Mission der ISS-Expedition 36
Nach der erfolgreichen Reparatur eines Kühlkreislaufs am Solarzellenelement P6 am Ende der Expedition 35 bestimmte wieder Routine die Arbeitsabläufe an Bord der Station. Nach der Rückkehr des Raumschiffes Sojus-TMA 07M zur Erde arbeitete die Besatzung zunächst zwei Wochen lang zu dritt. Am 28. Mai starteten Fjodor Jurtschichin, Karen Nyberg und Luca Parmitano mit Sojus-TMA-09M von Baikonur aus und koppelten bereits nach 5 Stunden und 39 Minuten am Modul Rasswjet an. Während der bis zum 11. September geplanten Expedition 36 stehen vielfältige Forschungsaufgaben auf den Gebieten Astronomie, Biologie, Chemie, Erderkundung, Materialwissenschaft, Physik und Technik auf dem Programm. Neben routinemäßigen Wartungsaufgaben an Lebenserhaltungs-, Kommunikations- und Energieversorgungssystemen sind möglicherweise auch wieder unvorhersehbare Reparaturen darunter. Außerdem sollen 5 Außenbordaufenthalte mit umfangreichen Arbeiten absolviert und 3 Frachtraumschiffe (ATV 4 „Albert Einstein“/15. Juni – 28. Oktober, Progress-M 20M/27. Juli-28. Dezember, HTV Kounotori 4/9. August – 8. September) empfangen und entladen werden.
Während der ersten Wochen stand der Kühlmittelkreislauf des Energiezweigs 2B unter genauer Beobachtung. Hier war wenige Tage zuvor die Kühlmittelsteuerung ausgetauscht worden. Beim Ablegen von Sojus-TMA 07M kam es erneut zu einem Druckabfall, wobei aber keine Leckagen festgestellt werden konnten.
Zu den wissenschaftlichen Untersuchungen der ersten Wochen zählten BASS, UBNT, BCAT-4, Seedling Growth, Coulomb-Kristall, Plasma-Kristall, Matrjoschka, MikroBIOM, Pro K und FASES zu den technischen Erprobungen Fundoscope, Vane Gap 1, SPHERES und das Surface Telerobotic Experiment.
Im Rahmen von BASS (Burning and Supression of Solids) werden Verbrennungsprozesse und deren Verlöschen an Festkörpern untersucht. Insgesamt wurden 13 Versuche mit unterschiedlichen Materialien in einer Handschuhbox durchgeführt. Diese sollen zu einer Verbesserung des Brandschutzes in der Schwerelosigkeit führen.
Bei UBNT (Ultrasound Background Noise Test) wird der „Geräuschpegel“ im Bereich des Ultraschalls gemessen. Der für Menschen nicht hörbare Schall bedeutet eine hochfrequente Schwingung, die auch Mikrogravitationsexperimente empfindlich stören kann.
Mit BCAT (Binary Collodial Alloy Test) werden seit vielen Jahren sogenannte Kolloide, das sind Gemische aus Flüssigkeiten und eingelagerten festen Partikeln untersucht. Ziel ist das Herausfinden von Bedingungen, unter denen sich die Partikel aneinanderlagern und Verklumpungen bilden. Diese Erkenntnisse, die man ohne den Einfluss der Schwerkraft gewinnt, können Erkenntnisse über die Hintergründe derartiger Anlagerungen bringen. Mittlerweile arbeitet man mit Technik der 4. Generation. Mit Emulsionen, also Gemischen zweier normalerweise nicht mischbarer Flüssigkeiten beschäftigt sich das Experiment FASES (Fundamental and Applied Studies of Emulsion Stability). Auch hier sollen ohne den Einfluss der Gravitation Erkenntnisse über Dynamik und Stabilität von Emulsionen gewonnen werden.
Für Seedlings Growth wurden im European Modular Cultivation System, einem automatisch gesteuerten Mini-Gewächshaus, Setzlinge der Ackerschmalwand gezogen und in verschiedenen Entwicklungsstadien entnommen und für spätere Untersuchungen eingefroren. Bei Coulomb- und Plasma-Kristall geht es um Untersuchungen an geladenen oder elektrisch neutralen Partikeln, deren Verhalten unter verschiedenen Druckbedingungen erfasst wird. Dabei bilden sich kristallähnliche Strukturen, die auch Aufschluss über die Entstehung von Planeten in jungen Sonnensystemen Auskunft geben könnten.
