Einem internationalen Astronomenteam, dem auch Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Radioastronomie in Bonn und für Astronomie in Heidelberg angehören, ist es erstmals gelungen, den auf dem Jupitermond Io befindlichen Vulkan Loki Patera von der Erde aus in einer hohen Auflösung abzubilden und zu untersuchen. Hierfür nutzten die Wissenschaftler das Large Binocular Telescope auf dem Mount Graham im US-Bundesstaat Arizona.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Large Binocular Telescope Observatory.
Io, der innerste und drittgrößte der vier bereits im Januar 1610 entdeckten Galileischen Monde des Planeten Jupiter, ist mit einem Durchmesser von 3.643,2 Kilometern nur wenig größer als der 3.476 Kilometer durchmessende Mond der Erde und stellt trotzdem das mit Abstand geologisch aktivste Objekt im gesamten bisher bekannten Sonnensystem dar. Erste Detailaufnahmen von der Io-Oberfläche fertigten im Jahr 1979 die beiden Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 an. Der Großteil des Wissens über den Mond Io stammt jedoch von dem Orbiter Galileo, welcher das Jupitersystem im Jahr 1995 erreichte und der in den folgenden acht Jahren unter anderem auch mehrere dichte Vorbeiflüge an Io absolvierte.
Die Oberfläche des Jupitermondes Io
Die überwiegend mit Ablagerungen von Schwefel und Schwefeldioxid bedeckte Oberfläche von Io ist sehr eben und weist in der Regel Höhenunterschiede von lediglich etwa einem Kilometer auf. Vereinzelt erheben sich dort allerdings auch bis zu neun Kilometer hohe Berge, welche vermutlich tektonischen Ursprungs sind. Die markantesten Oberflächenstrukturen bilden jedoch mehrere hundert Calderen, welche über Durchmesser von bis zu mehr als 200 Kilometern verfügen. Im Rahmen der dort erfolgenden vulkanischen Eruptionen wird Material mit Geschwindigkeiten von etwa einem Kilometer pro Sekunde ausgestoßen, welches aufgrund der geringen Schwerkraft des Mondes eine Höhe von mehr als 300 Kilometern erreichen kann. Letztendlich fällt das Material jedoch wieder zurück auf die Oberfläche und bildet dort mehrere Kilometer mächtige Ablagerungen.
Dieser Vulkanismus auf Io wurde bereits im Jahr 1979 mittels der Aufnahmen der Raumsonde Voyager 1 nachgewiesen, was seinerzeit für großes Aufsehen sorgte, da dies zugleich der erste direkt erfolgte Nachweis eines in der Gegenwart stattfindenden aktiven Vulkanismus auf einem fremden Himmelskörper war. Das Auftreten dieser Eruptionen variiert allerdings sehr stark. Bereits über einen Zeitraum von nur vier Monaten, welcher zwischen der Ankunft der beiden Voyager-Sonden verging, konnte festgestellt werden, dass Eruptionen in bestimmten Bereichen der Oberfläche zum Erliegen gekommen waren, während sich im gleichen Zeitraum an anderen Stellen neue Ausbruchstellen öffneten. Die Ablagerungen rund um die Calderen hatten sich in diesem Zeitraum bereits ebenfalls deutlich verändert.
Durch den Vergleich mit den rund 20 Jahre später angefertigten Aufnahmen der Raumsonde Galileo ist erkennbar, dass diese permanent erfolgenden Vulkanausbrüche die Oberfläche von Io durch Ablagerungen von ausgeworfenem Material ständig verändern. Io weist dadurch bedingt die jüngste Oberfläche im gesamten Sonnensystem auf. Ihr Alter wird von den Planetologen auf lediglich etwa 10 Millionen Jahre geschätzt. Daher sind auf der Oberfläche dieses Mondes auch kaum Impaktkrater zu erkennen, da diese durch die fortlaufenden planetologischen Prozesse innerhalb kurzer Zeit ‚eingeebnet‘ werden.
Der Vulkan Loki Patera
Der größte der Vulkane auf dem Mond Io wurde – benannt nach dem nordischen Gott des Feuers – mit dem Namen Loki Patera belegt. Hierbei handelt es sich um eine flache vulkanische Vertiefung, in welcher die dichte Lavakruste, die sich auf der Oberfläche eines ausgedehnten Lavasees bildet, in regelmäßigen Abständen in diesem See versinkt. Dies führt zu einem regelmäßig zu beobachtenden Anstieg der Wärmestrahlung aus dieser Region. Mit einem Durchmesser von rund 226 Kilometern erschien dieser Vulkan bisher aber als eine viel zu kleine Struktur, um aus einer Entfernung von mindestens 600 Millionen Kilometern – dies entspricht dem Minimalabstand zwischen dem Jupiter und unserem Heimatplaneten – Details mittels von im optischen oder im infraroten Licht arbeitenden Beobachtungsinstrumenten von der Erde aus abzubilden.
