Sie ist die umfangreichste Mondmission seit Apollo 17 und die größte japanische Raumsonde aller Zeiten. Am 14. September startete SELENE / Kaguya
Ein Beitrag von Markus Rösken und Karl Urban
Übersicht
Am 14. September 2007 startet die japanische Weltraumbehörde JAXA ihre erste Mondmission, den Orbiter Kaguya / SELENE (Selenological and Engineering Explorer). SELENE ist dabei der Konstruktionsname, Kaguya die Betriebsbezeichnung. Nach dem Start wird SELENE die Erde zweimal umrunden, um dann einen Orbit um den Mond zu erreichen. Dann wird sich der Satellit von den Subsatelliten VRAD sowie Relay Satellite trennen und den Mond aus einer Höhe von 100 Kilometern über ein Jahr beobachten. Der Mutterorbiter mit einer Masse von rund drei Tonnen stellt die technisch wie wissenschaftlich aufwändigste Mondsonde seit dem Apollo-Programm dar. Sie soll mindestens ein Jahr arbeiten.
Instrumente
An Bord befinden sich 13 wissenschaftliche Instrumente. Das Röntgenspektrometer XRS soll die am häufigsten auftretenden chemischen Elemente der Mondkruste mit einer hohen räumlichen Auflösung von mindestens 20 Kilometern pro Pixel kartieren, darunter Silizium, Magnesium, Aluminium, Kalzium, Titan, Eisen und andere. Solare Röntgenstrahlung fällt auf die Mondoberfläche und regt dort die obersten Atome an. Diese fallen wenig später in ihren Grundzustand zurück und geben dabei erneut Röntgenstrahlung ab, die elementspezifisch ist. Damit kann man die Zusammensetzung des Gesteinstyps jeder geologischen Einheit des Mondes (wie von Kratern und Maria) bestimmen. Vergleichbare Daten waren bisher nur über Gesteinsproben der sechs durchgeführten Mondlandungen möglich. Man erhofft sich, aus der globalen Verteilung der Gesteine Rückschlüsse auf den Ursprung des Mondes ziehen zu können.
Das Charged Particle Spectrometer (CPS) besteht aus zwei Komponenten, die zum einen Alphateilchen von der Mondoberfläche messen, welche Radon und Polonium bei ihrem radioaktiven Zerfall abgeben. Daraus lässt sich die Krustenbewegung in den vergangenen 50 Jahren nachvollziehen. Zum anderen wird die kosmische und galaktische Gammastrahlung um den Mond gemessen, um die Gefährdung für den Menschen besser einschätzen zu können. Das Gamma Ray Spectrometer (GRS) kann daneben die Menge der auf der Mondoberfläche vorkommenden Elemente bestimmen. So ist es möglich, eine Rohstoffkartierung des Mondes vorzunehmen. Die Daten des GRS werden die der NASA-Sonden Clementine und Lunar Prospector überprüfen, wonach es an Nord- und Südpol des Mondes Wassereisvorkommen gibt, was essentiell für eine bemannte Station auf dem Erdtrabanten ist.
An Bord befinden sich drei Instrumente zur optischen Aufnahme der Mondoberfläche. Die Terrain Camera (TC), der Multiband Imager (MI) sowie der Spectral Profiler (SP). Ähnlich wie die Marskamera HRSC der ESA an Bord von Mars Express ist die TC in der Lage, stereoskopische Aufnahmen zu machen. Dabei ist ständig ein Kameraauge nach „hinten“, ein weiteres nach „vorn“ gerichtet, so dass von der überflogenen Fläche Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln zur Verfügung stehen, aus denen sich Stereobilder (Anaglyphen) errechnen lassen. MI blickt dagegen ständig mit zwei Teleskopen nach Nadir und lichtet den Boden in neun verschiedenen Wellenlängen direkt von oben ab. Das Spektrometer SP spaltet das ankommende Licht mit Hilfe von Gittern in 296 verschiedene Wellenlängen auf.
Die optischen Komponenten sind in der Lage, Informationen über Topografie, Geologie und Mineralogie der Mondoberfläche zu liefern. Im Rahmen der Clementine-Mission war es 1994 möglich, durch ein Schwenken der Kamera auf einem schmalen Streifen eine stereoskopische Aufnahme zu erstellen. Auf globalem Maßstab ist das aber bisher noch nicht erfolgt. Dies ist vor allem verwunderlich, als es doch seit der Mission Mars Express sogar eine Vielzahl an Anaglyphen vom Mars gibt.
Das Laseraltimeter LALT misst während des Überflugs ständig die Entfernung zwischen SELENE und dem Boden. So ist es möglich, ein globales topgrafisches Geländemodell der Mondoberfläche zu errechnen. Die Genauigkeit bisheriger Daten beträgt einige 100 Meter und soll nun auf fünf Meter verbessert werden. An der Auswertung der Altimeterdaten ist auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt.
Der Lunar Radar Sounder (LRS) sendet kontinuierlich Radarwellen mit einer Frequenz von fünf MHz auf die Mondoberfläche. Dazu werden zwei Antennen verwendet, die der Orbiter auf eine Spannweite von 30 Metern aufspannt. Radarwellen können dazu verwendet werden, unter die mit bloßem Auge sichtbare Mondoberfläche zu blicken. Thermische Anomalien und geologische Diskontinuitäten im Untergrund reflektieren die ankommenden Radarsignale und können so erkannt werden. Mit dem Experiment soll der Mondboden mehrere Kilometer tief durchleuchtet werden.
