Seit dem November 2014 wird auf der Oberfläche von 67P/Tschurjumow-Gerassimenko nach dem exakten Standort des Kometenlanders Philae gesucht. Jetzt konnte die Position der Landeellipse eingegrenzt werden. In deren unmittelbaren Umgebung befinden sich gleich mehrere Strukturen, bei denen es sich um den gesuchten Lander handeln könnte. Mangels genauerer Daten dauert die Suche somit auch weiterhin an.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, DLR, ESA.
Nach einem mehr als zehn Jahre andauernden Flug durch unser Sonnensystem erreichte die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta am 6. August 2014 das Ziel ihrer Reise – den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt). Seitdem ‚begleitet‘ Rosetta diesen Kometen auf seinem weiteren Weg in das innere Sonnensystem und untersucht dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei intensiv mit elf wissenschaftlichen Instrumenten aus Entfernungen zwischen acht bis hin zu mehreren hundert Kilometern.
Bereits am 12. November 2014 wurde dabei einer der Höhepunkte dieser überaus ambitionierten und erfolgreichen Mission zur Erforschung unseres Sonnensystems erreicht: An diesem Tag wurde der von der Raumsonde mitgeführte Kometenlander Philae von Rosetta abgetrennt (Raumfahrer.net berichtete live aus den Raumsondenkontrollzentren in Darmstadt und Köln), welcher um 16:35 MEZ im Bereich der ursprünglich vorgesehenen Landestelle „Agilkia“ (ehemals als „Landeplatz J“ benannt) die Oberfläche des Kometen 67P erreichte. Allerdings prallte Philae bei dieser Landung von der Oberfläche ab. Es folgte ein etwa zweistündiger Schwebeflug, bevor die Landeeinheit nach zwei weiteren Kontakten mit der Kometenoberfläche an ihrem jetzigen Standort im Bereich der finalen Landestelle „Abydos“ niederging.
An diesem finalen Standort bot sich für den bei seiner Energieversorgung auf die Sonnenenergie angewiesenen Lander aufgrund der dort gegebenen schlechten Beleuchtungsverhältnisse – die Sonne erreichte Philae an diesem Standort pro ‚Kometentag‘ für lediglich etwas mehr als eine Stunde – keine Möglichkeit, die Energiereserven in einem ausreichenden Umfang zu erneuern. Trotzdem konnte der Lander – mit der Energie aus einer auf eine Einsatzdauer von etwa 60 Stunden ausgelegten Batterie versorgt – in den folgenden 56 Stunden eine Vielzahl an Messungen durchführen. Die dabei gesammelten Daten der zehn Instrumente des Landers wurden regelmäßig bei jedem sich öffnenden Kommunikationsfenster an die Erde übertragen, bevor die Energiereserven am 15. November 2014 so weit erschöpft waren, dass sich Philae an diesem Tag um 01:36 MEZ in einen ‚Schlafmodus‘ versetzte.
Seitdem sind die an dieser Mission beteiligten Wissenschaftler neben der Auswertung der zwischenzeitlich gesammelten Daten damit beschäftigt, den Ablauf der Landung zu rekonstruieren und auch den exakten Ort, an dem Philae letztendlich im Bereich der Region „Abydos“ zum Stillstand kam, zu identifizieren. Dabei greifen die Kometenforscher auf eine Vielzahl von Informationen wie zum Beispiel Aufnahmen der verschiedenen Kamerasysteme, Messungen des Magnetfeldes und Untersuchungen mit Radiowellen zurück.
Landung in mehreren Etappen
Sowohl die Navigationskamera von Rosetta als auch die OSIRIS-Kamera – die unter der Leitung von Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen entwickelte und betriebene Hauptkamera an Bord des Kometenorbiters – konnten die erste Landestelle eindeutig identifizieren. Zusätzlich lieferte die ROLIS-Kamera von Philae, die während dieser ersten Landung wie für dieses Manöver vorgesehen senkrecht nach unten blickte, aus einer Entfernung von lediglich neun Metern hochaufgelöste Aufnahmen von dieser Stelle.