Bereits am 24. Dezember 2013 ist es jedoch einem internationalen Team von Astronomen, dem auch mehrere Mitarbeiter der Max-Planck-Institute für Radioastronomie (MPIfR) und für Astronomie (MPIA) in Bonn und Heidelberg angehörten, gelungen, den Vulkan Loki von der Erde aus mit einer sehr hoher räumlichen Auflösung im Detail sichtbar zu machen und dabei im nahen Infrarotbereich des Lichtspektrums auch einen gerade erfolgenden Ausbruch des Vulkans zu dokumentieren. Auf den entsprechenden Aufnahmen des Jupitermondes erscheint Loki Patera als ein auffälliger heller Fleck. Diese Färbung wird durch das Entweichen einer intensiven Wärmestrahlung hervorgerufen.
Das Large Binocular Telescope
Für ihre Studie nutzten die daran beteiligten Astronomen das Large Binocular Telescope (abgekürzt „LBT“) auf dem Mount Graham im US-Bundesstaat Arizona. Dieses Teleskop wird im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Forschungseinrichtungen aus den USA, Italien und Deutschland betrieben. Das LBT besteht aus zwei Hauptspiegeln mit einer Öffnung von jeweils 8,4 Metern, welche in einem Abstand von sechs Metern zueinander auf einer gemeinsamen Montierung befestigt sind. Kombiniert erreichen die beiden Optiken die gleiche Lichtsammelleistung wie ein einzelnes Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 11,8 Metern. Das von den beiden Einzelspiegeln aufgefangene Licht kann interferometrisch überlagert werden, wodurch eine sehr hohe Auflösung erreicht wird, welche der optische Auflösung eines 22,8-Meter-Spiegels entspricht.
„Wir überlagern das von den zwei sehr großen Einzelspiegeln empfangene Licht in kohärenter Weise derart, dass die Spiegel zu einem virtuellen Riesenteleskop verbunden werden“, so Albert Conrad von der University of Arizona, der Erstautor der entsprechenden Veröffentlichung und am Large Binocular Telescope Observatory (abgekürzt LBTO) tätiger Wissenschaftler. „Auf diese Weise konnten wir zum ersten Mal die unterschiedlichen Helligkeiten im Bereich des Kratersees von Loki vermessen, welche von verschiedenen Regionen ausgehen.“
Für Phil Hinz, dem Leiter des Large Binocular Telescope Interferometer-Projekts (abgekürzt LBTI) vom Steward-Observatorium der University of Arizona, ist dieses Resultat das Ergebnis einer fast 15 Jahre andauernden Entwicklungsarbeit. Der Astronom betont zudem, dass die Beobachtung von Io nur eine der einzigartigen Möglichkeiten des LBTI darstellt.
„Wir haben das LBTI entwickelt, um Aufnahmen mit einer extrem hohen Auflösung zu erhalten, aber auch dafür, um Staub und sehr lichtschwache Planeten um nahe gelegene Sterne zu entdecken. Auch die kürzlich erfolgten Beobachtungen der Sterne Eta Corvus und HR 8799 [Raumfahrer.net berichtete] sind großartige Beispiele für das Potential, das in diesem System steckt.“
Angefertigt wurden die Io-Aufnahmen mit einem Instrument names LMIRcam. Hierbei handelt es sich um eine im Infrarotbereich von drei bis fünf Mikrometern Wellenlänge arbeitende Kamera, welche im Rahmen einer Doktorarbeit von Jarron Leisenring an der University of Virginia entwickelt wurde.
„Diese Beobachtungen stellen für mich und das ganze Team einen Meilenstein dar. Mit der interferometrischen Kombination der Spiegel haben wir jetzt den entscheidenden Schritt unternommen, um das volle Potential des LBT auszuschöpfen und eine Fülle von neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten anzusteuern“, so Dr. Leisenring, der mittlerweile als Instrumentwissenschaftler für die Infrarotkamera NIRCam für das zukünftige James-Webb-Weltraumteleskop am Steward-Observatorium tätig ist.
Um eine Aufnahme mit höchster Auflösung zu erzielen musste jedoch zunächst eine große Zahl von LMIRcam-Rohbildern verarbeitet werden. „Die aufgenommenen Rohbilder sind von Interferenzmustern überzogen und haben dadurch eine nur begrenzte Bildschärfe“, so Professor Gerd Weigelt vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Mit modernen interferometrischen Bildrekonstruktionsmethoden, sogenannten Entfaltungsmethoden, ist es uns jedoch möglich, eine wirklich spektakuläre Bildauflösung zu erreichen.“
„Es ist sehr wichtig, unterschiedlichen Bildverarbeitungsmethoden zu entwickeln und anzuwenden, damit auch feinste Bilddetails mit hoher Zuverlässigkeit rekonstruiert werden können“, ergänzt Mario Bertero, Professor für Informationswissenschaften an der Universität von Genua in Italien. Dabei gelang es den an der Untersuchung des Jupitermondes beteiligten Wissenschaftler Daten zu gewinnen, durch deren Auswertung sich auch neue Einblicke in den auf Io aktiven Vulkanismus ergeben könnten.
