nach mehr als drei Jahren bahnbrechender Beobachtungen des kalten Universums hat das ESA-Weltraumteleskop Herschel am 29. April 2013 seinen Kühlmittelvorrat aufgebraucht.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESA. Vertont von Peter Rittinger.
Das Weltraumteleskop Herschel wurde am 14. Mai 2009 an Bord einer Rakete vom Typ Ariane 5 gestartet. Mit einem Hauptspiegel-Durchmesser von 3,5 Metern handelt es sich um das bisher größte und leistungsfähigste Infrarot-Weltraumteleskop. Seine beiden Kameras beziehungsweise abbildenden Spektrometer, die Instrumente PACS (kurz für „Photoconductor Array Camera and Spectrometer“) und SPIRE (kurz für „Spectral and Photometric Imaging Receiver“), deckten Wellenlängen zwischen 55 und 670 Mikrometer ab. Ein drittes Instrument, das sehr hoch auflösende Spektrometer HIFI, deckte die Bandbreiten von 157 bis 212 Mikrometer und 240 bis 625 Mikrometer ab.
Alle drei Instrumente befanden sich in einem mit flüssigem Helium auf eine Temperatur von -271 Grad Celsius gekühlten Kryostat. Zu Missionsbeginn verfügte das Weltraumteleskop über einen Vorrat von 2.300 Liter Flüssighelium, welches sich seit der letzten Tankauffüllung einen Tag vor dem Missionsstart langsam, aber unaufhaltsam verflüchtigt hat. Die stetig erfolgende Verdunstung des Flüssigheliums war die Voraussetzung für die Kühlung der drei Instrumente auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt. Diese tiefen Temperaturen sind notwendig, damit die Detektoren der Instrumente das kalte Universum überhaupt im Bereich der Infrarotstrahlung beobachten können. Bei höheren Temperaturen würde die aus dem Weltall stammende Strahlung von der Eigenwärme und dem Rauschen der Instrumente überlagert.
Bei dem täglichen Funkkontakt zwischen dem Welktraumteleskop und der zuständigen Bodenstation in Westaustralien wurde am 29. April 2013 bei allen drei Instrumenten ein deutlicher Temperaturanstieg festgestellt. Dies, so die Europäische Weltraumagentur ESA, ist darauf zurückzuführen, dass der Kühlmittelvorrat jetzt endgültig aufgebraucht ist.
„Herschel hat alle Erwartungen übertroffen und uns eine unglaubliche Fülle an Daten beschert, mit deren Auswertung die Astronomen noch mehrere Jahre lang beschäftigt sein werden“, so Prof. Alvaro Giménez, ESA-Direktor für Wissenschaft und robotische Exploration.
Während seiner Missionszeit hat das Weltraumteleskop Herschel über 35.000 wissenschaftliche Beobachtungen durchführen können und dabei mehr als 25.000 Stunden an wissenschaftlichen Daten aus mehr als 600 Beobachtungsprogrammen zusammengestellt. Hinzu kommen noch weitere 2.000 Stunden für Kalibrierungsbeobachtungen. Der im Rahmen dieser Beobachtungen gewonnene riesige Datensatz wird im Europäischen Weltraumastronomiezentrum (ESAC) bei Madrid verwaltet. Dieses Datenarchiv bildet das eigentliche Vermächtnis der Mission. Von der Auswertung versprechen sich die Wissenschaftler noch wesentlich mehr Entdeckungen, als dies in dem Einsatzzeitraum von Herschel möglich war.
„Herschel hat uns ein neues Bild des bisher verborgenen Teils des Universums präsentiert und bisher nicht beobachtbare Prozesse bei der Entstehung von Sternen und Galaxien aufgezeigt. Seine Daten ermöglichen uns auch die Untersuchung von Wasservorkommen im All, sei es in Molekülwolken oder neugeborenen Sternen und ihren protoplanetaren Scheiben und Kometengürteln“, so Dr. Göran Pilbratt, ESA-Projektwissenschaftler für Herschel.
Blick auf die Geburt der Sterne
Herschels atemberaubende Bilder ineinander verwobener Staub- und Gasfilamente in unserer Milchstraße sind eine Art illustrierte Geschichte der Sternenentstehung. Diese einzigartigen Beobachtungen im langwelligen Infrarot haben den Astronomen eine neue Vorstellung davon gegeben, wie Turbulenzen Gas im interstellaren Raum aufwirbeln und so filament- und netzartige Strukturen innerhalb kalter Molekülwolken entstehen lassen. Bei entsprechenden Umgebungsbedingungen gewinnt dann die Schwerkraft die Überhand und zerteilt die Globulen in kompakte Kerne. Tief eingebettet darin befinden sich die Protosterne, die „Embryonen“ neu entstehender Sonnen, welche den sie umgebenden Staub auf gerade einmal ein paar Grad über dem absoluten Nullpunkt „aufwärmen“ und somit Herschels äußerst empfindlichen Instrumenten ihre Existenz verraten haben.
