Alljährlich treffen sich Foristinnen und Foristen des RaumCon-Forums, Mitglieder des Vereins Raumfahrer.net e.V. sowie Raumfahrtinteressierte zum RaumCon-Treffen. Dieses Jahr fand es in Bremen vom 29. September 2024 bis 03. Oktober 2024 statt. Der Austausch unter den „Raumfahrenden“ ist geprägt von Vorträgen, Exkursionen und fachlichen Diskussionen.
Quelle: Raumfahrer.net, RaumCon. 06. Oktober 2024.
Sonntag 29.09.2024, Anreisetag
16 Raumfahrende als Dauergäste und ein Tagesgast sammelten sich über den Nachmittag in der Jugendherberge Bremen, richteten einen Tagungsraum ein und bezogen die Zimmer. Sie kamen aus unterschiedlichsten Richtungen aus ganz Deutschland. Leider konnte ein Teilnehmer aus Österreich, wegen des Hochwassers, nicht anreisen.
Nach einem reichhaltigen Abendessen im Schirrmann’s (der Gastronomie in der Jugendherberge) nutzten die Teilnehmenden das schöne Wetter für ein Getränk auf der Dachterrasse. Wegen der Kühle des Abends zogen die Raumfahrenden dann in den Tagungsraum um. Gemeinsam wurde das Programm der nächsten Tage besprochen und die angekündigten Vorträge der Teilnehmenden in die Tagesabläufe eingetaktet.
Der Abend klang mit einem gemütlichen Beisammensein aus.
Montag 30.09.2024
Nach einem leckeren Frühstück vom Buffet, starteten die Raumfahrenden nach einer kurzen Tagesplanung gleich mit der Frage, wo und wann das nächste RaumCon-Treffen 2025 stattfinden soll?
Es wurden einige Vorschläge gemacht und abgewogen. Einige Ziele würden keine mehrtägige Veranstaltung füllen und daher eher als gezielte Sonderreise in Frage kommen (Peenemünde, Noordwijk). Andere Ziele sind bereits bei der Unterkunft inzwischen so teuer, dass diese für manche nicht mehr bezahlbar wären (z.B. Wien). Die verbliebenen Ideen werden jetzt genauer untersucht, Unterkunftsmöglichkeiten geprüft und Kosten ermittelt. Das finale Ziel und der Veranstaltungszeitraum werden rechtzeitig im RaumCon-Forum bekanntgegeben.
Danach folgte eine Diskussionsrunde zum Thema „Raumfahrt und Innovation“, moderiert von Thomas Brucksch. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen Erfindung und Innovation. Eine Erfindung zeigt die technische Machbarkeit, eine Innovation ist die gelungene Umsetzung und das erfolgreich in den Markt bringen.
Als Beispiel einer nicht-technischen Innovation wurde die Entwicklung der öffentlichen Verträge mit Raumfahrtbezug in den USA besprochen. Cost-Plus-Verträge wurden nach dem 2. Weltkrieg eingeführt. Vorher galt die Maxime „Kaufe das was fliegt“, d.h. es war ein technologisch gesehen noch konservativerer Ansatz, für die Ansprüche im Kalten Krieg reichte dies nicht aus. Inzwischen sind aber Cost-Plus-Verträge auch eher Innovationsbremsen bzw. sind anfällig für höhere Kosten und Zeitverzüge. Heute nutzt die NASA daher vorzugsweise „Fixed Price-Verträge“, die, Beispiel SpaceX, als Innovationstreiber wirken.
Es gibt natürlich auch zahlreiche Erfindungen und Ideen, die sich nicht oder nicht sofort durchsetzen. Jedoch, auch „fehlgeschlagene“ Innovationen erweitern den Innovationsbaum.