Neue Erkenntnisse
„Während wir vorher bereits über die Jahre hinweg immer wieder ein helles Aufblitzen von Loki sahen, zeigen diese phantastischen Aufnahmen des LBTI jetzt erstmals, dass dieses Aufleuchten jeweils gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen auftritt“, so Imke de Pater, Professorin an der University of California in Berkeley/USA. „Dies ist ein starkes Indiz darauf, dass es sich bei der abgebildeten hufeisenförmigen Struktur – wie schon bereits in der Vergangenheit angenommen wurde – höchstwahrscheinlich um einen aktiven Lavasee mit einem variablen Aussehen handelt.“
Neben dem Vulkan Loki sind auf den mit dem LBT erstellten Aufnahmen von Io noch 15 weitere, allerdings deutlich schwächere Ausbruchsstellen erkennbar. Zwei dieser beobachteten Eruptionszonen waren den Wissenschaftlern zuvor unbekannt.
„Zwei der vulkanischen Strukturen auf Io treten an neuen aktiven Plätzen auf“, erklärt die Doktorandin Katherine de Kleer von der University of California. „Sie befinden sich in einem Gebiet namens Colchis Regio, wo erst wenige Monate zuvor eine enorme Eruption stattgefunden hat. Bei diesen jetzt neu entdeckten Strukturen könnte es sich durchaus um die Nachwehen dieser Eruption handeln. Die hohe Genauigkeit des LBTI ermöglicht es uns, die Restaktivität in dieser Region in verschiedenen Bereichen getrennt darzustellen. Hierbei könnte es sich um Lavaflüsse handeln.“
„Die Untersuchung dieser sehr dynamischen vulkanischen Aktivität auf Io, welche die Oberfläche ständig verändert, gibt uns auch Hinweise auf den Aufbau und die innere Struktur dieses Mondes“, so Chick Woodward von der University of Minnesota, ein weiterer der an dieser Studie beteiligten Wissenschaftler. „Hierdurch bereiten wir auch den Weg für zukünftige NASA-Missionen wie den Io Volcano Observer.“
Durch die elliptische Umlaufbahn von Io um seinen Planeten, welcher in einem Abstand von durchschnittlich lediglich 421.800 Kilometern um den Jupiter verläuft, wirken extrem starke Gezeitenkräfte auf Io ein. Dabei wird das Innere des Mondes regelrecht ‚durchgeknetet‘. Diese extrem starke Gezeitenkräfte sind mit dem Quetschen einer reifen Orange vergleichbar, wobei der Fruchtsaft durch Risse in der Schale herausgedrückt wird.
Auch Christian Veillet, der Direktor des LBTO ist von den Aufnahmen begeistert und richtet seinen Blick zugleich in die Zukunft, wo den Astronomen in einigen Jahren noch größere und leistungsfähigere Teleskope zur Verfügung stehen werden.
„Das einzigartige binokulare Design des LBT zeigt jetzt seine Fähigkeit zur Auflösung von Strukturen, die ansonsten nur ein Einzelteleskop der 23-Meter-Klasse erreichen könnte. Die jetzt veröffentlichten spektakulären Resultate des Jupitermondes Io sind eine Anerkennung für viele Mitarbeiter, die an das LBT-Konzept geglaubt und viele Jahre harter Arbeit in seine Realisierung investiert haben. Obwohl es noch eine Menge Arbeit bedeutet, die Kombination der beiden Optiken zu einem interferometrisch arbeitenden Teleskop noch weiter zu perfektionieren, können wir jetzt bereits feststellen, dass das Large Binocular Telescope einen Wegbereiter für die nächste Generation von Riesenteleskopen darstellt, die erst in frühestens einem Jahrzehnt ihren Betrieb aufnehmen werden.“
Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse der Untersuchung des Vulkans Loki Patera auf dem Jupitermond Io wurden von Albert Conrad et al. am 30. April 2015 unter dem Titel „Spatially Resolved M-band Emission from Io’s Lok Patera-Fizeau Imaging at the 22.8 m LBT“ in der Fachzeitschrift The Astronomical Journal publiziert.
Derartige erdgebundene Beobachtungen stellen neben Beobachtungen durch die in Erdnähe befindlichen Weltraumteleskope bis auf weiteres die einzige Möglichkeit dar, den Jupitermond Io eingehender zu untersuchen. Zwar wird bereits am 4. Juli 2016 die von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebene Raumsonde Juno in eine Umlaufbahn um den größten Planeten unseres Sonnensystems eintreten. Diese ist jedoch mit keinem leistungsstarken Kamerasystem ausgestattet und wird sich im Rahmen der geplanten einjährigen Untersuchung des Jupiters in erster Linie auf dessen inneren Aufbau sowie auf die Atmosphäre und das Magnetfeld konzentrieren. Untersuchungen der Jupitermonde werden dabei nicht erfolgen. Und auch die von der europäischen Weltraumagentur ESA mit einem derzeitigen Startdatum im Juni 2022 geplante Jupitersonde JUICE wird nach dem Erreichen ihrer Umlaufbahn um den Gasriesen im Januar 2030 in den folgenden 3,5 Jahren den Mond Io nach dem derzeitigen Planungsstand wohl leider eher ’stiefmütterlich‘ behandeln.
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