Know-how aus Deutschland spielt Schlüsselrolle im europäischen Trägerraketen-Programm. Eine Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Quelle: DLR 4. Juli 2024.
4. Juli 2024 – Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 soll am 9. Juli 2024 zum ersten Mal starten. Sie soll den unabhängigen europäischen Zugang zum Weltraum genauso leistungsfähig wie ihre Vorgängerin, die Ariane 5, aber wesentlich günstiger und flexibler für das nächste Jahrzehnt und darüber hinaus sichern. Deutschland ist nach Frankreich zweitgrößter Beitragszahler des Ariane-6-Programms der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die deutschen ESA-Beiträge werden von der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn koordiniert. Das DLR ist zudem über verschiedene Triebwerkstests und insbesondere die Tests der neu entwickelten Oberstufe am DLR-Institut für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen maßgeblich an der Entwicklung der Ariane 6 beteiligt.
Vor allem institutionelle Raumfahrtmissionen – insbesondere von der ESA, der Europäischen Union, nationalen Raumfahrtagenturen sowie der Europäischen Organisation für die Nutzung Meteorologischer Satelliten EUMETSAT – sollen mit diesem neuen Träger starten. 30 Flüge sind für Ariane 6 aktuell in Auftrag gegeben – darunter auch die Starts für die Megakonstellation Kuiper des US-Unternehmens Amazon. Bei dem Erstflug werden aber zunächst 17 kleinere Nutzlasten an Bord sein. Ein Wiedereintrittsdemonstrator, ein Deployer zum Aussetzen von Cubesats sowie drei Kleinsatelliten kommen aus Deutschland.
„Ein eigenständiger europäischer Zugang zum All ist sowohl für unser tägliches Leben wie auch für Wirtschaft und Wissenschaft unverzichtbar. Die akute Launcher-Krise in Europa hat uns dies umso mehr bewusst gemacht. Jetzt drücken wir die Daumen für den Erststart nächste Woche und danken dem gesamten Ariane-6-Team und allen Beteiligten für die unglaublichen Anstrengungen der letzten Jahre. Der Start einer neuen Trägerrakete ist immer auch eine Faszination, was die Menschheit mit exzellenter Forschung und Technik erreichen kann und damit eine wichtige Inspiration für unseren europäischen Innovationsstandort“, betont Dr. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt und Bundestagsabgeordnete.
„Die deutsche Forschung und Industrie spielen im Gesamtpaket der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 eine Hauptrolle. Die Stärken der deutschen Standorte liegen dabei im Flüssigkeitsantrieb, in der Oberstufentechnologie sowie in den Tanks und Strukturen. Dazu gehört auch der Forschungs- und Industriestandort Lampoldshausen – Europas modernstes Test- und Produktionszentrum für diese Flüssigkeitsantriebe. Dieser Standort wird langfristig eine wesentliche Rolle bei der Ariane 6 spielen. Auch viele wichtige Teile des Ariane-6-Startplatzes in Kourou wurden von deutschen Unternehmen gefertigt. Die Ariane 6 ist damit ein Beleg dafür, dass deutsche Technologie und Know-how im Trägersektor unverzichtbar sind“, betont Dr. Walther Pelzer, DLR-Vorstandsmitglied und Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR.
Die Bremer Oberstufe wurde beim DLR in Lampoldshausen auf Herz und Nieren geprüft
Seit dem Eintreffen der ersten Oberstufe der europäischen Trägerrakete Ariane 6 am 14. Februar 2021 am DLR-Standort Lampoldshausen – dem flexibelsten und leistungsfähigsten Testzentrum für Raketenmotoren in Europa –, absolvierte sie mehrere umfangreiche Tests im neuen Prüfstand P5.2. Um die komplette Stufe zu testen, hat das DLR diesen Prüfstand speziell für diese Tests entwickelt und aufgebaut. Da bei der Ariane 6 eine von Grund auf neu entwickelte Oberstufe zum Einsatz kommt, musste sie vor dem Erstflug auf Herz und Nieren durchgetestet werden. Konzipiert und gebaut wurde sie von ArianeGroup in Bremen als Hauptauftragnehmer der ESA.
Die neue Oberstufe hat einen Durchmesser von 5,4 Meter, eine Länge von circa zehn Metern und wiegt rund sieben Tonnen ohne Treibstoff. Betankt bringt sie rund 38 Tonnen auf die Waage. Sie besteht aus zwei Haupttanks, die mit flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff gefüllt sind, die auf minus 183 beziehungsweise minus 253 Grad Celsius extrem tief heruntergekühlt werden müssen.
Dazu kommt das bis zu viermal wiederzündbare Vinci-Triebwerk und die sogenannte APU (Auxiliary Power Unit, eine innovative Antriebseinheit) – beides mit Kern-Komponenten der ArianeGroup aus Ottobrunn. Die APU erweitert die Einsatzmöglichkeiten der Ariane 6 erheblich: Durch das mehrmals wiederzündbare Vinci-Triebwerk und die APU sind flexiblere Missionsprofile möglich. Zudem ist die Oberstufe so konzipiert, dass sie nach dem Einsatz komplett in der Erdatmosphäre verglüht, also keine Trümmerteile hinterlässt. Das ist eine wichtige Maßnahme, um weiteren Weltraumschrott zu vermeiden. Mit mehreren Zündungen des Vinci-Triebwerks und wiederholten Zündungen der APU wurden bei Heißlauftest in Lampoldshausen sehr komplexe Anforderungsprofile am Prüfstand nachgestellt. Bei einem der Tests ist es zum Beispiel gelungen, ein Szenario nachzustellen, das den Anforderungen des Erstflugs der Ariane 6 entspricht. Durch die gesamten Versuche konnten wichtige Informationen und Daten über die Stufe gesammelt werden, die für einen erfolgreichen Erststart und die Etablierung eines neuen zuverlässigen Trägers unverzichtbar sind.