Am Nachmittag folgte der Besuch beim „Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation“ (ZARM) der Universität Bremen. Ein Mitarbeiter hat die Gruppe sehr freundlich aufgenommen und in einem ausführlichen und durch zahlreiche Nachfragen und Einwürfe erweiterten Vortrag in Geschichte, Aufbau und Arbeitsweise des Instituts und der angeschlossenen Organisationseinheiten eingeführt. Der wesentliche Teil ist Mikrogravitationsforschung. Hierzu wurde 1990 der 146 m hohe Fallturm in Betrieb genommen. Darin wird in einer turmhohen Vakuumkammer eine Kapsel mit 60 cm Durchmesser in rund 120 m Höhe ausgeklinkt, fällt dann für ca. 4,7 Sekunden und wird schließlich in einer Blechtonne, gefüllt mit Kunststoffkügelchen, aufgefangen. Während des freien Falls herrscht Schwerelosigkeit, da die Kapsel ohne Atmosphäre nicht abgebremst wird. Um die Fallzeit annähernd zu verdoppeln, wurde 2002 ein Katapult installiert. Damit wird die Kapsel von unten in den Turm hochgeschossen, so dass bei Aufstieg und Fall durchgehend in der Kapsel Mikrogravitation vorherrscht. In den Kapseln werden die Versuchsaufbauten integriert, so dass diese während des Flugs autonom ablaufen können.
Als neueste Innovation wurde ein sog. „Gravitower“ mit ca. 12 m nutzbarer Höhe in der Montage- und Vorbereitungshalle des Fallturms errichtet. Dabei handelt es sich um eine Art Aufzug, in dem die gleichen Kapseln, allerdings angetrieben, nach oben „geschossen“ werden, das ganze aber ohne Vakuum. Die Kapseln werden aktiv von der „Aufzugskabine“ entkoppelt. Während des Weges nach oben und unten herrscht für ca. 2,5 Sekunden Schwerelosigkeit. Aktuell wird daran gearbeitet die Funktionalität dahingehend zu erweitern, dass damit auch „partielle“ Mikrogravitation erzeugt werden kann, also z.B. einer Mond oder Mars entsprechenden Schwerkraft.
Beim großen Fallturm kann man üblicherweise zwei Flüge pro Tag durchführen. Je Flug muss man zunächst 1,5 Stunden lang evakuieren und danach ca. 45 min. wieder mit Luft (welche getrocknet werden muss, um Feuchtigkeit im Turm zu vermeiden) gefüllt werden. Im Gravitower sind dagegen mehrere Hundert Flüge pro Tag möglich, da dieser nicht in einer Vakuumkammer betrieben wird. Dadurch werden das Handling und die Automatisierungsmöglichkeiten wesentlich vereinfacht.
Angedacht ist der Bau eines ca. 120 m hohen Gravitowers, welcher 60 m in die Tiefe und 60 m in die Höhe gebaut werden könnte. Hierfür steht eine Finanzierung jedoch noch aus.
Meinung des Autors: „Der aktuelle Fallturm stellt in der angewandten Forschung, Technologieerprobung und insbesondere im Bereich der Mikrogravitationsforschung ein globales Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Forschungslandschaft dar. Das ZARM hat in den letzten 30 Jahren kontinuierlich die Funktionalität und Qualität erweitert und verbessert. Der Neubau eines „full-size“ Gravitowers stellt den nächsten Schritt dar, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Mikrogravitationsforschung in Deutschland zu erhalten!“
Am Abend folge ein Vortrag von Matthias Schoenke zu „Massenaussterben in der Erdgeschichte“. Der Vortrag war ein Ausflug in Hadaikum, Archaikum, Präkambrium und die Entstehungszeit des Lebens. Schwerpunkt waren die Katastrophen, die die einzelnen Zeitalter voneinander trennen.
Sehr kontrovers wurde das Thema Planetenbildung aus einer Protoplanetaren Scheibe diskutiert. Die Bildung kleinerer Körnchen aus dem Zusammenklumpen von Staubteilchen wird von der Wissenschaft inzwischen gut verstanden. Wie allerdings daraus größere Körper bis Planetengröße entstanden, ist noch sehr umstritten. Eine neuere Theorie geht davon aus, dass die Gaskomponente in der Protoplanetaren Scheibe langsamer um den Protostern rotiert als die Festkörperkomponente (Staub). Dadurch könnten sich Staubkörnchen im „Windschatten“ von vorausfliegenden Staubkörnern zusammenfinden und dann größere Objekte bilden.