Bei Matrjoschka handelt es sich um eine mit Strahlungsdetektoren gespickte Puppe, deren verschiedene Materialien unterschiedliche innnere Organe simulieren sollen. Auf diese Weise kann man recht genau die Strahlenbelastung eines Menschen während eines Raumfluges im erdnahen Orbit herausfinden. Weitere Strahlungsmessgeräte sind in der gesamten Raumstation verteilt. Bei MikroBIOM werden in regelmäßigen Abständen Abstriche verschiedener Körperstellen eines Raumfahrers gemacht und die Proben für eine weitere Untersuchung fixiert. So will man sich einen Überblick über die Besiedlung der Haut mit unterschiedlichen Mikroorganismen verschaffen. Im Rahmen von Pro K wird eine spezielle Diät eingehalten. Zweck ist es, über Urin- und Blutproben sowie Computertomographie herauszufinden, welchen Einfluss eine langandauernde Nahrungsumstellung auf die Erhaltung der Knochendichte und -form hat. Zurückliegende Untersuchungen haben gezeigt, dass verlorene Knochenmasse nach der Rückkehr auf die Erde zwar wieder zu alter Stärke aufgebaut wird, dabei jedoch Hohlräume im Knochen zurückbleiben, die Auswirkungen auf die Stabilität haben.
Das Fundoscope ist ein neues Gerät zur Ermittlung des Augeninnendrucks in der Schwerelosigkeit. Zudem werden Sehtests durchgeführt. In der Schwerelosigkeit leiden viele Raumfahrer unter abgeflachten Augäpfeln, eine Veränderung die auch nach der Rückkehr auf die Erde noch Auswirkungen haben kann. Neu sind auch Ultraschalluntersuchungen der Wirbelsäule, mit denen Veränderungen dreidimensional erfasst werden können.
Bei Vane Gap 1 wird erforscht, wie Flüssigkeiten ohne Verwendung einer aktiven Pumpe, allein durch Kapillarkräfte breite Leitungen, deren Querschnitt einem dünnen Spalt entspricht, transportiert werden können.
Das Projekt SPHERES (Synchronized Position Hold, Engage, Reorient Experimental Satellites) arbeitet mit programmierbaren, etwa 20 cm abmessenden Flugkörpern, welche sich innerhalb der Station einzeln oder in Formation bewegen können. Erprobt werden verschiedene Programme, in denen ein Zusammenspiel der drei Sphären erprobt wird.
Mit dem Surface Telerobobotic Experiment (STE) soll untersucht werden, inwiefern ein bodengestütztes Roboterfahrzeug aus der Umlaufbahn effektiv ferngesteuert werden kann. Normalerweise geschieht dies immer umgekehrt. Eine Vielzahl von Experimenten an Bord der ISS wird über spezielle Komandokanäle ferngesteuert und die Resultate per Video übertragen oder aufgezeichnet. Beim STE wurde nun erstmals eine Echtzeit-Steuerung aus dem All erprobt. Akteure waren dabei Christopher Cassidy und K10, ein am Ames-Forschungszentrum der NASA entwickeltes und gebautes Fahrzeug. Über Telemetrie und Video konnte Cassidy die Ausführung seiner Befehle beobachten. STE dient der Vorbereitung von Missionen, bei denen die Raumfahrer im Weltall bleiben und andere Himmelskörper mittels fernsteuerbarer Roboter untersuchen.
Erdbeobachtung wurde im Rahmen verschiedener Experimente durchgefürht, darunter Uragan, IServ und Seiner. Neben routinemäßigen Wartungsarbeiten an Lebenserhaltungssystemen, Computer- oder Kommunikationstechnik, wurde das Laufband TVIS im russischen Segment demontiert und durch ein neueres Modell BD-2 ersetzt, das zuvor mit dem Frachter Progress-M 19M eingetroffen war. Auch im US-basierten Teil der Station wurde ein Sportgerät modernisiert: ARED (Advanced Resistive Exercise Device), eine Art Kraftsportinstallation, die mit Vakuumzylindern anstelle von Gewichten arbeitet.
Frachterverkehr
Am 11. Juni legte der mit Abfällen beladene Frachter Progress-M 19M vom Heck der Station ab. Er blieb für weitere Untersuchungen noch bis zum 19. Juni in einer Erdumlaufbahn und wurde dann über dem Pazifik zum Verglühen gebracht. Beim Ankoppeln im April hatte man auf Handsteuerung aus dem Inneren der Station umgeschaltet, da der Arm einer für die Navigation benötigten Radarantenne nicht ausgeklappt war. Beim Abflug wurden die vom Transporter übermittelten Bilder des Kopplungsstutzens der Station genau unter die Lupe genommen, um sicher zu gehen, dass keine Beschädigungen entstanden waren. Kurioserweise klappte der Antennenarm bei Abkoppeln aus.
Am 15. Juni koppelte das 10 Tage zuvor gestartete Automated Transfer Vehicle ATV 4 „Albert Einstein“ am Stationsheck an. Auch hier hatte man vor der Endphase des Rendezvous mittels Kamera und Laser die Funktionstüchtigkeit der entsprechenden Navigationsanlagen ausführlicher als sonst geprüft. Das Andocken geschah dann mit höchster Präzision, der Sporn trat ohne Kontakt zum Konus direkt ins Zielloch ein.