Innovative Fertigung in Deutschland
In der deutschen Trägerraketen-Industrie arbeiten rund 1.000 Ingenieurinnen und Ingenieure von ArianeGroup an den Hauptstandorten Bremen, Lampoldshausen und Ottobrunn sowie 500 bei MT Aerospace in Augsburg und Bremen. Hinzu kommen mehr als 50 kleine und mittlere Unternehmen (KMU), deren spezielles Know-how einen wichtigen Beitrag zum Ariane-6-Programm liefert. In der Hansestadt werden zum Beispiel alle wiederzündbaren Oberstufen der Ariane 6 gebaut. Hier kommt auch Industrie-4.0-Technologie zum Einsatz. Modernste automatisierte Schweißverfahren und serienmäßiger 3D-Druck in vielen Bauteilen, insbesondere bei den Triebwerken, belegen zudem die Spitzentechnologie aus Europa und aus Deutschland. So kommen in Ottobrunn für die Brennkammerfertigung – das „Herzstück“ eines jeden Triebwerks – innovative Techniken wie 3D-Druck (Additive Layer Manufacturing, ALM) zum Einsatz. Das Verfahren hat große Vorteile gegenüber gegossenen oder geschmiedeten Produkten, denn die hergestellten Teile können nahezu ohne mechanische Nachbearbeitung in hoher Stückzahl auch bei komplexer Struktur hergestellt werden. Die Einsparung verschiedener teurer Fertigungsschritte und die Vereinfachung der Triebwerkstruktur senken die Kosten bei jedem Start erheblich. Die Spezialisten von MT Aerospace stellen unter Verwendung modernster Fertigungsverfahren Tanks und Strukturen für alle Ariane-6-Raketen her. Diese Strukturen halten trotz ihres minimalen Gewichts den enormen Belastungen beim Start einer Ariane stand. Alle diese Neuerungen „made in Germany“ machen die Ariane 6 in der Produktion deutlich günstiger als das Vorläufermodell.
Zudem soll in naher Zukunft eine neue „Kick-Stage“-Lösung aus Bremen, Ottobrunn und Lampoldshausen im Rahmen des so genannten ASTRIS-Programms der ESA die Ariane 6 noch vielseitiger einsetzbar machen. Mit dieser zusätzlichen Oberstufe kann die Trägerrakete mehrere Nutzlasten effizient in unterschiedlichen Orbits absetzen oder Satelliten direkt in deren Zielorbit bringen. Die Kick-Stage wird von dem wiederzündbaren BERTA-Triebwerk angetrieben, dessen Entwicklung von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR gefördert wurde.
Neue Rakete – neuer Startplatz
Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 hat zudem einen neuen Startplatz am europäischen Raumflughafen in Kourou (Französisch-Guyana) bekommen. Ein Firmenkonsortium unter der Leitung des französischen EIFFAGE-Konzerns war für den Bau des „ELA 4“ genannten Areals zuständig. Mit dabei waren auch vier deutsche Unternehmen: Die Hannoveraner Stahltechnologiefirma SEH hat das sogenannte Infrastrukturpaket übernommen. Dazu zählt vor allem die flache Montagehalle BAL (Bátiment Assemblage Lanceur). Hier werden die Haupt- und Oberstufe der Ariane 6 vorbereitet und liegend zum sogenannten Zentralkern – dem „Central Core“ – miteinander verbunden. Auch die rund 100 Meter hohe und 8.000 Tonnen schwere so genannte Mobile Gantry – eine fahrbare Riesengarage auf Schienen – war Teil dieses Pakets. Mit seinen gigantischen Ausmaßen gilt die Mobile Gantry als eines der größten und schwersten beweglichen Gebäude der Welt, das die Rakete auf der Startrampe während ihres finalen Zusammenbaus umgibt. Kurz vor dem Start fährt die riesige Stahlkonstruktion dann in einen sicheren Abstand zurück. Die OHB Digital Connect GmbH aus Mainz war als ein Tochterunternehmen des Bremer Raumfahrtkonzerns OHB für das sogenannte Mechanikpaket verantwortlich. Das Unternehmen hat den 650 Tonnen schweren Starttisch gebaut, auf dem die Rakete errichtet wird, den Startturm, über dessen wichtige Verbindungen die Rakete mit Treibstoff und Strom versorgt wird, sowie weitere mechanische und metallische Elemente. Die Firma RMT aus Kehl am Rhein legte die Stromversorgung und baute die Elektroanlagen auf, während die Actemium Cegelec GmbH aus Mannheim die Gas- und Flüssigkeitsinfrastruktur zur Betankung der Ariane 6 eingerichtet hat.
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