Zu den gelungenen Überraschungen des Jahres 2015 zählen sicher die erstmaligen Nahaufnahmen Plutos durch die Sonde New Horizons. Der langsame Bilddatenstrom vom Rand des Sonnensystems zur Erde bietet auch drei Monate nach dem Vorbeiflug immer neue faszinierende Einblicke in eine mitunter erstaunlich Erd-ähnlichen Welt.
Autor: Roland Rischer. Quelle: NASA, JHUAPL, SWRI, Spaceflight Now, Raumcon
Die Jahre 2014/2015 waren aus Sicht der Planetologen, das kann man jetzt schon sagen, besondere Jahre. Gleich drei Langzeitmissionen – Rosetta/Philae, Dawn und New Horizons – kamen an ihren Zielen an und liefen dann nahezu perfekt nach Drehbuch ab. Nach jahrelanger Reisezeit im Weltraum ist das aus technischer Sicht keinesfalls selbstverständlich. Die von Rosetta gelieferten Bilder des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko bewiesen einmal mehr, dass man seiner Phantasie bezüglich des Formenreichtums dort draußen keine Grenzen setzen sollte. Der Asteroid Ceres überraschte aus der Distanz mit geheimnisvollen Details auf seiner Oberfläche. Beim Massenpublikum konnte man mit den von der Sonde Dawn gelieferten Bildern zwar nur kurz Interesse wecken. Dem Erkenntnisgewinn über den größten Himmelskörper im Asteroidengürtel tut das aber keinen Abbruch, zumal der Besuch von Dawn bei Ceres im Unterschied zu den Missionen Rosetta bei 67P und New Horizons zum Pluto noch länger andauern wird.
Zu den unerwarteten Überraschungen dieses Jahres zählen sicher die erstmaligen Nahaufnahmen des Pluto durch die Sonde New Horizons. Generationen weltraumbegeisterter Menschen wuchsen mit einem eng begrenzten Wissen über den neunten Planten auf. Die Krönung waren verwaschene Bilder wie etwa jenes des Weltraumteleskops Hubble (Bild 1) aus dem Jahr 2002. Dann wurde Pluto auch noch zum Zwergplaneten herabgestuft, unter anderem weil er die Neptun-Bahn kreuzt. Fehlte nur noch, dass einer behauptet hätte, da könne es aufgrund dieser und jener Annahmen nicht viel anderes aussehen wie auf dem Mond. Die einstige Nummer Neun wäre mittelfristig wahrscheinlich endgültig aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden und nur noch Spezialisten ein Begriff gewesen.
Das haben die Bilder von New Horizons nun aber für das erste verhindert. Ihr kurzer Pluto-Vorbeiflug am 14. Juli 2015 mit einer größten Annäherung von 12.500 Kilometer lieferte Bilder, wie sie sich selbst Science-Fiction-Illustratoren nicht besser hätten ausdenken können. Weil die Datenübertragungsrate von der Sonde zur Erde sehr gering ist, wurden die Daten an Bord der Sonde zwischengespeichert. Im Laufe der nächsten zwölf Monate werden wir noch viele weitere erstaunliche Bilder von Pluto und seinem Mond Charon bekommen.
Vorläufige Krönung im Bilderangebot der NASA ist ein 70 Megabyte-Bild (in bescheidenerer Auflösung siehe Bild 2). Es zeigt Strukturen ab einer Größe von 1,8 Kilometern. Bei der Aufnahme handelt es sich um die schärfe-optimierte und farbverstärkte Zusammensetzung von Einzelbildern der Multispektralkamera (Multispectral Visual Imaging Camera (MVIC)) im Kamerasystem Ralph an Bord von New Horizons, welches unzählige Details wie Kanäle, Krater und ausgedehnte Eisfelder mit ihren eigenen Strukturen zeigt. Die Farbkontraste wurden erhöht. Dem menschlichen Auge würde Pluto daher erheblich matter erscheinen. Spaceflight Now zitiert John Spencer vom Geologie-, Geophysik- und Bilder-Team des Southwest Research Institute (SWRI) in Boulder, Colorado, USA: „Plutos Oberflächenfarben wurden verstärkt, um feine Details im blassen Blau, Gelb, Orange und in intensiven Rottönen sichtbarer zu machen. Viele der Landschaften haben ihre eigene eindeutige Farbe, die uns eine interessante komplexe geologische und klimatologische Geschichte erzählt, die wir aber noch zu entschlüsseln haben.“
Nicht weniger beeindruckend sind die Bilder des Pluto-Mondes Charon (Bild 3). Von den fünf Pluto-Monden ist er mit Abstand der größte und hat mit 1.214 Kilometern Durchmesser etwa den halben Pluto-Durchmesser, relativ gesehen Rekord im Sonnensystem und fast schon ein Doppel-Zwergplanetensystem. Im Gegensatz zu Pluto entspricht Charons Oberfläche eher dem, was man bei einem Gesteinshimmelskörper erwartet, bietet aber Extreme, wie tiefe und lange Schluchten am Äquator und vergleichsweise glatte, an die Mond-Mare erinnernde Ebenen im Süden, deren Entstehung noch der Erklärung bedürfen. Dazu dürfte der Bilddatenstrom von New Horizons in den nächsten zwölf Monaten ebenfalls beitragen. Der rote, circa 475 Kilometer durchmessende Fleck im Norden, entlehnt aus Tolkiens „Herr der Ringe“ inoffiziell Mordor Macula genannt, ist vermutlich auf Tholine zurückzuführen. Dabei handelt es sich um Kohlenstoffverbindungen, deren Herkunft vom nahen Pluto vermutet wird (ausführlicher zu den Tholinen, siehe im Raumcon-Forum „New Horizons Mission“ Beitrag #1374; zu den anderen Plutomonden ebenda ab Beitrag #1386; Dank an Forenmitglied Gertrud).