Nach Herstellen einer festen Verbindung verzögerte sich das Öffnen der Luken etwas, da man eine Kontamination mit Schimmelsporen wie bei ATV 3 befürchtete. Die Besatzung bekam die Anweisung, bestimmte Frachttaschen so schnell wie möglich mit Desinfektionsmittel abzureiben.
An Bord des Frachters befanden sich rund 3,44 Tonnen Treibstoffe für Bahnanhebungsmanöver der ISS mit den ATV-Triebwerken sowie zum Nachfüllen der ISS-Tanks, 570 kg Wasser, 66 kg Luft und 33 kg Sauerstoff. Die sogenannte Trockenfracht umfasste etwa 1.400 verschiedene Teile mit einer Gesamtmasse von 2,5 Tonnen. Dazu zählen Bekleidung, Nahrungsmittel, Experimentiereinrichtungen und -materialien und Werkzeuge. Eine speziell italienisch-kulinarische Fracht umfasste Lasagne und Tiramisu.
Am 25. Juli wurde Progress-M 18M vom Modul Pirs abgekoppelt und verglühte in der darauf folgenden Nacht weitgehend in dichten Atmosphärenschichten. Mit dem Nachfolger, Progress-M 20M, der am Abend des 27. Juli startete und in der Nacht des Folgetages nach etwa 6 Stunden Flugzeit ankoppelte, gelangte neben Treibstoffen, Wasser, Nahrungsmitteln, Verbrauchsgütern und Ausrüstungen auch ein Reparaturkit für den Raumanzug von Luca Parmitano zur Station.
Am 4. August startete Kounotori 4 (HTV) vom japanischen Tangashima aus zur Internationalen Raumstation. Der Frachter navigierte am 9. August in die unmittelbare Nähe der Station und wurde mittels Manipulatorarm am Nadir-Port des Moduls Harmony angekoppelt. HTV 4 transportierte insgesamt etwa 5,4 t Material zur ISS, darunter Zubehör zu NASA- und JAXA-Einrichtungen, Nahrungsmittel, Trinkwasser, Versorgungsgüter, Experimentiergut, ein kleiner Roboter namens Kirobo sowie die vier Kleinsatelliten Pico Dragon, Ardusat 1, Ardusat X und TechEdSat 3. Nicht unter Druck stehende Fracht umfasste eine Energieumschalteinheit, ein Energie- und Datenverteiler für eine Rotationseinheit zur Nachführung der großen Solarzellenpaneele sowie der Experimentalkomplex Space Test Program – Houston 4. Mit diesem werden wissenschaftlich-technische Untersuchungen zu Atmosphärenphysik, Temperatursteuerung, Strahlungsmessung, Datenverarbeitung und zur Beobachtung von durch Blitze verursachten Phänomenen angestellt.
Bahnmanöver
Am 19. Juni wurden zwei Triebwerke des am Heck der Station angekoppelten Frachters ATV 4 für 6 Minuten und 47 Sekunden gezündet und damit eine Anhebung auf etwa 404 x 427 km Höhe erreicht. Dabei handelte es sich um einen Testlauf für zukünftigere größere Bahnanhebungen.
Am 10. Juli wurde ein weiteres Manöver mit den Triebwerken des ATV 4 vorgenommen. Im Verlaufe der zehnminütigen Antriebsphase wurde die Geschwindigkeit des Komplexes um 1,45 m/s erhöht, worauf die Bahnhöhe um 2,5 km anstieg.
Außenbordarbeiten
Während des ersten Ausstiegs am 24. Juni (Jurtschichin/Misurkin) wurden Reparaturen am Kühlsystem des Moduls Sarja vorgenommen, ein Teil des Experiments Molina-Gamma zur Messung von Strahlungsspitzen aus der Erdatmosphäre im Verlaufe von Gewittern geborgen, die Geräte des Kurs-Annäherungssystems getestet, Klammern für das spätere Befestigen von Strom- und Datenkabeln angebracht und Untersuchungen an der Außenhaut des Moduls Swesda angestellt.
Zunächst wurde die Technik des Kurs-Annäherungssystems am Modul Swesda getestet. Diese wird nach dem Abkoppeln des gegenwärtigen Schleusenmoduls Pirs zu Beginn des nächsten Jahres für das Rendezvous des Mehrzwecklabors Naúka benötigt. Der Test verlief erfolgreich.
Anschließend wurde ein Flussregelventil des Kühlsystems an der Außenhaut von Sarja gewechselt. Das alte Ventil hat den geplanten Funktionszeitraum erreicht, funktionierte aber noch. Entlang des Moduls Sarja wurden danach Kabelklemmen angebracht. Hier sollen bei den nächsten Ausstiegen Daten- und Stromkabel vom US-basierten Segment zur Versorgung des Labormoduls Naúka verlegt und gesichert werden.