Auf den Spuren des Wassers
In den ersten Jahrmillionen im Leben neugeborener Sterne kann in der sie umgebenden dichten Gas- und Staubscheibe die Entstehung von Planeten beobachtet werden. Herschel hat dabei insbesondere nach Wasser geforscht, welches für die Entstehung von Leben in der uns bekannten Form von entscheidender Bedeutung ist, und dessen Vorkommen sowohl in den die Sternenembryos umgebenden Wolken als auch in protoplanetaren Scheiben erfasst. In diesen Scheiben konnte das Weltraumteleskop Wasserdampfvorkommen in der Größenordnung Tausender Erdozeane feststellen, wobei die Eisvorkommen auf Staubkörnern und Kometen noch um einiges höher ausfielen.
Innerhalb unseres Sonnensystems konnte Herschel außerdem die Zusammensetzung des Wassereises des Kometen Hartley-2 analysieren, dessen Isotopenverteilung praktisch dieselbe ist wie die des Wassers auf unserem Heimatplaneten. Diese Ergebnisse sind neuer Stoff für die Debatte, wie viel Wasser in der Frühzeit des Sonnensystems durch Kometeneinschläge auf die Erde verfrachtet wurde. Zusammen mit den Beobachtungen riesiger Kometengürtel anderer Sterne erhoffen sich die Astronomen nun eine Antwort auf die Frage, ob ein ähnlicher Prozess auch in anderen Planetensystemen stattfinden könnte.
Weit entfernte Galaxien
Herschel hat auch das Wissen der Menschheit über die Entstehung von Sternen erweitert, und zwar in Größenordnungen, welche tief in den kosmischen Raum hinein- und weit in die Zeit zurückreichenden. Bei der Beobachtung weit entfernter Galaxien konnte das Weltraumteleskop selbst in der Frühzeit des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren vielerorts hohe „Sternentstehungsraten“ feststellen. Dabei wurden jährlich Hunderte bis Tausende neuer Sterne von der Masse unserer Sonne beobachtet. Im Vergleich dazu kommt unsere Milchstraße im Schnitt lediglich auf einen neuen sonnenähnlichen Stern pro Jahr.
Die Frage, wie Galaxien in den ersten Jahrmilliarden des Universums Sterne in solch riesigen Mengen hervorbringen konnten, ist für Wissenschaftler, die sich mit der Entstehung und Entwicklung von Galaxien beschäftigen, weiterhin ein Rätsel. Die durch Herschel gewonnenen Daten lassen vermuten, dass den Galaxien in der Frühzeit des Universums größere Gasmengen zur Verfügung standen, was diese hohen Wachstumsraten selbst ohne Kollisionen zwischen Galaxien ermöglichte, welche normalerweise Voraussetzung für die Auslösung solch explosionsartiger Vermehrungen notwendig sind.
„Auch wenn Herschel keine Messungen mehr vornehmen kann, ist dies noch lange nicht das Ende der Mission: Uns steht noch eine Fülle an Entdeckungen bevor“, so Dr. Pilbratt. „Wir werden unsere Arbeit jetzt darauf konzentrieren, die Daten in Form möglichst perfekter Karten, Spektren und verschiedener Kataloge zugänglich zu machen, um so die Astronomen bei ihren laufenden und künftigen Arbeiten zu unterstützen. Natürlich sind wir betrübt darüber, dass die Beobachtungen nun ein Ende haben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle abschließend sagen: Danke, Herschel!“
„Herschels revolutionäre wissenschaftliche Ausbeute verdanken die Astronomen nicht zuletzt der hervorragenden Arbeit europäischer Unternehmen, Einrichtungen und Hochschulen bei Entwicklung, Bau und Betrieb dieses Weltraumobservatoriums und seiner Instrumente“, so Dr. Thomas Passvogel, ESA-Projektleiter für die Weltraumteleskope Herschel und Planck. Die Mission brachte auch eine Reihe technologischer Fortschritte mit sich, die künftigen Weltraummissionen und einer möglichen Nutzung von Raumfahrttechnologien in raumfahrtfremden Bereichen zugute kommen können. Genannt seien hier die Entwicklung fortschrittlicher kryotechnischer Systeme, der Bau des bisher größten Weltraumteleskopspiegels und der Einsatz der empfindlichsten direkten Sensoren für Licht im langwelligen Infrarot bis in den Millimeterbereich. Die Herstellungsmethoden für Herschel kommen bereits bei der nächsten Generation von Weltraummissionen der ESA zum Einsatz, unter anderem bei der Mission GAIA.
Das Weltraumteleskop wird noch für einige Zeit mit seinen Bodenstationen in Funkkontakt bleiben, wobei noch eine Reihe technischer Tests durchgeführt werden sollen. Den Flugbetrieb gewährleisten die ESA-Teams am Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESA/ESOC in Darmstadt. Nach einer abschließenden Testphase soll das Teleskop dann im Mai 2013 auf eine längerfristig stabile Umlaufbahn um die Sonne befördert werden.
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