Nach dem Abprallen von „Agilkia“ konnte der jetzt weiterfliegende Lander zudem in weiteren Aufnahmen, welche ebenfalls sowohl von der Navigationskamera als auch von der OSIRIS-Kamera angefertigt wurden, ausgemacht werden. Eine weitere Aufnahme von OSIRIS, welche einige Zeit später entstand, zeigt einen hellen Fleck über dem Horizont der großen „Hatmehit“-Vertiefung auf dem ‚Kopf‘ des Kometen. Hierbei, so die Wissenschaftler, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls um Philae.
Die Messdaten des ROMAP-Instruments an Bord von Philae, mit denen primär das Magnetfeld von 67P untersucht werden sollte, liefern weitere Einzelheiten, welche auch präzise Zeitangaben zu dem weiteren Verlauf des Schwebefluges beinhalten (Raumfahrer.net berichtete). So halten es die Wissenschaftler aufgrund dieser Daten für wahrscheinlich, dass der Lander um 17:20 MEZ zunächst eine Oberflächenstruktur streifte und dadurch bedingt ins Schlingern geriet. Zu einem dritten Bodenkontakt kam es um 18:25 MEZ. Hierauf folgte ein weiterer, allerdings deutlich kürzerer ‚Hüpfer‘, welcher nur sieben Minuten andauerte. Um 18:32 setzte Philae schließlich an seinem jetzigen Standort im Bereich der Landestelle „Abydos“ auf. Insgesamt dürfte sich Philae im Rahmen dieses ungeplanten Weiterfluges mehr als einen Kilometer von dem Ort des ersten Bodenkontakts entfernt haben.
Aber wo genau befindet sich Philae jetzt?
Aufnahmen, welche die Lander-Kamerasysteme ROLIS und CIVA während der jetzt folgenden fast 60-stündigen wissenschaftlichen Messungen anfertigten, ermöglichten den beteiligten Wissenschaftlern einen ersten Einblick in diese finale Landestelle. Philae befindet sich demzufolge in einem sehr rauem Terrain. Der Lander ist möglicherweise gegen eine Klippe gekippt und befindet sich definitiv während der meisten Zeit der 12,4 Stunden andauernden Rotationsperiode des Kometen um seine Achse weitestgehend im Schatten.
In den Tagen und Wochen nach der Landung bemühte sich das von Dr. Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen geleitete OSIRIS-Team, Philae in den inzwischen neu angefertigten Aufnahmen der vermuteten Landeregion aufzuspüren. Dies erwies sich jedoch als eine äußerst komplizierte Aufgabe, welche sowohl durch das zerklüftete Terrain und die schlechten Beleuchtungsverhältnisse, aber auch durch die geringen Abmessungen der Landeeinheit und durch die relativ großen Entfernung zwischen Rosetta und der Kometenoberfläche erheblich erschwert wurde.
Die am höchsten aufgelösten Aufnahmen dieser Landeregion, welche nach dem 12. November 2014 angefertigt wurden, stammen von Mitte Dezember 2014. Zu dieser Zeit bewegte sich der Orbiter in einer Entfernung von etwa 18 Kilometern zu 67P. Bei dieser Distanz bietet die Telekamera des OSIRIS-Komplexes eine Auflösung von 34 Zentimetern pro Pixel. Der Lander Philae verfügt dagegen über eine Abmessung von lediglich 1 x 1 x 1 Metern. Und auch die drei Beine des Landergestells erstrecken sich – ausgehend vom Mittelpunkt der Unterseite des Landers – über jeweils nur 1,4 Meter. Unter der Berücksichtigung der Abmessungen des Landers, seiner Reflektivität und dessen berechnete Orientierung auf der Oberfläche sowie dem Auflösungsvermögen der Kameraoptik dürfte Philae in diesen OSIRIS-Aufnahmen eine Fläche von lediglich einigen wenigen Pixeln überdecken.