Der Abend klang mit gemütlichem Beisammensein aus.
Dienstag 01.10.2024
Der Tag startete nach dem Frühstück mit einer kurzen Abstimmung über das Programm des Tages, im Wesentlichen einem ausführlichen Besuch bei OHB, und die notwendige Einweisung dazu (Treffpunkt, Ausweispflicht, Anmeldung, Aufsicht auf dem Firmengelände und Fotografierverbot). Daran schloss sich eine Diskussion über die Gefährdung und Angriffsmöglichkeiten gegen Satelliten und deren Kommunikation an.
Bei OHB sind noch drei weitere Tagesgäste dazugestoßen. Den Teilnehmenden wurden nach dem Einchecken die Ausstellungsstücke im Foyer erklärt, dort war Fotografieren noch erlaubt.
Nach einem kulinarischen Besuch in der OHB-eigenen Spacelounge führte eine OHB-Mitarbeiterin im Saal „Luna“ in den OHB Konzern, seine Geschichte und Tätigkeitsschwerpunkte ein. Ein zweiter Vortrag widmete sich dem Gateway des Artemis-Projekts. Für das europäische ESPRIT-Modul entwickelt OHB eine Xenon-Betankungsfunktion. Das amerikanische Power and Propulsion Module (PPE) soll mit elektrischen Triebwerken den Transfer aus dem nahen Erdorbit in den lunaren NRHO (near-rectilinear halo orbit) bewältigen. Für weitere größere Orbitänderungen wird neues Xenon benötigt. Eine erste „Lieferung“ ist mit dem europäischen ESPRIT-Modul geplant. Weitere Mengen sollen nach dem Andocken eines Transportraumschiffs umgepumpt werden. Das Xenon wird unter hohem Druck (superkritischer Zustand) transportiert und mittels thermischer Kompression, d.h. ohne mechanische Pumpen, umgepumpt werden. Dieses Verfahren wurde noch nie im Orbit getestet und ist eine große Herausforderung.
Bei der anschließenden Besichtigung erhielten die Teilnehmenden einen Einblick in die „Plato“-Halle, einem Reinraum zur Integration von Raumfahrzeugen. Darin konnten sie neben Teilen der MTG (Meteosat Third Generation), den geostationären Wettersatelliten für EUMETSAT, auch das Strukturmodell des (für die Halle namensgebenden) Plato-Weltraumteleskops bewundern.
Im Multimission-Control-Center (MMCC) gewannen die Raumfahrtinteressierten einen Einblick in die Funktionsweise und Arbeit bei Inbetriebnahme und regulärem Betrieb von Satelliten und Raumfahrtmissionen. Der abschließende Vortrag zu künstlicher Intelligenz in der Erdbeobachtung wurde kontrovers bezüglich der Auswirkungen und Funktionsweise von KI diskutiert.
Abends hat Matthias Schoenke als Ergänzung zu seinem Vortrag vom Vortag noch die Liste der nachweisbaren Einschlagkrater und die Liste der Supervulkane auf der Erde vorgestellt.
Danach folgte ein weiterer Vortrag von ihm zur Oberstufe von Ariane 6 und deren Auxillary Power Unit (APU). Diese sorgt durch sauerstoffarme Verbrennung von Wasserstoff für die nötige Wärme, um flüssige, tiefkalten Brennstoff sowie Oxidator zu verdampfen, um damit die jeweiligen Tanks zu bedrücken. Darüber hinaus können mit diesen gasförmigen Medien zwei kleine Triebwerke beaufschlagt werden, welche eine geringe Vorbeschleunigung erzeugen, damit die Flüssigkeiten in den Tanks sich an der „tiefsten“ Stelle sammeln, von wo sie angesaugt werden, um das Oberstufentriebwerk Vinci zu versorgen. Die APU wird in wesentlichen Teilen als 3D-Druck hergestellt. Beim ersten Flug der Ariane 6, und damit dem ersten Einsatz der APU in Schwerelosigkeit, kam es nach der zweiten Brennphase des Vinici-Triebwerks zu einer Anomalie der APU, die die vorgesehene dritte Zündung verhinderte. Die Oberstufe konnte passiviert werden, den vorgesehenen gesteuerten Wiedereintritt konnte sie nicht durchführen.