Die zweite Baugruppe im Kamerasystem Ralph ist LEISA (Linear Etalon Imaging Spectral Array) für Aufnahmen im Infrarot-Bereich. Bereits beim Anflug kurz vor dem 14. Juli 2015 wurde Pluto mit Hilfe des Ralph/LEISA Infrarot-Spektrometers auf Methanvorkommen untersucht. Die Ergebnisse zeigt Bild 4. Erfasst wurde lediglich die linke Hälfte der Pluto-Scheibe. Die Methan-Verteilung zeigt auffällige regionale Unterschiede. Die intensive Purpur-Färbung deutet auf eine hohe Methankonzentration hin. Die schwarzen Flächen zeigen eine niedrigere Methankonzentration. Die Überlagerung der Methan-Karte mit dem entsprechenden Bild der LORRI-Kamera (Long Range Reconnaissance Imager) zeigt eine auffällige Übereinstimmung mit Flächenformationen, insbesondere der vorläufig Sputnik Planum genannten Ebene.
Bild 5 sei stellvertretend für die vielen beeindruckenden Einzelbilder ausgewählt. Rund 15 Minuten nach der größten Annäherung blickte New Horizons zurück und machte aus 18.000 Kilometern Entfernung eine Gegenlichtaufnahme bei Sonnenuntergang von der Sputnik Planum getauften ebenen Fläche und den bis zu 3.500 Meter hohen Bergen im Westen. Das Bild erstreckt sich über eine Breite von 380 Kilometer. Die Berge im Vordergrund wurden vorläufig nach Tensing Norgay, jene im Hintergrund am Horizont nach Edmund Hillary benannt, den beiden Mount Everest-Erstbesteigern. Das Gegenlicht macht rund zwölf Dunstschichten in Plutos dünner Atmosphäre sichtbar.
Zu den überraschenden Details gehören auch Indizien für Gletscheraktivitäten auf Bild 6. Die Aufnahme erstreckt sich über 630 Kilometer. Ähnlich wie im Wasserkreislauf auf der Erde scheint sich auf dem Pluto bei Temperaturen um minus 230 Grad Celsius vermutlich verdunsteter Stickstoff aus dem Sputnik Planum in gefrorener Form in den höheren östlichen Regionen niederzuschlagen. Das Bild zeigt Hinweise darauf, dass Stickstoff-Gletscher langsam in das Sputnik Planum fließen. Die roten Pfeile deuten auf die drei bis acht Kilometer breiten Abflusstäler. Die blauen Pfeile zeigen den Verlauf der Eisfront im Sputnik Planum. Dazu Alan Howard vom New Horizons-Team für Geologie, Geophysik und Bilder der University of Virginia, Charlottesville, USA: „Wir haben angesichts der Tiefkühlbedingungen des äußeren Sonnensystems nicht mit einem Stickstoff-basierten Eiszyklus auf dem Pluto gerechnet. In Gang gehalten vom schwachen Sonnenlicht scheinen die Vorgänge direkt mit jenen im hiesigen Wasserkreislauf vergleichbar zu sein, durch den die Eiskappen der Erde gebildet werden. Wasser verdunstet aus den Ozeanen, fällt als Schnee und kehrt als Gletschereis in die Meere zurück.“
„Pluto ist in dieser Hinsicht überraschend Erd-ähnlich“, resümiert Alan Stern, Leiter des New Horizons Wissenschaftler-Teams am SWRI, „und keiner hat das vorausgesagt.“
Unweigerlich fragt man sich, wie diese tiefgekühlte Welt aussehen würde, wenn sie in einer habitablen Zone ihre Bahnen zöge.
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