In den entsprechenden Aufnahmen von der ‚Kopf‘-Region des Kometen 67P konnte das OSIRIS-Team trotz dieser komplizierten Voraussetzungen dennoch einige potentielle Kandidaten entdecken. Hierbei handelt es sich um verschiedene helle Flecken, welche jeweils nur wenige Pixel einnahmen. Dabei war – und ist immer noch – allerdings unklar, ob einer dieser Flecken – und wenn ja welcher – wirklich den gesuchten Lander darstellt, denn derartige helle Flecken treten auf der Oberfläche des Kometenkerns relativ häufig auf und viele dieser Strukturen sind dabei nicht von Dauer. So können etwa kleinere Strukturen des Kometenkerns unter günstigen Belichtungsbedingungen kurzzeitig ‚aufblitzen‘. Zu späteren Zeitpunkten sind diese dann jedoch nicht mehr erkennbar.
Um dieses Problem zu lösen analysierten mehrere Wissenschaftler unter der Leitung des OSIRIS-Team-Mitarbeiters Phillipe Lamy vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille (LAM) und vom Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie (IRAP) in Frankreich verschiedene Aufnahmen der gleichen Regionen, welche vor und nach der Landung unter vergleichbaren Beleuchtungsverhältnissen aufgenommen wurden. Dadurch verringerte sich die Gefahr, bei der Suche nach Philae durch das flüchtige Aufblitzen von Oberflächenstrukturen in die Irre geführt zu werden. Die Wissenschaftler suchten auf diese Weise eine weite Region ab, welche auch die erwartete Landestelle einschloss, und identifizierten tatsächlich einen vielversprechenden Kandidaten. Die betreffende Struktur ist in zwei am 12. und 13. Dezember 2014 angefertigten Aufnahmen zu sehen, nicht aber auf einer vorherigen Aufnahme vom 22. Oktober 2014.
„Obwohl die ‚Vorher‘- und ‚Nachher‘-Bilder mit verschiedenen räumlichen Auflösungen aufgenommen wurden, stimmen verschiedene topographische Details gut überein – bis auf einen hellen Fleck. Diesen schlagen wir als einen vielversprechenden Kandidaten für Philae vor“, so Phillipe Lamy. „Der Fleck zeigt sich in zwei verschiedenen Aufnahmen von Dezember 2014. Es kann sich folglich nicht um einen Detektorfehler oder um ein Staubkorn [aus der Koma des Kometen] handeln.“
Allerdings lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Vermutung tatsächlich zutrifft. Wegen der vergleichsweise langen Zeitspanne, welche zwischen den ‚Vorher‘- und den ‚Nachher‘-Aufnahmen verstrichen ist, könnte dieses Objekt auch auf eine rein physikalisch bedingte Veränderung direkt auf der Kometenoberfläche – etwa die zwischenzeitlich erfolgte Freilegung von ‚frischem‘ Material – zurückzuführen sein. Die geringe Sonneneinstrahlung an dieser Stelle macht derartige Veränderungen zwar unwahrscheinlich, jedoch keineswegs unmöglich.
Die Landezone ist zumindestens eingegrenzt
Glücklicherweise stehen den Wissenschaftlern jedoch noch weitere Informationen zur Verfügung. Aus den Aufnahmen der OSIRIS-Kamera konnte die Flugbahn ermittelt werden, auf der Philae die erste Landestelle verließ. Radiosignale, welche das CONSERT-Experiment nach der Landung zwischen Rosetta und Philae austauschte, schränken die Möglichkeiten für Philaes endgültigen Standort weiter ein. Aus den Messungen der Signallaufzeiten zwischen Rosetta und Philae, der exakt bekannten Flugbahn von Rosetta und dem derzeit genauesten zur Verfügung stehenden Modell der äußeren Gestalt des Kometen konnte das CONSERT-Team durch zahlreiche Computersimulationen den endgültigen Standort auf eine Ellipse eingrenzen. Diese befindet sich direkt am Rand des „Hatmehit“-Beckens und verfügt über eine Ausdehnung von etwa 16 x 160 Metern.