Mittwoch 02.10.2024
Der dritte Exkursionstag war dem Besuch bei Airbus Defence and Space gewidmet. Dort stand ein Ingenieur aus der Entwicklungs- und Bauabteilung für die Europäischen Servicemodule (ESM) für das amerikanische Orion-Raumschiff Rede und Antwort. Dabei hatten die Raumfahrenden die Gelegenheit in eine von zwei Montagehallen (Reinräume) für die Integration der Servicemodule Einblick zu nehmen. Dort befinden sich mehrere Module (ESM 4 ff) in unterschiedlichen Integrationsstadien sowie Tankbehälter und andere Gerätschaften, die noch einzubauen sind. Das ESM 3 wurde erst vor wenigen Wochen nach USA in das Kennedy Space Center geliefert.
In der anschließenden Präsentation erfuhren wir einiges über das Verhältnis und die Zusammenarbeit mit ESA, NASA und Airbus. Auch was das ESM leistet, was noch nicht ganz perfekt funktioniert hat und wo die Unterschiede zwischen ESM 1, 2 und den folgenden liegen waren Thema. Bei ESM 1 fehlten noch wesentliche Teile des Lebenserhaltungssystems, welche bei ESM 2 und Artemis II, mit Menschen an Bord, natürlich unbedingt gebraucht werden. Sehr offen ging man auch auf die wenigen erkannten Probleme ein, nämlich schaltete sich eine Elektronik-Box einige male ungeplant ab und musste neue gestartet werden. Das Problem wurde in der Analyse vollständig verstanden und wird ab ESM 3 technisch gelöst, bei ESM 2 kennt man das Problem und wird die Box bei Bedarf wieder starten. Das Finden und Lösen des Problems war der NASA sogar ein sog. Snoopy-Award an die beteiligten Techniker*innen von Airbus wert.
Im Anschluss konnte man im „Besucherzentrum“ noch das originale, mehrfach in den Weltraum geflogene Spacelabmodul, eine Ariane 5 Oberstufe (ohne Wasserstofftank) und ein Ariane 4 Oberstufentriebwerk ansehe. Hier durften auch Fotos gemacht werden.
Am Abend folgte ein Vortrag von Luisa Konga von Polaris Raumflugzeuge GmbH. Sie hat über das Startup berichtet, welches langfristig mit einem Raumflugzeug (Spaceplane) mit Jet-Triebwerken horizontal starten und landen möchte, im Flug ein Aerospike-Triebwerk zünden, mit Single-Stage-to-Orbit (SSTO) in eine Umlaufbahn kommen, Nutzlast aussetzen und für eine Wiederverwendung innerhalb von 24 Stunden zurückkommen möchte und das noch dazu in Deutschland! Es wurde ausführlich über technische Details, Vor- und Nachteile des Aersopike und die anstehende Flugtestcampagne mit dem MIRA II Prototypen in Peenemünde diskutiert.
Zum Abschluss hielt Andrej Meuer einen Vortrag über Sonnenfinsternis-Fotografie am Beispiel der Sonnenfinsternis diesen Jahres in den USA.
Mario Arone hat noch eine Reihe von Polarlichtfotos aus diesem Jahr aufgenommen in Schweden und in Deutschland beigesteuert.
Donnerstag 03.10.2024, Abreisetag
Am Abreisetag wurden sowohl die Gästezimmer als auch der Tagungsraum aufgeräumt und alle Teilnehmenden machten sich auf den Heimweg.
LUNA ist als offener Hub konzipiert, der Raumfahrtagenturen, Hochschulen, Forschern, der Raumfahrtindustrie, Start-ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen aus aller Welt zur Verfügung steht.
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