Danach wurde das Experiment Indikator am Modul Poisk installiert. Abschließend wurden Proben des Experiments Wuinosliwost und das gesamte Experiment Foton-Gamma geborgen. Zwischendurch wurden noch mehrere Handläufe am Modul Swesda befestigt.
Der Ausstieg begann gegen 15.32 Uhr MESZ planmäßig und dauerte 6 Stunden und 34 Minuten. Bis auf das Anbringen zweier Handläufe wurden alle Aufgaben gelöst.
Beim zweiten Ausstieg am 9. Juli arbeiteten Chris Cassidy und Luca Parmitano insgesamt 6 Stunden und 7 Minuten an verschiedenen Aufgaben. Zunächst wurde ein ausgefallener Transmitter an einer der beiden Ku-Band-Antennen ausgetauscht und eine Probe des Materialexperiments MISSE 8 geborgen. Anschließend wurden Bilder des Alpha Magnetic Spectrometers angefertigt, auf denen man nach einer Ursache für eine nachlassende Leistung suchen möchte.
Anschließend wurden ein Energiekabel vom Modul Unity zum Pressurized Mating Adapter 1 verlegt, Halterungen an Radiatoren (Radiator Grapple Bars) befestigt und eine defekte Kamera demontiert. Danach wurden zwei Überbrückungskabel zum Gitterelement Z1 gezogen und eines davon angeschlossen. Schließlich wurde eine thermische Abdeckung am derzeit nicht benötigten Kopplungsadapter PMA 2 am Bug der Station angebracht, ein mit Energieleitungen versehener Ankerpunkt (Power and Data Grapple Fixture) für den kanadischen Manipulatorarm auf dem Modul Swesda überprüft und eine Datenleitung zu PMA 1 gezogen.
Der Ausstieg am 16. Juli von Chris Cassidy und Luca Parmitano wurde aufgrund von Wasser in Lucas Raumanzug nach etwa einer Stunde vorzeitig abgebrochen. Das Wasser unbekannter Herkunft stammte nach Aussage von Luca Parmitano weder aus dem Trinkbehälter noch aus dem Kühlsystem des Anzugs.
In der Schwerelosigkeit sinkt Wasser nicht zu Boden sondern bildet kleine Kugeln, die entweder durch den Anzug schweben oder sich großflächig an Körperteilen anlagern. Dabei besteht immer die Gefahr, dass man Wasser einatmet und sich dieses in der Lunge sammelt. So geschah dies auch diesmal. Zudem bedeckte ein Wasserfilm auch Ohren, Nase und Augen des Astronauten, so dass dieser zeitweilig nichts mehr hören oder sagen konnte. Als die erste Wasseransammlung im Nacken von Parmitano festgestellt war, wurde der Außenbordeinsatz sofort abgebrochen. Nach dem Wiedereinstieg in die Luftschleuse Quest schloss Luca seinen Raumanzug nicht an die externe Stromversorgung an, um nicht das Risiko eines Kurzschlusses oder eines Stromschlages einzugehen.
Nach dem Öffnen der inneren Luke half man Parmitano aus dem Anzug und versuchte dabei, die umherschwebenden Wassertröpfchen sowie die Wasserfilme im Inneren des Anzugs einzufangen bzw. zu binden. Insgesamt dauerte der Einsatz 1 Stunde und 32 Minuten, geplant waren mehr als 6 Stunden. Ursprünglich sollte während des Ausstiegs ein zweites Überbrückungskabel am Gitterelement Z1 installiert, Datenkabel für Sarja und das zukünftige Modul Naúka verlegt, Führungsschienen angebracht, eine Antenne umgesetzt und eine Schutzabdeckung an einer Schalteinheit entfernt werden.
Im Verlaufe der Ausstiege vier und fünf (Jurtschichin/Misurkin), die für den 16. bzw. den 22. August geplant sind, sollen die Energie- und Netzwerkkabel über den Rumpf von Sarja bis zum Modul Pirs verlegt werden. Pirs soll im Frühjahr 2014 abgekoppelt und anschließend durch das erheblich größere Modul Naúka ersetzt werden. Hier fallen im nächsten Jahr ebenfalls umfangreiche Außenbordarbeiten an. Zu den Aufgaben der beiden Ausstiege gehören zudem die Demontage eines Kopplungsziels und einer komplexen Laser-Kommunikationseinheit von Pirs. Beide Installationen sollen später auf einer anderen Plattform bzw. an Naúka montiert werden.
Abschluss der Mission
Die Rückkehr von Sojus-TMA 08M zur Erde und damit der Abschluss der ISS-Expedition 36 erfolgte am 11. September 2013.
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