Aus zwei mach sechs!

Langes Beobachten führt zu viel Wissen und Überraschungen sind bei Altbekannten ausgeschlossen. Dass zumindest der letzte Teil dieser Binsenweisheit nicht immer so zutreffen mag, zeigen aktuell Alcor und Mizar, Mehrfachsysteme im Großen Wagen.

Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: University of Rochester; American Natural History Museum, New York, NY;USA; Lars-C. Depka. Vertont von Peter Rittinger.

Selten kommt es vor, dass ein Teil eines Sternbildes kulturübergreifend bekannter ist, als das Sternbild selber. Der Große Wagen, im englischen Sprachraum „Big Dipper“, ist kein eigentliches Sternbild im engeren Sinne, sondern lediglich das charakteristisches Muster eines Teilsternbildes am Himmel, was fachsprachlich auch als „Asterismus“ verstanden wird. Die markanten Formen des Deichselwagens beschreiben sieben der hellsten und auch mit bloßem Auge gut wahrnehmbaren Sterne des Großen Bären (Ursa Major). Die Körper Alioth, Mizar und Benetnasch bilden in diesem Zusammenhang die Deichsel des Wagens.
Zu der Bekanntheit des Teilbildes trägt nicht nur seine lange, bis in die Antike zurückreichende Geschichte bei – in der ursprünglichen griechischen Mythologie symbolisieren die Deichselsterne ewige Jugend verleihende Äpfel – und fanden insofern schon als eines der 48 durch Ptolemäus (griechischer Mathematiker, Astronom und Philosoph, um 100 bis etwa 175) beschriebenen Sternbilder Erwähnung – sondern auch seine in Teilen Mittel- und Nordeuropas zirkumpolare (d. h. die Himmelsobjekte gehen, da ihre Kreisbahn vollständig oberhalb des Horizonts verläuft, niemals unter) Ausrichtung bei.

Im Teilsternbild des Großen Wagens bilden Alcor und Mizar den mittlern Bereich der Deichsel und schon zu Galileos Zeiten war Mizar als Binärsystem bekannt, nachdem es Galileos Protegé Castelli bereits 1617 gelang, die Komponenten A und B visuell mit Hilfe der seinerzeit noch neuen Erfindung des Teleskops zu trennen.

1890 dann machte Mizar A wieder von sich Reden, als man mit ihm dem ersten mittels spektroskopischen Untersuchungen identifizierten Doppelstern begegnete. Mizar hatte also Zuwachs bekommen: Zu Zeiten Galileos noch ein Binärsystem mit den Komponenten A und B, wurde die Komponente A Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls zum Doppelstern. (Mizar Aa und Mizar Ab mit lediglich 0,29 AE Abstand untereinander.) Doch damit nicht genug. Ebenfalls durch Spektroskopie gelang dann 1908 der Nachweis, dass es sich bei Komponente B gleichwohl um ein Binärsystem handelte, was die Mizar-Gruppe auf nunmehr vier Mitglieder anwachsen lies, Mizar Ba und Bb mit einem Abstand von 3,12 AE: Das erste bekannte Fünffach-System der Geschichte, da Alcor desgleichen als physisch assoziierter Angehöriger zur Gruppe eingestuft wurde.

University of Rochester
Alcor (in der Mitte abgeblendet) und sein neu entdeckter Begleiter Alcor B
(Bild: University of Rochester)

Den jüngsten Familienzuwachs beschert nun überraschenderweise Alcor, bis zum heutigen Tage zwar als physisch zur Mizar-Gruppe zählendes, allerdings auch eines der am häufigsten analysierten Einzelobjekte des gesamten Himmels, angesehen. Tatsächlich muss auch der 81 Lichtjahre (ly) entfernte und als relativ heißer der Spektralklasse A5 angehörende Saidak, wie Alcor bisweilen auch genannt wird, als gravitativ an das Mizarsystem gebundenes Binärsystem klassifiziert werden, und bildet demzufolge nach dem 50 ly entfernten Castor (Kastor)-System in den Zwillingen das zweitnächste bekannte Sechsfach-System in unserer kosmischen Nachbarschaft.

Bei der Entdeckung das Alcor-Begleiters stand eindeutig „Kommissar Zufall“ Pate, denn Hintergrund des Fundes war zunächst die Planetensuche bzw. die Verifizierung eines neuen Ansatzes zur algorithmischen Datenextraktion zum belastbaren Nachweis von engorbitalen extrasolaren Planeten um Sterne in unmittelbarer Sonnenumgebung. Was man allerdings im Großen Wagen fand, war kein Planet, sondern der unbekannte kühle und leuchtschwache M-Klasse-Zwergstern-Begleiter des Alcor, der auch gleichzeitig durch seinen gravitativen Einfluss die Erklärung der schon lange bekannten geringfügigen Abweichungen in der Eigenbewegung des Alcor liefert.

Sicherlich war dies nicht die letzte genaue Prüfung der Mizar-Gruppe. Sieht man sich nämlich die im Sichtbaren gewonnene Aufnahme des jetzt gefundenen Alcor B an, fällt die nicht ganz perfekt runde Ausformung seiner Scheibe auf und nicht wenige meinen, dass Alcor möglicherweise noch nicht sämtliche seiner Überraschungen preisgegeben haben könnte …

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