„Wir haben mehrere mögliche Lander-Kandidaten in den OSIRIS-Aufnahmen identifiziert, sowohl grob in der Region, die CONSERT vorgibt, als auch in der Umgebung“, so Dr. Holger Sierks. „Während unserer Suche im Dezember lag ein Winkel von 90 Grad zwischen Rosetta und der Verbindungslinie zwischen Sonne und Komet. Rosetta flog somit entlang der Tag-Nacht-Grenze. Es ist daher möglich, dass Philaes Solarpaneele zwar beleuchtet, wegen des rauen Terrains aus Rosettas Perspektive jedoch nicht zu sehen waren. Dadurch sind sie schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu finden.“
Die CONSERT-Ellipse schließt die Mehrheit der zuvor beobachteten Kandidaten mit einer großen Wahrscheinlichkeit aus. Allerdings gibt es mindestens einen verbliebenen Kandidaten in der unmittelbaren Nähe dieser Ellipse – hierbei handelt es sich tatsächlich um den bereits von Phillipe Lamy und dessen Team vorgeschlagenen Kandidaten – sowie weitere Objekte in der näheren Umgebung, welche ebenfalls immer noch in Frage kommen.
Für eine gewisse Unsicherheit sorgt dabei die Tatsache, dass sich alle verbliebenen Kandidaten etwas außerhalb der vorhergesagten Landeellipse befinden. Allerdings hängt die genaue Lage der Ellipse letztendlich entscheidend von der genauen Form des Kometen ab. Das entsprechende Modell wird von den an der Mission beteiligten Wissenschaftlern fortwährend verfeinert. Kleinere Korrekturen bezüglich der exakten Lage und Ausrichtung der Ellipse sind deshalb durchaus noch möglich.
Letztendlich werden höher aufgelöste Aufnahmen – und somit auch weitere nahe Vorbeiflüge an der Oberfläche des Kometen – nötig sein, um den Kometenlander Philae zweifelsfrei aufzuspüren. Wegen der in den letzten Monaten immer weiter zunehmenden Aktivität von 67P dürfte dies jedoch zumindestens in der näheren Zukunft erst einmal nicht möglich sein (Raumfahrer.net berichtete). Derzeit bewegt sich Rosetta auf einer Bahn, welche in einem Abstand von mehr als 200 Kilometern zu der Oberfläche des Kometen verläuft. Im weiteren Verlauf der Mission sollte die Raumsonde jedoch spätestens gegen Ende des Jahres 2015 wieder in der Lage sein, sich auch ohne größere Gefahren wieder näher an den Kometenkern heran zu bewegen und weitere Detailaufnahmen zu erstellen.
Eine weitere Horchkampagne
Zu der endgültigen Klärung der Frage über seinen Standort könnte jedoch bereits in den kommenden Tagen und Wochen der Lander selbst beitragen. Bedingt durch die zunehmende Annäherung des Kometen 67P an die Sonne verbessern sich im Bereich des jetzigen Standortes von Philae die dort gegebenen Beleuchtungs- und Temperaturbedingungen immer weiter. Hierdurch bedingt könnte in Zukunft wieder ausreichend Sonnenlicht zur Verfügung stehen, damit der Lander Philae aus seinem derzeitigen ‚Winterschlaf‘ erwacht und sich reaktiviert. Das CONSERT-Experiment könnte dann weitere Messungen durchführen und die bisherigen Unsicherheiten bezüglich des Aufenthaltsortes von Philae deutlich verringern.
Eine weitere entsprechende Horchkampagne nach einem ‚Lebenszeichen‘ von dem Lander begann bereits am 30. Mai 2015. Raumfahrer.net berichtete über die damit verbundenen Aktivitäten sowie über die Bedingungen, welche für eine erneute Aktivierung des Landers erfüllt sein müssen.
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