Mithilfe der beiden Subsatelliten VRAD und Relay Satellite, deren Position durch differentielle Very Long Baseline Interferometry (VLBI) exakt bekannt ist, kann erstmals das Gravitationsfeld der erdabgewandten Mondrückseite genau vermessen werden. Gleichzeitig dient der Relay Satellite der Muttersonde zur Kommunikation mit der Erde, wenn diese sich im Mondschatten befindet.
Besitzt der Mond eine Ionosphäre, also eine Region, in der geladene Teilchen und freie Elektronen vermehrt auftreten? Diese Frage soll das Radio Science-Experiment klären. Radiosignale, die zu Kommunikationszwecken zur Erde gesendet werden, müssten durch den Einfluss einer lunaren Ionosphäre eine Frequenzänderung erfahren.
Das Magnetometer LMAG ist in der Lage, magnetische Anomalien des Mondes mit einer Genauigkeit von einem Hunderttausendstel des Erdmagnetfelds zu messen. Dadurch möchte man besser verstehen, wie die Anomalien entstanden sind und wie sie sich in der Gegenwart entwickeln. Gemeinsam mit dem Plasma Energy Angle and Composition Experiment (PACE) soll zudem die Plasmaumgebung des Erdenbegleiters untersucht werden. Jüngeren erdgebundenen Beobachtungen zufolge besitzt der Mond eine sehr dünne Atmosphäre aus Alkali-Ionen. Man geht davon aus, dass diese Teilchen aus dem Sonnenwind stammen. Allerdings könnte zumindest ein Teil von ihnen auch vom Mond selbst kommen. Für die Öffentlichkeitsarbeit befindet sich eine HDTV-Kamera mit an Bord, die unter anderem Fernsehbilder vom Aufgang der Erde über dem Mondhorizont liefern soll.
Zwei weitere Instrumente untersuchen die Erde vom Mond aus. Auf einer zweiachsigen Montierung befestigt, blicken die Upper Atmosphere and Plasma Imager (UPI) immer in Richtung Blauer Planet, wenn dieser nicht gerade durch den Mond bedeckt ist. Sie detektieren zum Leuchten angeregte Sauerstoff- und Heliumatome der Erdatmosphäre und können so den Airglow sowie Polarlichter beobachten.
Missionsziele
Wie die Erde unterliegt auch der Mond geophysischen Veränderungen, die allerdings noch relativ unbekannt sind. Herauszufinden, ob und in welchem Ausmaße es Veränderungen der Oberfläche, tektonische Aktivität und dergleichen gibt oder in der Vergangenheit gab, ist eine der Hauptaufgaben der Mission.
Weiterhin soll untersucht werden, welchen Einfluss die direkte Sonneneinstrahlung auf die Mondoberfläche hat. Sollte der praktisch atmosphärenfreie Mond dauerhaftes Ziel von Menschen werden, so ist der direkte Einfluss der Sonne einer der wichtigsten Faktoren, mit denen sich die Forschung zu beschäftigen hat. Über das Leben in Raumstationen ist durch die Erfahrungen der Mir oder der ISS bereits einiges bekannt. Eine menschliche Existenz auf einem anderen Himmelskörper stellt jedoch eine weitaus größere Aufgabe dar.
SELENE – Auswirkungen auf Japan
SELENE ist nicht die erste japanische Raumsonde zum Erdtrabanten. Bereits 1990 wurde die Hiten (Muses-A)-Mission gestartet, die einen winzigen Satelliten namens Hagoromo in den Mondorbit befördern sollte, was nicht gelang. Jedoch erreichte die Muttersonde selbst in einer erweiterten Missionsphase erfolgreich einen Mondorbit. Die Mission war primär nicht zur Erforschung des Mondes, sondern zur Sammlung erster Erfahrungen in der Weltraumnavigation gedacht. Die SELENE-Mission ist in diesem Sinne tatsächlich die erste wissenschaftliche Mondmission Japans.
Die Zukunft der japanischen Raumfahrt hängt – wie auch in allen anderen Raumfahrt-treibenden Ländern – in hohem Maße von der Bezuschussung durch staatliche und wirtschaftliche Kräfte ab sowie davon, in wie weit die Weltraumindustrie als wichtiger Wirtschaftszweig in das Zentrum der Wahrnehmung gerät.
Japan könnte aber eine wichtige Rolle spielen, den zivilen und wissenschaftlichen Faktor auch global zu manifestieren. Die japanische Raumfahrt zeichnet sich durch exzellente internationale Bindungen, einen intellektuellen und wirtschaftlich orientierten Führungsstab, technologische Spitzenqualitäten und enormen Forschungsdrang aus. Im Gegensatz zu anderen Raumfahrtprogrammen ist die japanische Raumfahrt (derzeit noch) weniger von militärischen Faktoren betroffen, sondern hat in der Region eine Führungsrolle bei der Erdbeobachtung und dem Katastrophenschutz übernommen. Zur Erforschung extraterrestrischer Körper hat das Land einige spektakuläre Missionen gestartet (Nozomi, Hayabusa). Gelingt es der JAXA tatsächlich, mit SELENE der internationalen Mondforschung einen kräftigen Anschub zu geben, dürfte nicht nur in Japan das Interesse an der Raumfahrt und an eines Tages wieder bemannten Besuchen des Erdtrabanten stark ansteigen.